Archive for Juli 2013

WM-Geschichte, Teil 8

Juli 31, 2013
Englands Kapitän Bobby Moore nimmt den Jules Rimet-Pokal von der Queen entgegen

Englands Kapitän Bobby Moore nimmt den Jules Rimet-Pokal von der Queen entgegen

Hier nun der siebte Teil der WM-Reihe, die im November 2012 startete und im Mai 2014 ihren Abschluss finden wird. Auf all die legendären Spiele, unglaublichen Tore und unvergessene Spieler, die das größte Sportereignis der Welt von 1930 bis 2010 hervorgebracht hat, sich tief in das Gedächtnis von Millionen Menschen eingebrannt haben und bisweilen zu nationalen Mythen avancierten, wird zurückgeblickt. Dieses Mal ist die WM 1966 dran. Erstmals findet die WM in England, dem Mutterland des Fußballs, statt. Das stalinistische Nordkorea, ein schwarzer Panther und zwei irreguläre Tore im Finale sorgen für Aufsehen.

Vor der WM

Im Jahr 1966 herrschte zwischen den beiden Weltmächten die Zeit der Entspannungspolitik, die USA versuchten erfolglos den Kommunismus in Vietnam aufhalten, Mao rief die Kulturrevolution aus, Suharto ließ eine halbe Million Indonesier massakrieren und vom 11. bis zum 30. Juli fand in England die achte Fußball-Weltmeisterschaft statt. Der englische Fußballverband (FA) feierte im Jahr 1963 sein 100. Jubiläum und bekam den Vorzug vor Deutschland und Spanien. Es bewarben sich 71 Mannschaften, 31 aus der UEFA-Zone, erstmals alle 10 südamerikanischen Länder, 4 aus Asien (Israel und Syrien nahmen jedoch in der UEFA-Zone teil), 16 aus Afrika, 9 aus der CONCACAF-Zone und mit Australien eine Mannschaft aus Ozeanien. England als Gastgeber und Brasilien als Titelverteidiger waren automatisch qualifiziert. (more…)

Meinungsfreiheit unter Beschuss

Juli 30, 2013

Gérard Bökenkamp erklärt in folgendem Video, warum Meinungsfreiheit unverzichtbar ist:

Es gibt drei Arten von Meinungsäußerungen:
– Erstens: Meinungen, die wir teilen und die uns sympathisch sind.
– Zweitens: Meinungen, die uns egal sind und die uns gleichgültig lassen.
– Drittens: Meinungen, die uns auf die Palme bringen, die uns wütend machen oder die wir schlicht unerträglich finden.

Nur wenn auch die Meinungen, die wir nicht teilen, geäußert werden dürfen, herrscht wirkliche Meinungsfreiheit. Der Satz „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst“ bringt das gut auf den Punkt (er stammt von Evelyn Beatrice Hall, wird aber oft fälschlicherweise Voltaire zugeschrieben). Auch wenn die Meinungsfreiheit im Westen am besten geschützt ist, steht sie in einigen Fällen noch immer unter Beschuss, wie einige Fälle aus letzter Zeit zeigen.

Vor einigen Wochen hatte das Antirassismuskomitee der UNO in den Aussagen von Thilo Sarrazin „verbrecherische Thesen“ entdeckt und sah daher „Handlungsbedarf bei der Bekämpfung des Rassismus in Deutschland“. Zum Glück hat die Berliner Justiz angekündigt, dass es kein neues Verfahren gegen Sarrazin geben wird. Was Sarrazin erspart bleibt, droht jetzt Bushido. Nachdem er in seinem neusten Lied abfällig über Klaus Wowereit geäußert und angekündigt hat, auf Claudia Roth zu schießen und sich, hat Wowereit eine Strafanzeige gegen ihn gestellt. Sicher nicht die schlechteste Marketingkampagne für den „Ghetto-Rapper“. (more…)

Lincoln, Libertäre und das Sezessionsrecht

Juli 25, 2013

War Abraham Lincoln ein Tyrann?

Wie die Zeitung „Washington Post“ vor zwei Wochen berichtete, tobt in der „libertären“ Szene in den USA zurzeit ein Streit darum, ob die Sezession der US-Südstaaten, die von Abraham Lincoln verhindert wurde, legitim war oder nicht. Ich denke, dass die Bevölkerung einer Region, die nach Unabhängigkeit strebt, diese auch bekommen sollte, um endlose Bürgerkriege zu vermeiden (Kurdistan, Tibet, Tschetschenien, Westsahara, Kosovo, Balutschistan, Sinkiang, Nagaland usw.). Voraussetzung sollte sein, dass die Bevölkerung in der Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmt. Der liberale Cheftheoretiker Ludwig von Mises vertrat in seinem Standardwerk „Liberalismus“ die Ansicht:

“Wenn die Bewohner eines Gebietes, sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer Reihe von zusammenhängenden Landstrichen, durch unbeeinflusst vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, dass sie nicht in dem Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich angehören, sondern einen selbständigen Staat bilden wollen oder einem anderen Staate zugehören wollen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern … Wenn es irgend möglich wäre, jedem einzelnen Menschen dieses Selbstbestimmungsrecht einzuräumen, so müsste es geschehen.”

Bedeutet das aber, dass jede dahergelaufene Bande, die sich zum Staat erklärt, das Recht auf Sezession haben sollte? Wenn es so wäre, würden wir wohl ziemlich viele mafia-ähnliche Gebilde bekommen, die sich gegenseitig bekriegen. Es sollte daher schon an Bedingungen geknüpft sein, und zwar, dass der neue Staat die Rechte seiner Bürger achtet. Das war bei den US-Südstaaten nicht der Fall, die Konföderierten waren Sklavenhalterstaaten. Es waren im Übrigen die Konföderierten, die mit der Bombardierung von Fort Sumter den Krieg anfingen. Klar kann man Lincoln wegen vieler seiner Maßnahmen kritisieren, aber es ist nicht gerechtfertigt, die Südstaaten zu den Opfern zu erklären. (more…)

Die Regeln des Propagandakriegs

Juli 21, 2013
Kann er Syrien retten?

Held der antiimperialistischen Fraktion: Bashar al-Assad

In der letzten Woche habe ich mich mit einem regelmäßigen Kommentator dieses Blogs auseinandergesetzt, der seit Januar 2012, anfangs noch unter dem Namen „Warbreak“, später „Nichtglauber“, diesen Blog besucht. In dem Artikel, in dem es um seine Truther-Logik ging, habe ich ein Thema außen vor gelassen, und zwar seine Ansichten zum Bürgerkrieg in Syrien.

Die meisten seiner nun schon mehr als 200 Kommentare in meinem und in Aron Sperbers Blog drehen sich um das Thema Syrien. Die Argumente, die Nichtglauber benutzt, um seine Ansichten zu Syrien zu formulieren, sind identisch mit den „Zehn Gebote des Antiimperialismus„. Anhand einiger Beispiele werde ich zeigen, woran seine Argumentation krankt. (more…)

Die Argumente gegen freie Einwanderung

Juli 18, 2013
 Der Grenzwall zwischen Mexiko und den USA: Lasst Hundert Mauern erblühen!

Der Grenzwall zwischen Mexiko und den USA: Lasst Hundert Mauern erblühen!

Die von Vipul Naik ins Leben gerufene Initiative „Open Borders“ engagiert sich seit März 2012 für offene Grenzen. Diese Forderung stößt bei den meisten Menschen auf Ablehnung. Die Achse des Guten begang vor einigen Wochen einen Mega-Stilbruch, als sie asoziale Leserkommentare veröffentlichte, die Claudia Roths Kritik der europäischen Flüchtlingspolitik parodierten. Auch in meinem Artikel zu Open Borders gab es viel Kritik, wenn auch in höflicherem Ton. Was viele missachten: Open Borders geht es nicht darum, die aktuellen Zustände zu verteidigen oder mehr Einwanderung zu forcieren. Sie wollen den Menschen bloß die freie Wahl lassen. Dafür braucht es offene Grenzen.

Die Probleme, die sich durch Einwanderung ergeben, können gelöst werden, ohne den Menschen das Recht auf Freizügigkeit zu nehmen. Bei dem Blick auf diese Probleme sollte man aber erwähnen, dass es nicht gerechtfertigt ist, die Einwanderung komplett zu verdammen. Es gibt in Deutschland 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, und sogar Sarrazin erkennt an, dass es mit den meisten wenige Probleme gibt. Die Polen, Griechen, Spanier, Vietnamesen, Iraner und Inder müssen sich ganz beleidigt vorkommen, wenn sie immer wieder hören: „Die Integration ist gescheitert“. Dabei weiß jeder, dass Neukölln gemeint ist und nicht irgendwelche Chinatowns oder Little Italys.

Wenn man Einwanderern Sozialleistungen verwehrt, wären die meisten Probleme, die sich durch Einwanderung ergeben, bereits gelöst. Am besten wäre es natürlich, den Sozialstaat für alle zu begrenzen, aber selbst wenn man ihn vorläufig nur für Einwanderer begrenzt, ist das nicht „diskriminierend“, denn jede Verringerung des Sozialstaats ist zu begrüßen. Wer national denkt, kann fordern, dass Einwanderer auch dann nicht kommen dürfen, wenn sie für sich selbst sorgen – wer liberal denkt, erkennt, dass es sehr wohl eine Diskriminierung ist, anderen Menschen aufgrund willkürlicher Grenzen vorzuschreiben, wo sie leben dürfen und wo nicht.

Um meine Position genauer zu erklären, werde ich mich im Folgenden mit drei Argumenten auseinandersetzen, die häufig von Gegnern von freier Einwanderung gebracht werden. Da ist erstens die Behauptung, die Einwohner eines Landes sollten selbst bestimmen dürfen, wer in ihr Land einwandert und wer nicht (also wie das gewöhnliche Hausrecht), zweitens das Argument, dass Einwanderer die nationale Identität und Kultur eines Landes gefährden und drittens die Befürchtung, Einwanderer könnten die Bevölkerungsmehrheit übernehmen und das Aufnahmeland annektieren. (more…)

Der peinliche Friedrich Naumann

Juli 14, 2013
Friedrich Naumann

Friedrich Naumann

Da wir schon bei Eugen Richter sind, können wir uns auch gleich mit der Frage beschäftigen, was mit dem klassischen Liberalismus geworden ist, nachdem Richter nicht mehr da war. Denn diese Tragödie verfolgt uns bis heute. Verbunden ist der Niedergang des deutschen Parteiliberalismus mit dem Namen Friedrich Naumann. Seit 1958 gibt es die FDP-nahe „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit„, der u.a. der Think Thank „Liberales Institut“ ansässig ist und das Magazin „liberal“ herausgibt. Dort werden durchaus liberale Ideen und Prinzipien vertreten, doch das kann kaum in Naumanns Sinne sein, denn Naumann war Nationalist, Sozialist und Imperialist.

Es ist bezeichnend, wie von heutigen Liberalen versucht wird, Naumanns Ansichten mit dem Liberalismus in Einklang zu bringen. Man sagt einfach, dass es eine andere Zeit war und man eben Kompromisse eingehen musste. Und hier liegt das Problem: Der Liberalismus ist eine universelle Lehre, unabhängig von Zeit oder Ort, und die liberalen Werte dürfen für nichts verraten werden. Dieser Beitrag in der Freisinnigen Zeitung, den ich mit freundlicher Genehmigung übernehme, beschreibt den Unterschied zwischen Eugen Richter und Friedrich Naumann ganz gut und zeigt außerdem, dass Richter trotz des damaligen Zeitgeistes seine Prinzipien niemals verriet.

Der peinliche Friedrich Naumann

Am 24. Januar 2011 veröffentlichte Götz Aly in der Frankfurter Rundschau eine Abrechnung mit Friedrich Naumann: “Die Leiche im Keller der FDP”. Er stellte dazu einige Zitate des Meisters zur Außenpolitik und zum Imperialismus zusammen, die einfach nur widerwärtig sind. Aly bezieht sich dann auf Friedrich von Hayeks Einschätzung, daß Friedrich Naumann einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus war.

Am 5. Februar 2011 wies Wolfgang Gerhardt namens der Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP den Vorwurf zurück. Allerdings waren seine Argumente kläglich. Irgendwie seien doch alle Imperialisten gewesen. (more…)

Remember Eugen Richter

Juli 13, 2013
Eugen Richter

Eugen Richter

Die Sozialdemokraten haben die Macht im Deutschen Reich übernommen. Alle Bürger bekommen den gleichen Lohn, die Arbeit wird per Los verteilt. Alle, die unter 21 sind, werden ihren Familien entrissen und in Jugendanstalten gebracht, die über 65-jährigen landen in Altersheime. Es werden Staatsküchen eingerichtet. Die Ausreise wird verboten. Nach einigen Monaten ist die Produktion um zwei Drittel gesunken. Den Arbeitern fehlt die Motivation. Alle bekommen denselben Lohn, wozu sich noch anstrengen? Die Unzufriedenheit steigt, es bricht ein Streik von Metallarbeitern aus. Und dann greifen auch noch Frankreich und Russland das Reich an.

Das ist die düstere Welt, die vom liberalen Reichstagsabgeordneten Eugen Richter, der von 1867 bis 1906 im preußischen Abgeordnetenhaus und im Deutschen Reichstag vertreten war, in seinem Roman „Sozialdemokratische Zukunftsbilder“ gezeichnet wird. Ein überzeugter Sozialdemokrat, der während der Zeit schwere Schicksalsschläge verarbeiten muss und beginnt, an seiner Weltanschauung zu zweifeln, beschreibt dort in einem fiktiven Tagebuch seine Erlebnisse im sozialdemokratischen Paradies. Damals bestand zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten praktisch kein Unterschied.

Nach Eugen Richter gab es wohl keinen einzigen deutschen Politiker, der den klassischen Liberalismus so konsequent vertrat wie er. Wir müssen dabei bedenken, dass Richter in einer Zeit lebte, in der die Staatsquote noch bei 10% (heute 50%) und der Höchststeuersatz bei 4% (heute 42%) lag, aber auch in einer Zeit, in der Nationalismus, Sozialismus und Imperialismus dabei waren, die Welt ins Chaos zu stürzen. Heute ist Richter weitgehend vergessen, auch in der FDP wurde der klassische Liberalismus immer weiter verwässert. Aber nicht bei allen. Es gibt noch einen Politiker, der Richters Erbe hochhält, und vor einem Monat hielt er eine Rede im Bundestag. (more…)

Verschwörungstheoretische Diskurslogik

Juli 10, 2013
Osamas Erbe in New York

Die Truther halten 9/11 für eine zionistische False-Flag-Operation

Es gibt viele Bezeichnungen, die dazu geeignet sind, um mit ihnen eine Person zu diskreditieren. Eine davon ist das Wort „Verschwörungstheoretiker“. Wer mit diesem Wort belegt wird, gilt meist als unseriös und unglaubwürdig. Dabei gibt es durchaus viele plausible Verschwörungstheorien und viele offizielle Versionen, die nichts als ein Haufen Lügen sind. Allerdings gibt es einige Verschwörungstheoretiker, die nicht nur eine gesunde Skepsis gegen offizielle Versionen an den Tag legen, sondern grundsätzlich überall eine Verschwörung oder geheimen Plan wittern. Wenn von „Verschwörungstheoretikern“ die Rede ist, sind in den meisten Fällen diese Hardcore-Truther gemeint.

Das wichtigste Merkmal verschwörungstheoretischer Argumentation ist: Sie glauben niemals an Zufälle. Hinter allen weltpolitischen Ereignissen – ob 9/11, Syrien, Mali oder Boston – sehen sie einen Masterplan, der von geheimen Kräften im Hintergrund umgesetzt wird. Die Truther haben also ein sehr einfaches Weltbild: Anstatt die vielfältigen Gründe für das Zustandekommen von politischen Krisen, Aufständen oder Kriegen zu analysieren, vermuten sie hinter allen Problemen der Welt immer denselben Schuldigen. Die wirkliche Welt ist für sie schlicht zu komplex. Wer aber sind diese ewig gleichen Verschwörer, von der die Rede ist? Lassen wir dazu mal „Freeman“ zu Wort kommen:

Was die meisten Kommentatoren hier nicht kapieren … ist das grosse Bild und um was es wirklich geht. Sie sehen nicht, wer wirklich die Fäden im Hintergrund zieht … es ist Israhöll … Zionisten spielen die ganzen Länder im Nahen Osten gegeneinder aus … Alle Kriege dienen nur Israhöll … Länder die eine Führung haben, die sich nicht den Zionisten beugt, werden platt gemacht. Das geniale ist, die Zionisten machen sich dabei nie die Hände selber schmutzig, sondern die Drecksarbeit des Tötens erledigen die Amerikaner für sie, oder die NATO, oder die Moslems selber. … wacht endlich auf und kapiert um was es wirklich geht. … Wir haben nur einen gemeinsamen Feind und das ist die globale Elite, welche die Weltherrschaft will. Sie versklaven uns mit ihrem Finanzsystem, zerstören unsere Lebensweise mit ihrer perversen Unkultur und lassen uns ihre Eroberungskriege führen.

Die Tendenz sollte klar sein. Die „geheimen Weltlenker“, von denen immer die Rede ist, sind: Israel, das von der Israel-Lobby kontrollierte USA und die übrigen NATO-Staaten sowie die mit den USA verbündeten Golfstaaten, außerdem noch die CIA, der Mossad, die Bilderberger und al-Qaida. Die gängigste Abkürzung für dieses konspirative Konglomerat ist „die Zionisten“. Oft versuchen die Truther, ihre Theorien mit vermeintlichen Fakten zu untermauern, und wenn man unvorbereitet ist, kann man in einer Diskussion schnell den Kürzeren ziehen. (more…)

Der linke Sozialnationalismus

Juli 6, 2013
Freihandel und Protektionismus

Freihandel und Protektionismus

Einer der klassischen sozialistischen Positionen ist der Internationalismus: Der Kampf gegen die Bourgeoisie und für die Arbeiterklasse wird international verstanden. In heutiger Zeit geben die Sozialisten vor, den Internationalismus immer noch hochzuhalten. Doch in Wahrheit betreiben sie eine Politik, die darauf abzielt, die Arbeiter im eigenen Land vor Arbeitern aus dem Ausland zu schützen, also eine Form von „Sozialnationalismus“. In seinem Buch „Richtigstellung. Ein polemisches Soziallexikon“ definiert Gerd Habermanns den Begriff Sozialnationalismus so:

„Dominierende Einstellung sozialdemokratischer Parteien Europas, die ihre nationalen Klientel gegen internationalen Wettbewerb abschirmen wollen und dabei ihren sonst immer aufgesetzten „Internationalismus“ sofort preisgeben, wenn es darum geht, hergebrachte Lebensstandards ihre Wählerschaft gegen Lohn-, Steuer-, Sozial- oder sonstige Konkurrenz aus dem Ausland zu schützen. Dies wird als „Dumping“ gebrandmarkt und es wird zu protektionistischen Gegenmaßnahmen oder aber – sozial-imperialistisch – zu allgemeinverbindlichen „Mindeststandards“ über alle nationalen Grenzen hinweg aufgerufen.“

Ein Beispiel für sozialnationalistische Politik lieferte jüngst Sahra Wagenknecht, als sie forderte, dass deutsche Unternehmen keine Lehrstellen an Südeuropäer vergeben, sondern zuerst an die deutschen Arbeitslosen denken sollten. Solche Parolen sind indes nichts Neues für die Linkspartei: Im Jahr 2005 meinte Oskar Lafontaine, dass der deutsche Staat verpflichtet sei, seine Bürger zu schützen und deshalb verhindern müsse, dass deutsche Familienväter und Frauen arbeitslos werden, „weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“. Die NPD sagt „Arbeit zuerst für Deutsche“, die Linkspartei sagt „Schutz vor billiger Konkurrenz“, aber gemeint ist dasselbe. (more…)

Militärputsch im Namen des Volkes

Juli 3, 2013

Millionen Ägypter gegen Mursi:

“In Ägypten hat das Militär die Kontrolle übernommen. Die Armeespitze hat Präsident Mursi seines Amtes enthoben und eine Übergangsregierung eingesetzt, die das Land bis zu Neuwahlen führen soll. Bis dahin wird der Chef des Verfassungsgerichts die Aufgaben des Präsidenten übernehmen. Die Verfassung, die von den Muslimbrüdern in einem umstrittenen Referendum durchgepeitscht wurde, wird vorübergehend außer Kraft gesetzt. … Auf dem Tahrir-Platz brach im Anschluss an die Erklärung ohrenbetäubender Jubel aus. Die Menschen feiern den Sturz des Präsidenten und die Aufhebung der Verfassung. Feuerwerk stieg in den Himmel.” (Spiegel)

Soll man sich nun darüber freuen, dass das Militär einen demokratisch gewählten Präsidenten gestürzt hat oder nicht? Normalerweise ist das keine gute Nachricht. Zumal das Militär Ägypten sechs Jahrzehnte lang beherrscht hat und eine erhebliche Mitverantwortung für die politische, wirtschaftliche und soziale Misere im Land trägt. Aber der Putsch gegen Mursi war kein gewöhnlicher Putsch. Er ist eher vergleichbar mit den Ereignissen im Februar 2011, als Mubarak gestürzt wurde: Dem Putsch gingen Massendemonstrationen bevor, er wurde quasi vom Volk erzwungen und er stürzte einen autoritär herrschenden Präsidenten.

Alles begann, als im April Mursi-Gegner aus verschiedenen Oppositionsgruppen die Kampagne „Tamarod“ (Rebellion) ins Leben riefen. Das Ziel war, bis zum 30. Juni, dem ersten Jahrestag der Machtübernahme Mursis, mehr als 15 Millionen Unterschriften gegen Mursi zu sammeln (dies war die Anzahl an Wählerstimmen, die Mursi bei den Präsidentschaftswahlen für sich erringen konnte). Dieses Ziel gelang bereits am 15. Juni, insgesamt sind 22 Millionen Unterschriften zusammengekommen. Anschließend wurde für den 30. Juni eine Massenkundgebung geplant, in der die Opposition Mursi zum Rücktritt auffordern sollte. (more…)