Vince Ebert zur Wissenschaftsfeindlichkeit

In unserer Zeit erleben wir den totalen Atomausstieg, den Krieg gegen das vermeintlich teuflische CO2 und gegen Elektrosmog von Mobilfunkmasten. Vince Ebert hält nichts davon und sagt: „Albert Einstein würde sich im Grabe umdrehen„:

Mein Nachbar gründete neulich eine Bürgerinitiative gegen Elektrosmog, weil die Telekom bei uns um die Ecke einen Mobilfunkmast aufgestellt hat. Da haben über 1000 Leute unterschrieben, die angeblich unter Kopfschmerzen und Übelkeit leiden. Als er dem Telekom-Sprecher das Protestschreiben in die Hand gedrückt hat, sagte der: «Und wie schlimm muss es erst werden, wenn wir nächsten Monat den Mast auch noch in Betrieb nehmen…» – Im Ernst: Wenn unsere Nahrungsmittel angeblich immer giftiger werden, wir immer dicker und ungesünder werden, wenn der Zustand unserer Umwelt immer schlimmer wird – warum steigt dann unsere durchschnittliche Lebenserwartung? Wir werden so alt wie nie zuvor, dann kann doch nicht alles schlechter werden, oder?!

Ein Auszug von Vince Eberts Buch „Denken sie selbst“ bringt es noch deutlicher auf dem Punkt:

Quantenmechanik ist keine Fußmassage

„Naturwissenschaftler haben in der heutigen Zeit ein eher schlechtes Image – fast vergleichbar mit Attentätern oder Amokläufern. Die Allgemeinheit findet den Job total spannend, gleichzeitig will aber keiner etwas mit denen zu tun haben, die ihn ausüben. Wenn ich auf einer Party erzähle, dass ich Vorlesungen in Kernphysik besucht habe, dann glauben die Leute sofort, ich würde in meinem Hobbykeller Plutonium anreichern. Das stimmt natürlich, aber was ist daran so schlimm?

Gründe für dieses Imageproblem gibt es viele. In Filmen oder in der Literatur wird der Wissenschaftler  seit jeher als gefährlicher Psychopath dargestellt, der sich als Gott aufspielt: Dr. Faustus bei Goethe, Dr. Frankenstein bei Mary Shelley oder Dr. Brinkmann in der Schwarzwaldklinik. Dabei ist wissenschaftlicher Fortschritt erst einmal nie gut oder schlecht. Es kommt immer auf die Anwendung an. Mit einem Laser kann man eine Pershing-Rakete steuern oder im CD-Player Roberto Blanco hören. Was ist schlimmer?

Bedauerlicherweise ignorieren viele Menschen, dass es gerade die Wissenschaften waren, die uns ein angenehmes Leben ermöglicht haben. Der Ottomotor, der Kühlschrank oder die Röntgenstrahlen haben unsere Lebensqualität immens verbessert. Ohne die Erfindung der Glühbirne müssten wir sogar heute noch bei Kerzenlicht fernsehen.

Dieses Desinteresse an der Naturwissenschaft hat übrigens schon früheren Hochkulturen das Genick gebrochen. Die Mayas sind unter anderem deshalb untergegangen, weil viele von ihnen im neunten Jahrhundert einer großen Dürre zum Opfer fielen. Dabei hätten sie diese Katastrophe problemlos verhindern können, wenn sie einfach über die Jahre ordentlich Wetterberichte aufgezeichnet hätten.  Dann wären ihnen nämlich aufgefallen, dass es in ihrer Region regelmäßig zu extremen Trockenzeiten kommt. Doch was haben sie stattdessen dokumentiert? Endlose Ergüsse über die Heldentaten der Könige! Die Mayas sind also untergegangen, weil sie sich mehr für Gala und Bunte interessiert haben als für Bild der Wissenschaft. Das sollte uns eine Warnung sein.

Viele Menschen schwärmen von der „guten alten Zeit“. In Wirklichkeit jedoch war die gute alte Zeit kurz, dreckig und grausam. Ein vereiterter Zahn war eine unerträgliche Qual, Kinder wurden durch Rachitis verstümmelt, und die Menschen starben wie die Fliegen an Krankheiten, über die wir heute nur lächeln können. Nietzsche ist an Syphilis gestorben. Heute ist Syphilis mit Penicillin problemlos heilbar. Nietzsche wäre zwar inzwischen trotzdem schon tot, aber immerhin.

Wir alle sind Nutznießer von lebensrettenden Maßnahmen, die im letzten Jahrhundert von klugen Naturwissenschaftlern entwickelt wurden: sauberes Wasser, Impfungen, Antibiotika, Insulin, Hormone, schmerzstillende Mittel. Dadurch hat sich die Lebenserwartung in kürzester Zeit fast verdoppelt. Vor hundert Jahren gab es so wenig Siebzigjährige, weil die meisten Siebzigjährigen nicht über vierzig wurden. Es gab keine künstlichen Hüftgelenke, keine Betablocker und keine lila Dauerwelle. Die Menschen waren katastrophal ernährt. Fast so schlecht wie heute die Supermodels.

Kurz gesagt: Ohne den wissenschaftlichen Fortschritt hätte nur etwa die Hälfte von Ihnen dieses Buch gekauft. Weil die andere Hälfte nicht mehr am Leben wäre. Und das wäre doch jammerschade, oder?

Trotz dieser unglaublichen Erfolge haben Naturwissenschaftler in unserer Gesellschaft einen schlechten Ruf, Fortschritt und Technologie werden für die atomare Bedrohung verantwortlich gemacht, für Umweltverschmutzung, ja, sogar für die allgemeine Entmenschlichung. Das ist genauso, als würde man Newton für Flugzeugabstürze verurteilen, nur weil er die Theorie der Schwerkraft entwickelt hat.

So haben wir es derzeit mit der paradoxen Situation zu tun, dass die Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten praktisch alle Schlachten gewonnen, aber den Krieg trotzdem verloren hat. Umweltaktivisten, die Genmaisfelder verwüsten, werden bei vielen als Helden gefeiert, Arzneimittelforscher, die für ein vielversprechendes Parkinsonmedikament Tierversuche unternehmen, werden mit Geringschätzung bestraft.

Dadurch spielt die forschende Zunft in der öffentlichen Wahrnehmung eine immer unbedeutendere Nebenrolle. Unter den 100 einflussreichsten Intellektuellen in Deutschland sind gerade mal zwei Naturwissenschaftler. Die Diskussion über Leben und Tod, Gut und Böse, Arm und Reich wird in diesem Land hauptsächlich von Journalisten, Schriftstellern, Theaterleuten oder Theologen geführt. Personengruppen, die Ängste schüren und Dinge verteufeln, von denen sie oft nicht einmal im Ansatz verstehen, was diese bedeuten.

Wieso geht man wie selbstverständlich davon aus, dass Günter Grass genauso viel über die Globalisierung weiß wie ein Ökonomieprofessor? Warum glaubt man, ein katholischer Abt könne zur Stammzellenforschung Profunderes beitragen als ein Molekularbiologe? Etwa, weil sich Mönche durch Zellteilung vermehren?

Noch niemals waren die Naturwissenschaften erfolgreicher, noch nie waren ihre Auswirkungen auf unser Leben gewaltiger, und doch sind die Ideen und Theorien vielen, selbst gebildeten, Menschen, vollkommen fremd. Es ist erstaunlich, dass ein Großteil der Deutschen fälschlicherweise glaubt, durch den Verzehr von Gentomaten würden die eigenen Gene verändert werden. Oder das künstlich erzeugte Radioaktivität grundsätzlich gefährlicher ist als natürliche. Einigen ist sogar schleierhaft, warum ein Föhn trotzdem geht, obwohl ein Knoten im Kabel ist.

Doch das eigentlich Frustrierende ist: Die meisten sehen das noch nicht mal  als Problem. In intellektuellen Kreisen gilt es zwar als verpönt, nicht zu wissen, worin sich Faust I von Faust II unterscheidet, gleichzeitig brüstet man sich aber damit, keine Ahnung über den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu haben. Wenn Sie damit kokettieren, dass Sie Quantenmechanik für eine Fußmassage halten, gelten Sie im deutschen Bildungsbürgertum als cooler Typ. Unsere geistige Elite ist stolz auf ihre Ignoranz, schiebt in Podiumsdiskussionen stirnrunzelnd  das Rotweinglas von links nach rechts und drischt Phrasen über Ethik, Moral und Verantwortung.

Vor einigen Jahren schrieb der Literaturprofessor Dietrich Schwanitz in seinem Beststeller Bildung: „Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse werden zwar in der Schule gelehrt; sie tragen auch einiges zum Verständnis der Natur, aber wenig zum Verständnis der Kultur bei. Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.“

Eine – wie ich finde  – sehr arrogante Haltung. Denn wer Naturwissenschaft betreibt, lernt nicht nur etwas über Formeln und Zahlen, sondern er lernt, wie die Welt funktioniert, wo Erkenntnisgrenzen sind, und er lernt vor allem, was Wissenschaft bedeutet: skeptisch zu sein, kritische Fragen zu stellen, Autoritäten nicht blind zu vertrauen. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass Wissenschaft und Demokratie zum gleichen Zeitpunkt entstanden sind: im alten Griechenland.

Die Werte der Naturwissenschaften und die der Demokratie gleichen sich und können in vielen Fällen nicht unterschieden werden. Beide bestehen auf vernünftiges Denken und Aufrichtigkeit. Beide sind an keine privilegierten Positionen gebunden, fördern den freien Austausch von Ideen, unkonventionellen Meinungen und lieben den leidenschaftlichen Diskurs.

Der Nobelpreisträger Richard Feynman sagte dazu treffend: „Naturwissenschaft ist eine lange Geschichte, wie wir gelernt haben, uns nichts mehr vorzumachen.“ Noch vor 400 Jahren wurde jedes Unwetter und jede Krankheit, alles, was irgendwie außerhalb der Normalität war, dem Hexenwerk zugeschrieben. Heute liefern Molekularbiologie und Meteorologie eine Erklärung für das, was noch vor wenigen Jahrhunderten ausgereicht hat, um Frauen zu verbrennen.

Das größte Geschenk der Wissenschaft besteht darin, dass sie uns etwas über den Gebrauch von geistiger Freiheit lehrt. Lernen, die richtigen Fragen zu stellen; zu überprüfen, welche Gründe verlässlich sind, und sich bewusst sein, dass man vieles nur sehr unzulänglich weiß. Ist das etwa keine kulturelle Leistung, Herr Professor?“

9 Antworten to “Vince Ebert zur Wissenschaftsfeindlichkeit”

  1. Rettet die Science Busters! Offener Brief an den ORF @ gwup | die skeptiker Says:

    […] schreibt der Physiker und Kabarettist Vince Ebert: […]

  2. Aus für die Science Busters? Ein Offener Brief an ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz – Kritisch gedacht Says:

    […] schreibt der Physiker und Kabarettist Vince Ebert: […]

  3. Medizin: Wenn C-Promis die “Experten” spielen @ gwup | die skeptiker Says:

    […] Vince Ebert, der gerade mit seinem neuen Programm “Evolution” auf Tour ist, hat das mal so formuliert: […]

  4. Vince Ebert: Evolution @ gwup | die skeptiker Says:

    […] bei arprin kann man ein Kapitel aus seinem Buch “Denken Sie selbst” zum Thema […]

  5. Wissenschaftler und Esoterik: Bloß keine Stellung beziehen! @ gwup | die skeptiker Says:

    […] Ebert zur Wissenschaftsfeindlichkeit, arprin am 16. Juli […]

  6. Nospam Says:

    Sehr gut geschriebener Beitrag, insbesondere die leicht versteckte Satire war top, allerdings ein- oder zweimal ein wenig flach, vielleicht beim nächsten Mal nur die besten Satirehalbsätze drinlassen? Ansonsten 9/10.

  7. DFG-Präsident kann keine Grenze zwischen Pseudo und Wissenschaft ziehen @ gwup | die skeptiker Says:

    […] Ebert zur Wissenschaftsfeindlichkeit, arprin am 14. Juli […]

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