Besatzung, Apartheid und Mauer – Für die Saharauis ist das seit Jahrzehnten traurige Realität. Der von der Weltgemeinschaft vergessene Westsaharakonflikt ist noch immer ungelöst, und es sieht leider nicht danach aus, als würde sich das bald ändern.
Das heutige Westsahara wurde ab dem 8. Jahrhundert islamisiert. Die Saharauis gehören ethnisch zu den Arabern und Berbern. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die kaum bewohnte Wüstenregion zu einem spanischen Protektorat, die Saharauis leisteten jedoch lange Widerstand. Nachdem Marokko im Jahr 1956 seine Unabhängigkeit von Frankreich gewonnen hatte, beanspruchten sie auch die Herrschaft über das von Spanien kontrollierte Gebiet. Die Marokkaner konnten zwar die spanische Enklave Ifni zurückerobern, nicht aber die beiden Provinzen Saguia del Hamra und Rio de Oro, die 1969 zu Spanisch-Sahara zusammenfasst wurden.
Im Jahr 1973 wurde die „Frente Polisario“ gegründet, die das Ziel hat, Westsahara in die Unabhängigkeit zu führen. Der Name bedeutet „Volksfront zur Befreiung von Saguia del Hamra und Rio del Oro“ (Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro). Im November 1975 versuchten die Marokkaner, mit dem „Grünen Marsch„, einem Marsch von 350.000 Marokkanern nach Spanisch-Sahara, vollendete Tatsachen zu schaffen. Wenige Tage später unterzeichneten Spanien, Marokko und Mauretanien in Madrid ein Abkommen, das Spaniens Rückzug bis Ende Februar 1976 und die Teilung der Westsahara vorsah: Marokko sollte Saguia del Hamra bekommen, Mauretanien Rio de Oro.
Die Folge daraus war der Westsaharakrieg, der bis 1991 andauerte und etwa 10.000 Tote forderte. Die Polisario rief am 27. Februar 1976 die „Demokratische Arabische Republik Sahara“ aus und führte einen Guerillakrieg gegen die marokkanische und die mauretanische Armee. Die Führung der Polisario musste bald ins algerische Tindouf fliehen. Mit Mauretanien schloss man 1979 einen Friedensvertrag, die Mauretanier verzichteten auf jegliche Ansprüche und erkannten Westsahara als Staat an. Um ihre Ansprüche zu festigen, bauten die Marokkaner in den 1980ern einen langen Sandwall quer durch die Westsahara.
Dieser „Marokkanische Wall“ ist 2.500 km lang und mit Bunkern, Elektrozäune und Landminen gesichert. Die Polisario nennt ihn „Mauer der Schande“. Familien wurden auseinandergerissen, Landminen fordern immer wieder Opfer. Im Jahr 1991 wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Marokko und der Polisario geschlossen, der ein Referendum vorsah, in der die Einwohner der Westsahara selbst über den Status ihres Landes entscheiden sollten. Doch seit 22 Jahren ist nichts passiert. Stattdessen behandelt das marokkanische Regime die Saharauis wie Menschen zweiter Klasse. Sie dürfen keine Häuser, Geschäfte oder Werkstätten besitzen, marokkanische Siedler werden bevorzugt.
Mittlerweile sind ein Drittel der knapp 400.000 Einwohner der Westsahara Marokkaner. In dem von Marokko kontrollierten Teil des Gebiets (im offiziellen marokkanischen Sprachgebrauch „Südliche Provinzen“), der zwei Drittel der Westsahara ausmacht, leben 90% der Einwohner, hier liegt auch die größte Stadt El Aaiún (auch „Laayoune“). Das von der Polisario kontrollierte Gebiet wird „Freie Zone“ genannt. Die Führung der Polisario verweilt noch immer in der algerischen Provinz Tindouf, die Algerier haben die Polisario immer unterstützt. In Tindouf leben auch rund 165.000 Saharauis in vier Flüchtlingslagern, meist unter erbärmlichen Bedingungen.
Die UN-Friedensmission MINURSO hat keine Erfolge vorzuweisen. Sie ist nicht mal dazu befugt, die Menschenrechte in der Westsahara zu überwachen, Folter ist an der Tagesordnung. Die Saharauis versuchen immer wieder, auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Aminatou Haidar erlangte im November 2009 mit einem Hungerstreik im spanischen Flughafen Arrecife internationale Bekanntheit, man nannte sie die „Gandhi der Westsahara“. Im Oktober 2010 wurde ein „Camp der Würde“ in El Aaiún vom marokkanischen Militär gewaltsam zerschlagen, es gab mehrere Dutzend Tote. Im Februar dieses Jahres wurden 24 Aktivisten, die an der Aktion beteiligt waren, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Im April scheiterten die USA mit einem Antrag, die Überwachung der Menschenrechte in das Mandat der MINURSO aufzunehmen. Damit bleibt die Situation weiter festgefahren. Die Polisario hat dem bewaffneten Kampf abgeschwört und der internationale Druck auf Marokko ist, obwohl Westsahara von etwa 50 Staaten anerkannt wird und Mitglied der Afrikanischen Union ist (Marokko trat aus Protest aus), gering. Es ist deshalb kaum davon auszugehen, dass Marokko in naher Zukunft von seiner Position abrücken und die Besatzung der Westsahara beenden wird. Den Saharauis bleibt nur zu hoffen, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf Marokko erhöht und endlich auffordert,
– die Besatzung der Westsahara zu beenden,
– die Diskriminierung der Saharauis zu beenden,
– den marokkanischen Wall niederzureißen,
– ein Referendum über den Status der Westsahara abzuhalten und
– den in Algerien lebenden Saharauis die Möglichkeit zu geben, in einen zukünftigen Staat Westsahara einzuwandern.
Juni 18, 2013 um 23:16 |
Hmm… So einfach ist die Situation nicht. Es gab und gibt einige berberische Saharaui-Stämme die in den 70ern den marokkanischen König anerkannt haben. Dass Marokko dort absolut nichts zu suchen hat stimmt demzufolge nicht. Das Problem ist dass es dort keine richtig definierten Grenzen und kein offizielles Staatsvolk gibt. Es ist hauptsächlich ein Konflikt zwischen linken Volksbefreiungskräften und dem konservativen marokkanischen Königshaus. Dass Algerien als Rivale die Gegner Marokkos unterstützt verwundert nicht. Das soll jetzt allerdings keine Wertung sein, ich halte das autoritäre Gebahren Marokkos für einen Fehler, unter dem
Früheren könig war es allerdings noch schlimmer.
Juni 19, 2013 um 00:13 |
Marokko hat dort absolut nichts zu suchen. Die Saharauis könnten in einem Referendum selbst über den Status ihres Landes abstimmen, aber das verhindert Marokko ja. Und natürlich hat Marokko kein Recht, die Saharauis wie Bürger zweiter Klasse zu behandeln und das Land mit einem Sandwall zu teilen.
Westsahara hat eine definierte Grenze und die Menschen, die dort leben, sind die, die über den Status des Landes entscheiden sollten.
Ich weiß, dass Algerien nur aus taktischen Gründen die Polisario unterstützt.
Juni 19, 2013 um 00:43 |
Der Grüne Marsch, das war einmal Kalter Kriegs-Jihad im Maghreb.
Sowas gab es keineswegs nur in Afghanistan. Daran sieht man einmal, was sich die Sunniten alles verscherzt haben und wie gut das alles mal lief mit dem Westen.
http://en.wikipedia.org/wiki/Gdeim_Izik_protest_camp
„has been suggested by Noam Chomsky, that the month-long protest encampment at Gdeim Izik constituted the start of the Arab Spring“
Wenn Chomsky das sagt, dann wird es ja wohl stimmen.
Juni 27, 2013 um 22:44 |
Eine beabsichtige liebevolle Würdigung des Gesamtphänomens Arabisches Erwachen und politischer Islam geriet mir umständehalber zu einer Betrachtung über einen Großen Krieg Nr. IV. (britisch-nostalgischer Zeitrechnung und ohne westliche Anlegestellen).
Meine Formel zur Güte für eine schärfere Optik: Der ganze Islamismus ist zunächst einmal schlimm, bevor er auch noch böse werden kann. (Außer gegenüber Israel, da ist er immer auch sofort böse).
http://blog.zeit.de/joerglau/2013/06/27/gastbeitrag-jugenduberhang-und-neuer-konfessionskrieg_6043
Schaut mal vorbei und schreibt, wie Ihr das seht, auf der Skala von kraus zu klar.
Juni 28, 2013 um 00:10 |
Gut, dass der Lau dich mal einen Artikel hat schreiben lassen. Ich hatte mal einen ZEIT-Account, aber irgendwie funktioniert die Anmeldung nicht mehr.
Du hast eine gute Analyse gemacht. Der alte Krieg zwischen Sunniten und Schiiten ist voll im Gang, gerade in Syrien. Und das ganze wird auch durch den „youth bulge“ befeuert (Gunnar Heinsohn hat dazu einiges geschrieben). Immerhin: Die Geburtenraten sinken aktuell rapide.
Juni 28, 2013 um 15:52
„Die Geburtenraten sinken aktuell rapide.“ – Und daher: Strategische Torschlusspanik, jetzt oder nie. Iran: die 45-Jährigen sehen, dass sie von den jetzt 25-Jährigen kaum die Hälfte für sich haben und Folgegeneration: Fehlanzeige.
Dito etwas zeitversetzt: Türken und Araber. Bei den Kurden müssen die Alt-Kader fürchten, dass sich ihnen die Jugend von der säkularen Revolutions-Flagge weg islamisiert:
„Nine years later she left the organization, after a fight over the way female fighters should dress for sports. She demanded they should wear T-shirts and shorts, just like the men. When she insisted, she was locked away for a month, only to be released after her team and other comrades openly took a stand in her favor.“
http://rudaw.net/english/kurdistan/19062013
Wenn schon der Apo-Kult von der Renaissance der Scham-Kultur angekränkelt werden kann, dann ist doch alles zu spät.
Bei Heinsohn gibt es einen Hinweis, dass die Japanische Armeeführung sich unter dem Endruck des letzten Rekrutenjahrgangs zum Krieg entschieden hatten, der noch stärker war, als der vorherige.
Die Botschaft: ‚Die nächsten werden weniger sein‘ hießt: Jetzt oder nie. Neuer Katastrophenbericht von der ICG:
http://www.crisisgroup.org/en/regions/middle-east-north-africa/egypt-syria-lebanon/syria/143-syrias-metastasising-conflicts.aspx
Einfach neu anmelden bei DER ZEIT; der Geheimtipp ist die konspirative „Zeitgeist“-Kolumne des Herausgebers, eines kühlen Atlantikers, der über dem ganzen thront.
August 8, 2014 um 22:27 |
http://time.com/3085464/theres-a-new-terror-threat-emerging-in-western-sahara-and-the-world-isnt-paying-attention/
August 9, 2014 um 22:28 |
Danke für den Link. Noch ist das reine Spekulation, aber wenn die Saharauis weiterhin so perspektivlos bleiben, könnte das durchaus wahr werden. Was wirklich schade wäre, denn bis jetzt gab es in Westsahara praktisch keine Probleme mit dem radikalen Islam.