Die Hoffnung für Ägypten ist noch nicht gestorben, denn der wichtigste Mann des Landes hat seine Rückkehr angekündigt. Er steht für ein besseres Ägypten, tolerant, weltoffen, modern und humorvoll. In Umfragen gilt er als die mit Abstand beliebteste Person im Land. Im letzten Jahr sahen ihn jede Woche über 30 Millionen Menschen, wie er das politische Geschehen des Landes kommentierte. In diesen instabilen Zeiten, in denen die Menschen ihr Vertrauen auf die Politik längst verloren haben, ist seine Rückkehr ein Hoffnungsschimmer. Natürlich handelt es sich um den TV-Komiker Bassem Youssef.
Youssefs Witze sind ein Gradmesser für die Freiheit in Ägypten. Er startete seine Karriere bei Youtube während der Proteste gegen Mubarak und avancierte später zum ersten Polit-Satiriker des Landes. Im Fernsehen machte er Witze über das Militär, die Muslimbrüder und deren Antisemitismus. Im April letzten Jahres wurde er wegen seiner Witze über Mursi verhaftet und stundenlang verhört, aber zum Glück wieder freigelassen. In seiner ersten Sendung nach dem Putsch machte er dann auch Witze über General Sissi, prompt wurde die Show abgesetzt. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Menschen schon verhaftet wurden, weil sie Affen nach Sissi benannten.
General Sissi ist viel weniger schlimm als ein islamistischer Gottesstaat, aber er ist ein Despot. Nicht nur gewaltbereite Mursi-Anhänger, sondern auch Hunderte unbewaffnete Demonstranten wurden nach dem Putsch getötet. Sissis „Antiterrorkampf“ beschränkt sich jedoch längst nicht mehr auf die Muslimbrüder. Säkulare Aktivisten werden verhaftet und zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie das Militär kritisieren. Die für die ägyptische Wirtschaft desaströsen Privilegien der Militärs bleiben unangetastet. So kann man über die ägyptische Revolution sagen: Sie hätte deutlich schlimmer scheitern können, aber: Ja, sie ist gescheitert.
Die neue ägyptische Verfassung, offiziell mit 97% der Stimmen angenommen, garantiert viele Freiheiten. Die Pressefreiheit wird weiter gefasst als unter Mubarak, Einschränkungen in der Religionsfreiheit sind viel geringer als im Entwurf der Muslimbrüder (so dürfen Christen wieder Kirchen bauen und die Al Azhar-Universität bekommt kein Vetorecht für religiöse Angelegenheiten). Aber absolute Meinungsfreiheit wird nicht eingeräumt. Blasphemie bleibt strafbar und keine andere Religion außer Islam, Christentum und Judentum darf ausgeübt werden (dies trifft vor allem die Baha’i und die etwa 3 Millionen Atheisten).
Verheerend sind auch die Privilegien der Militärs. Sie dürfen weiterhin ihr Budget selbst bestimmen, den Verteidigungsminister ernennen und Zivilisten in eigenen „Militärgerichten“ aburteilen. Dazu bleibt ihre Wirtschaftsmacht erhalten, sie kontrollieren einen Großteil der Unternehmen. Das Militär bleibt weiterhin ein Staat im Staate – politisch, wirtschaftlich, sozial. Der „arabische Sozialismus“ brachte 60 Jahre Elend. Ägypten wurde von den aufstrebenden Volkswirtschaften in Ost- und Südasien und später von Lateinamerika überholt. Die Armut ist noch immer chronisch. Was das Land dringend bräuchte, wäre mehr wirtschaftliche Freiheit.
In Tunesien, dem Mutterland des Arabischen Frühlings, sieht die Lage etwas besser aus. Der politische Prozess nach Ben Alis Sturz zog sich scheinbar endlos lang hin. Die im Oktober 2011 gewählte verfassungsgebende Versammlung wurde von der Ennahda (den tunesischen Muslimbrüdern) dominiert, aber nach mehreren abgelehnten Entwürfen (vor allem über die Rolle des Islams wurde viel gestritten), ständigen Protesten der Bevölkerung und politischen Morden trat die Regierung im Oktober 2013 zurück. Wie in Ägypten sollte der Verfassungsentwurf der Islamisten von einer Interimsregierung überarbeitet und anschließend eine neue Regierung gewählt werden.
Der neue Fahrplan geht schnell voran. Das Jahr 2014 werde Tunesien Stabilität bringen, versprach Ministerpräsident Marzouki. Die Interimsregierung hat die neue Verfassung angenommen, in den nächsten Monaten sind Parlamentswahlen geplant. Hier zeichnet sich derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Ennahda und Nidaa Tounes, der größten säkularen Partei des Landes, ab. Die Verfassung ist zwar nicht völlig säkular, legt aber die Gleichberechtigung der Frauen fest und schränkt die Rolle des Islams ein. Viele Punkte sind vage formuliert, aber sie ist ein Fortschritt zu Ben Ali und definitiv keine islamistische Verfassung.
Damit ist auch klar, dass das Gerede von der islamistischen Machtergreifung genauso verfrüht war wie das von Demokratie und Freiheit. Überall wo man hinguckt geht es den Muslimbrüdern schlecht: Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien (hier allerdings nur, weil sich noch radikalere Gruppen an die Spitze gesetzt haben), Jordanien und mittlerweile auch in Gaza. Durch Mursis Sturz und den Rücktritt von Emir Khalifa in Katar hat die Hamas eine schwere strategische Niederlage erlitten. Allerdings ist ihre Herrschaft in Gaza unangefochten, wie im November ein erfolgloser Facebook-Aufruf zum Widerstand zeigte.
Zurück zu Ägypten. Youssef sucht derzeit ein Sender für sein Comeback. Er kann für Ägyptens Zukunft wichtiger werden als jede Verfassung und Wahl. Ägypten ist vielleicht das frauenfeindlichste und antisemitischste Land der Welt. Youssefs wöchentlichen Kolumnen in Al-Arabiya zeigen seine liberale Einstellung. Wenn er mit der Waffe des Humors gegen Islamismus und Nationalismus kämpft, wird das mehr Erfolg haben als jede politische Kampagne. Es bleibt die Hoffnung, dass Sissis Herrschaft weniger blutig werden wird. Jemand sollte ein Brief an Sissi schreiben: „Lieber Herr Sissi, bitte lassen Sie Herr Youssef in Ruhe Witze machen. Es geht um das Wohl ihres Landes!“
Januar 19, 2014 um 02:18 |
Ich folge aufmerksam was in Nahen Osten geschehen ist. Ich habe grosse Freude. Nur auch wir Europäer haben grosse Pflicht diese Strömmungen stark unterstützen !!!
Januar 20, 2014 um 21:05 |
Ich würde mir auch eine Unterstützung der wenigen liberalen Bewegungen in dieser Region wünschen. Bassem Youssef bekam nach seinem Rauswurf immerhin ein Jobangebot von der Deutschen Welle.
Januar 20, 2014 um 23:22 |
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