In Südamerika gab es in der Vergangenheit eine ganze Reihe von terroristischen Organisationen, die etliche Menschen auf dem Gewissen haben. Es gab da z.B. die Mutter aller Stadtguerillas, die „Tupamaros“ in Uruguay (dass heute von einem ehemaligen Stadtguerillero regiert wird), die sich Anfang der 1970er mit Entführungen und Morden hervortraten. In Peru gab es die „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad), denen in den 1980ern Zehntausende zum Opfer fielen. In Kolumbien tummeln sich seit Jahrzehnten linke Guerillas und rechte Paramilitärs, denen schwere Menschenrechtsverletzungen angelastet werden. Und angeblich soll sogar die al-Qaida in Lateinamerika aktiv sein, in dem sie dort Glaubensbrüder rekrutieren und geheime Treffen abhalten. Der Rauschgifthandel mit Südamerika gilt als eine der wichtigsten Einnahmequellen von al-Qaida.
Grund genug, um Terroristen mit der vollen Härte der Justiz zu begegnen, könnte man meinen. Aber zwei Vorfälle lassen eine andere Sprache sprechen.
Anfang des Monats begrüßte der bolivianische Präsident Evo Morales den iranischen Außenminister Ahmad Vahidi. Vahidi war zwar kein Mitglied einer südamerikanischen Terrororganisation, wird aber per internationalem Haftbefehl gesucht, da er der mutmaßliche Drahtzieher eines Terroranschlags auf ein jüdisches Gemeindezentrum ist, bei dem in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires im Jahr 1994 85 Menschen getötet worden waren. Argentinische Behörden beschuldigten den Iran, den Anschlag geplant und der Hisbollah die Ausführung anvertraut zu haben. Die Hisbollah hatte schon im Jahre 1992 einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Buenos Aires ausgeführt, bei denen 29 Menschen getötet worden waren.
Immerhin: Die bolivianische Regierung wies Vahidi aus, nachdem sie ihren Fehler bemerkt hatte und entschuldigte sich bei der argentinischen Regierung. Ein klassischer Fauxpas also, zumal die Beziehungen zur argentinischen Regierung, die neuerdings ihren Anspruch auf die Falkland-Inseln bekräftigte, durch den Vorfall nicht gelitten haben. Dennoch stellt sich die Frage: Warum haben die bolivianischen Behörden eigentlich nicht Vahidi verhaftet? Immerhin gibt es einen internationalen Haftbefehl gegen ihn. Könnte es nicht sein, dass dann die Atom-Geschäfte zwischen Bolivien und dem Iran gefährdet gewesen wären?
Das Verhalten der bolivianischen Regierung ist aber noch nichts im Vergleich zu dem, was die brasilianische Justiz mit dem italienischen Linksextremisten Cesare Battisti (nicht zu verwechseln mit einem 1916 von Österreichern exekutierten Kriegshelden) angestellt hat. Der ehemalige Mitglied der „Roten Brigaden„, die Italien in den 1970ern in Angst und Schrecken versetzten (während in Deutschland die RAF diesen Job übernahm), war für Jahre in Mexiko und Frankreich untergetaucht, bevor er im Jahre 2007 in Brasilien festgenommen wurde. Doch in seiner letzten Amtshandlung (!) hatte Präsident Lula eine Überstellung Battistis abgelehnt. Die Entscheidung wurde vor zwei Wochen vom Obersten Gerichtshof des Landes bestätigt. Battisti wird also vorerst in Brasilien bleiben. Ein klarer Fall von tödlicher Toleranz, die man in Südamerika doch noch gar nicht kannte.
Der Sohn eines Angehörigen von Battistis Opfer hat nun einen Boykott der Fußball-WM 2014 sowie die Einstellung sämtlicher wirtschaftlicher Beziehungen mit Brasilien vorgeschlagen. Die Italiener drohen nun mit einem Gang zum internationalen Gerichtshof in Den Haag. Naja, wie man im ersten Kommentar zum Artikel lesen kann, sollten die Italiener lieber Vorsicht walten lassen – denn immerhin hat Brasilien als Alliierter im Zweiten Weltkrieg durch die UN-Feindstaatenklausel immer noch das Recht, Italien zu besetzen. Und wenn die USA versuchen würden, dies zu unterbinden, würde alle gültigen Verträge gebrochen werden (auch die deutschen Einigungsverträge) und es zum „Dritten Weltkrieg“ zwischen der NATO und den Schwellenländern (Brasilien, China, Russland) kommen. Und das wollen wir ja nicht riskieren!
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