Vor zwei Tagen brach in Russland ein spontaner Jubelsturm aus. Aber nicht, weil irgendwo ein Schwuler verprügelt wurde, nein, der Anlass für den Freudentaumel war die Meldung vom Tod eines ehemaligen sowjetischen Politikers. Und zwar nicht irgendeinen, sondern, wie könnte es anders sein, von Mikhail Gorbachev, dem Mann, der die Sowjetunion zu Grabe getragen hat. Noch immer muss Gorbachev dafür Personenschutz beantragen, wenn er sich in Russland in der Öffentlichkeit sehen lässt.
Während Stalin, der ein Staatsbegräbnis bekam, in einer landesweiten TV-Umfrage zum „besten Russen in der Geschichte“ auf Platz 3 landete und die Hälfte der Jugend ihn für einen „weisen Führer“ hält, ist kein Mann in Russland verhasster als Gorbachev. Die Nachricht von seinem Ableben stellte sich zwar als Fake heraus, doch sie reichte aus, um Reaktionen wie „Verräter“, „Judas Gorbi“ oder „Wir kommen zu seiner Beerdigung, um auf seinen Sarg zu spucken“ auszulösen. Für den Spiegel gibt es für diesen Hass nur eine Erklärung: „Sie hassen Gorbatschow, weil sie ihn nie verstanden haben.“
An diesem Befund ist in der Tat was dran. Die Russen haben Gorbachev falsch verstanden. Aber leider haben ihn auch die Deutschen falsch verstanden. In einem Interview mit dem Spiegel von 2011 stellte Gorbachev nochmal explizit klar, dass er nie vorhatte, die Sowjetunion aufzulösen. Damit gibt es keinen Grund für den Hass der Russen auf Gorbachev, denn er hat nicht „die Sowjetunion für 30 Silberlinge verkauft“, aber es gibt auch wenig Grund für die „Gorbi, Gorbi, Gorbi“-Rufe im Westen.
Gorbachev hatte nicht vor, das kommunistische System zu beenden und den Ostblock in Freiheit und Unabhängigkeit zu entlassen. Er wollte mit seinen Reformen vielmehr die Sowjetunion retten. Das Riesenreich stand bei seinem Amtsantritt vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Ein wichtiger Grund waren die hohen Rüstungsausgaben, die in der Reagan-Ära noch verstärkt wurden, aber natürlich auch die desaströse Planwirtschaft. Die von Gorbachev angestoßenen Reformen begannen bald ein Eigenleben zu führen, an deren Ende der Zusammenbruch des Ostblocks stand.
Man kann Gorbachev sicher gut halten, dass er die politische Kultur in Russland etwas zivilisiert hat, die Meinungs- und Pressefreiheit stärkte und die Rote Armee aus Afghanistan zurückholte. Auch hat er es nicht verdient, einen schlechteren Ruf zu haben als Stalin. Aber dennoch gehört er zusammen mit Leuten wie Atatürk, Roosevelt, Gandhi und Rigoberta Menchu zu den meistüberschätzten politischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.
August 11, 2013 um 00:55 |
Stauffenberg ist jetzt auch nicht der große deutsche Volksheld.
ich finde es passend, dass mit Tom Cruise eines der Lieblings-Feindbilder der deutschen Intelligenzija die Rolle gekriegt hat
August 11, 2013 um 04:02 |
[…] Jorge Arprin auf seinem Blog arprin: Gorbachev falsch verstanden […]