Systemkritik und 9/11, Teil 5: „Was ist mit den Opfern der USA?“

Osamas Erbe in New York

Als der Terror nach New York kam

Der 11.September ist vorbei, aber es ist noch nicht alles gesagt worden. Deswegen setze ich die Serie noch für einen Tag fort.

Am 11.September 2001 wurden in den USA 3000 Menschen innerhalb von knapp 100 Minuten bestialisch ermordet. Jede Minute starben 30 Menschen- verbrannt, verdunstet oder durch den verzweifelten Sturz aus mehr als 100 Metern. Sie hinterließen Tausende Waisen und Witwen. Es war eines der schlimmsten Massaker der letzten Jahre, wie Halabja oder Srebrenica. Dass die Amerikaner diesen Anschlägen gedenken, ist mehr als verständlich.

Für manche Personen, die sich als „US-Kritiker“ verstehen, erscheinen die Gedenkveranstaltungen aber als „zynisch“. Ihr Vorwurf: Die Amerikaner haben doch noch viel mehr Menschen umgebracht als al-Qaida und niemand gedenkt an sie. Am 11.September 1973 wurde in Chile durch ein Militärputsch General Augusto Pinochet an die Macht gebracht, in dessen anschließender Herrschaft 3000 Menschen ermordet wurden. Warum gibt es keine Gedenkveranstaltung für sie? Oder für die Toten der Kriege in Afghanistan und im Irak, für die Indianer und die Sklaven oder dem Vietnamkrieg? Ich habe von jemandem gehört, wenn es eine Schweigeminute für die 3000 Opfer von 9/11 gibt, dann sollte es 1000 Schweigeminuten (fast 17 Stunden) für die 3 Millionen Opfer des Vietnamkriegs geben.

Nun, wer solche Vergleiche bringt, der sollte auch die Gedenkfeiern an die Mauertoten als zynisch empfinden, weil die Nazis doch mehr als 20.000-mal mehr Menschen getötet haben als die Mauerwächter. Und Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Dritten Reichs wären auch zynisch, weil Mao mehr Menschen umgebracht hat als Hitler. Für kleinere Vorfälle wie Solingen, Utoya oder dem Columbine-Massaker dürfte es überhaupt keine Gedenkfeier geben, nie wieder. All das wäre „zynisch“.

Man kann die Toten nun mal nicht miteinander verrechnen, sowie es jüngst Günter Grass mit seinen Zahlenspielchen (6 Millionen tote deutsche Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg) tat. Die Geschichte der USA war sicher blutig, aber das trifft auf so gut wie jedes andere Land der Welt zu. Soll man ihnen verbieten, an ihre Toten zu gedenken, weil sie angeblich noch mehr Menschen umgebracht haben? Dann dürfte man den deutschen Opfern der Luftangriffe und der Vertreibung auch nicht mehr gedenken dürfen. Eine völlig absurde Vorstellung.

Bemerkenswert ist auch, dass bei den Zahlenspielchen immer nur die Opfer der einen Seite vorkommen. Indianer, Sklaven, Irak, Afghanistan, Vietnam, Chile. Die Verbrechen im Kongo, in Nordkorea, in Äthiopien oder in Kuba werden selten erwähnt. Die Völkermorde im Sudan werden nicht als Verharmlosung genannt, wenn es um 9/11 geht, aber Vietnam kommt immer wieder. Warum? Ganz einfach: Weil im Sudan keine Amerikaner am Werk waren, sondern arabische Milizen. Das zeigt: Die Kritik an den USA ist nicht als historische, sondern als ideologische Kritik gemeint.

So werden die Verbrechen der USA, die es zweifellos gab, gnadenlos ohne das Beachten von Fakten nach oben „gehitlert“. Der Friedensforscher Johan Galtung sagte: „Die USA haben seit 1805 weltweit 17 bis 20 Millionen Menschen getötet, das sind viel mehr als Hitler, wenn auch in einem größeren Zeitraum“. Woher er diese Zahlen hat, bleibt ein Rätsel. Die Indianerkriege von 1850 bis 1890 waren sicherlich grausam und durch nichts zu rechtfertigen, aber insgesamt starben dabei etwa 30-45.000 Indianer sowie 18.000 Weiße und nicht etwa mehrere Millionen. Im Vietnamkrieg waren die USA nicht die einzigen, die Verbrechen begingen. Die Vietcong haben wohl mehr Menschen getötet als die US Army (und nach Ende des Krieges sind ihnen weitere 1 Million Menschen zum Opfer gefallen, was keinem US-Kritiker zu interessieren scheint). Im Irak und Afghanistan haben die einheimischen „Widerstandskämpfer“ ebenfalls mehr Menschen auf dem Gewissen als die USA. Ein UNO-Bericht zeigte, dass 76% aller zivilen Kriegsopfer in Afghanistan im Jahr 2010 von den Taliban getötet wurden. Im Irak dürfte die Statistik ähnlich sein.

Auch wird übersehen, dass es in den USA während des Vietnam- und Irakkriegs zu Antikriegsdemonstrationen mit Millionen Teilnehmern kam, dass die meisten amerikanischen Intellektuellen den Krieg immer verurteilt haben (Bush-Kritik ist in Hollywood ziemlich angesagt) und dass die Indianer mittlerweile Entschädigungszahlungen bekommen (in ihren Reservaten dürfen sie z.B. Casinos betreiben, was in den USA mit Ausnahme von Las Vegas verboten ist). Man kann durchaus an tote Landsleute gedenken und an seine eigenen Verbrechen.

Beispiele für die heuchlerischen 9/11-Gedenkfeier-Kritiker kann man hier lesen. Einfach nur zum Haare raufen…

2 Antworten to “Systemkritik und 9/11, Teil 5: „Was ist mit den Opfern der USA?“”

  1. Burkhardt Brinkmann Says:

    Interessante Beiträge.
    Allerdings würde ich mir zu jedem Posting auch das Datum wünschen, damit man es chronologisch einordnen kann.

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