Archive for April 2014

Ignorant, dreist und feige

April 28, 2014
Jürgen Todenhöfer (Bild: Hydro)

Jürgen Todenhöfer (Bild: Hydro)

Er hat es wieder getan. Jürgen Todenhöfer, bekannt für seine Verteidigungsreden für al-Qaida, den Taliban, Assad, den Mullahs im Iran und den Muslimbrüdern in Ägypten, hat sich in seinem neuesten Facebook-Eintrag „Islamkritik als Geschäftsmodell“ zu Hamed Abdel-Samads Buch „Der islamische Faschismus“ geäußert. Todenhöfer sagt dort, er respektiere Abdel-Samad als Menschen, aber seine Islambeschimpfungen seien „ignorant, dreist und feige“. Abdel-Samads Buch sei Volksverhetzung, es ginge ihm nur um das Geld, und der Koran sei in Wirklichkeit ein friedliches Buch. Der ganze Text ist ein Offenbarungseid.

Gehen wir die Sache durch:

Der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad nennt in seinem neuen Buch den Islam „Faschismus“. Schon klingelt die Kasse. Eigentlich ist das Volksverhetzung nach §130 Strafgesetzbuch. Aber welcher Richter schützt heute noch die Würde einer Religion?

Erst einmal ist Paragraph 130 ein Widerspruch zur Meinungsfreiheit, da er Meinungen kriminalisiert, und gehört daher abgeschafft. Aber selbst wenn man Volksverhetzung unter Strafe stellen lassen will – was bei Todenhöfer offenbar zutrifft – stellt sich die Frage: Inwiefern erfüllt die Aussage „Der Islam ist faschistisch“ diesen Tatbestand? Nur weil man den Islam für faschistisch hält, heißt das noch lange nicht, dass man zur Verfolgung von Muslimen aufruft. Das hat Abdel-Samad nie getan, es ging ihm immer nur um Kritik an der Ideologie. Auch wenn man diese Kritik nicht teilt, hat sie nichts mit Volksverhetzung zu tun.

IGNORANT
Samad ist (im besten Fall) kein wirklicher Islamkenner. Er wüsste sonst, dass sich die kriegerischen Passagen des Koran „erkennbar auf die damaligen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Mekka und Medina und damit ausschließlich auf bestimmte Kampfszenen jener Zeit“ beziehen. Der bekannte frühere ägyptische Religionsminister Zakzouk hat darauf – wie viele andere – immer wieder hingewiesen. Nur totale Ignoranten basteln daraus einen Faschismus-Vorwurf. Oder Leute, die den Koran bewusst verdrehen.

Wenn im Koran oder den anderen heiligen Schriften des Islam dazu aufgerufen wird, Ungläubige zu töten „wo man sie findet“ oder Apostaten hinzurichten, ist das eindeutig ein Aufruf zur Verfolgung von Nicht-Muslimen. Dies zu leugnen, ist ein Beispiel für Todenhöfers Ignoranz. Im Grunde sagt er ja, dass es für Muslime nur zu Mohameds Zeiten in Ordnung war, Ungläubige zu töten, aber heute nicht mehr. Nicht nur, dass diese Behauptung ziemlich fragwürdig ist (viele islamische Theologen haben eine andere Meinung), sie ist auch völlig unnötig. Viel wichtiger als solche Diskussionen ist die Forderung der Trennung von Staat und Religion. Anstatt den Koran zu verteidigen und „falsche Aussagen über den Koran“ unter Strafe stellen lassen zu wollen, sollte man den Säkularismus verteidigen, und dazu gehören auch kritische Auseinandersetzungen mit der Religion. (more…)

Das Ende der Prohibition?

April 23, 2014

Fun fact: Die USA haben seit dem 20. Januar 1993 keinen Präsidenten, der nicht öffentlich zugegeben hat, Marihuana genommen zu haben.

Währenddessen geht der „War on Drugs“ weiter. Millionen Menschen sitzen in Haft (allein 650.000 Menschen werden jährlich wegen Besitz vom Marihuana verhaftet) und in Mexiko geschieht ein Mord nach dem anderen. Doch wir befinden uns an einem Wendepunkt. Zwei US-Bundesstaaten, Washington und Colorado, haben Marihuana für den Konsum freigegeben, und weitere 20 haben es für den medizinischen Gebrauch freigegeben. In den kommenden Jahren planen Dutzende Staaten, Marihuana für den medizinischen Gebrauch oder für den Konsum freizugeben.

In Colorado ist Kiffen seit dem 1. Januar 2014 legal. Die Verbrechensrate ist seitdem nicht gestiegen, Eigentumsdelikte haben im Vergleich zum letzten Jahr sogar um 14,6% abgenommen. Nebenbei sind die Einnahmen des Staates um umgerechnet 2 Millionen Euro gestiegen. Natürlich wird es noch lange dauern, bis in den gesamten USA der „War on Drugs“ beendet wird. Die derzeitigen Entwicklungen machen jedoch Hoffnung, dass wir das Ende der Prohibition in absehbarer Zeit erleben werden.

Der verbotene Völkermord

April 18, 2014
Armenier werden von osmanischen Soldaten deportiert, 1915

Armenier werden von osmanischen Soldaten deportiert, 1915

Im Theater der Stadt Konstanz wird seit dem 21. März der Roman „Das Märchen vom letzten Gedanken“ aufgeführt. In dem Stück geht es um den Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916, also vor fast genau 100 Jahren. Die türkische Regierung weigert sich bis heute, anzuerkennen, dass es einen Völkermord gab, und führt deshalb immer ihr eigenes Theater auf, wenn das Wort „Völkermord“ im Zusammenhang mit den Ereignissen aus dieser Zeit fällt. So auch dieses Mal.

Im Vorfeld wurde u.a. mit einem Plakat geworben, indem die Füße eines toten Mannes zu sehen sind, über dem ein weißes Tuch ausgebreitet ist, darüber weht die türkische Flagge und der türkische Ministerpräsident Erdogan wird mit dem Satz zitiert: „In unserer Geschichte wurde kein Völkermord begangen“. Das war natürlich genug Zündstoff für eine Kontroverse. Über 100 Türken demonstrierten in Konstanz gegen die Aufführung des Theaterstücks, weil ihre Gefühle dadurch verletzt würden, auch per E-Mail forderten empörte Türken die Absetzung des Stücks.

Es gab auch diplomatischen Protest: Das türkische Generalkonsulat in Karlsruhe forderte, dass die Theaterbesucher vorab in einem Brief darüber informiert werden, dass es rechtliche und akademische Diskussionen gibt, ob man die Ereignisse von 1915 als Völkermord bezeichnen kann. Dieser Eingriff in die künstlerische Freiheit wurde von den deutschen Politikern zum Glück auch als solcher bezeichnet und kritisiert. Trotzdem wurde der Brief in der Homepage des Theaters veröffentlicht, das Stück musste unter Polizeischutz aufgeführt werden. (more…)

Kollektive, die nicht existieren

April 13, 2014
Kann man sein Land verraten?

Kann man sein Land verraten?

Im täglichen Sprachgebrauch werden oft Wörter benutzt, die Kollektive beschreiben. Dabei klingt es so, als würden diese Kollektive tatsächlich handelnde Akteure sein, egal ob es um „den Staat“, „der Gesellschaft“, „der Nation“ oder „dem Markt“ geht. Es gibt einen besseren Weg, um soziale Vorgänge zu beschreiben und zu erklären, und zwar: Man schaut sich die Handlungen der Individuen an, aus denen diese Kollektive bestehen. Diese Herangehensweise nennt sich methodologischer Individualismus.

Ludwig von Mises sagte dazu: „Es ist zwar möglich, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, aber nicht, den Baum vor lauter Wäldern“. Es geht dabei ausdrücklich nicht darum zu leugnen, dass es diese Kollektive gibt, sondern darum, dass wir eine falsche Vorstellung von ihnen haben. Sie existieren nicht so, wie viele glauben. Wenn wir uns das klar gemacht haben, wissen wir, dass der Staat nicht „wir alle“ sind, „die Gesellschaft“ keine Interessen hat, man sein Land nicht „verraten“ kann und der Markt nichts „regelt“. (more…)

Das alte Deutschland?

April 8, 2014

Akif Pirinccis neues Buch „Deutschland von Sinnen: Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ ist auf dem Weg zum Bestseller. Auch dem ZDF ist das nicht entgangen. Wie wir sehen, kann Pirincci auch im Fernsehen nicht von seiner Fäkalsprache ablassen.

Ich habe das Buch nicht gelesen, aber dass einen „irren Kult“ um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer gibt, sehe ich nicht. Klar, es gibt viele Schieflagen. Die Forderungen nach Frauenquoten oder „gleichen Lohn“ für Frauen sind absurd. Homosexuelle sind zwar nicht gleichberechtigt, allerdings gibt es tatsächlich einige Auswüchse in der Szene, die man kritisieren kann, auch wenn es sich dabei nicht um politische Forderungen handelt. Migranten genießen in einigen Fällen einen ungerechtfertigten Bonus, der manchmal verstörende Züge annimmt, wie z.B. bei dem Fall, indem ein Afghane nach einem Ehrenmord eine mildere Strafe bekam, weil er Muslim war.

Dennoch scheint es Pirincci um viel mehr zu gehen als solche Fälle zu benennen. Beim ZDF sagt er, sein Anliegen sei „Ich möchte mein altes Deutschland wiederhaben“. Welches Deutschland meint Pirincci damit? Das Deutschland der 1960er? Oder das der 1980er, eine Zeit, in der die einzige Zukunftsangst die Angst vor totaler atomarer Vernichtung war? Er nennt keinen Zeitraum. Den einzigen Hinweis gibt er, als er sagt, es soll in Deutschland nicht so aussehen „wie im Orient oder im Iran“. Das lässt vieles offen. Und es wirft eine Frage auf: Ist die Moderne wirklich so schlecht, wie es bei Pirincci klingt?

Bei all der Kritik an unsere heutige Zeit muss man doch feststellen: Wir leben in guten Zeiten. Die Sitcom „Modern Family“ handelt von drei Familien: Ein älterer Mann (Ed O’Neill, bekannt für seine Rolle als „Al Bundy“) der in zweiter Ehe mit einer Latina verheiratet ist, seinem schwulen Sohn, der mit seinem Partner ein vietnamesisches Baby adoptiert hat, und seiner Tochter, die eine „traditionelle Familie“ führt: Mann, Frau und drei Kinder. Als O’Neill in einer Szene von den guten, alten Zeiten schwärmt, meint seine Latina-Frau, diese Zeiten waren gut, wenn man nicht weiblich, Latino oder schwul war. Sarkastisch, aber wahr. (more…)

Kurze Geschichte des Kulturpessimismus

April 5, 2014
Die Auferstehung Jesu Christi

Was hat sich in den letzten 2000 Jahren verändert?

„Unsere Erde ist in diesen Tagen entartet, Bestechung und Korruption sind allgemein, Kinder gehorchen nicht mehr den Eltern, jeder will ein Buch schreiben, und das Ende der Welt naht sichtbar heran.“

(Eine assyrische Steintafel, zitiert von Björn Lomborg in „Apocalypse No!“)

„Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“

(Eine Keilschrift aus der sumerischen Stadt Ur, zitiert aus Wikipedia)

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“

(Ein Klassiker, der Sokrates zugeschrieben wird, zitiert aus Wikipedia, aber es gibt keine gesicherte Quelle. Trotzdem ein schönes Zitat)

„Du solltest wissen, dass die Welt alt geworden ist und dass sie ihre einstige Lebenskraft nicht beibehalten wird. Sie ist Zeugin ihres eigenen Verfalls. Der Regen und die Wärme der Sonne nehmen beide ab; die natürlichen Metallressourcen sind beinahe erschöpft; der Landwirt gewinnt nichts mehr aus seinen Feldern, der Seefahrer nichts mehr aus den Meeren; der Soldat liegt erschöpft in seinem Lager, die Ehrlichkeit am Markt nimmt ab, die Gerechtigkeit in Gerichtssälen, freundschaftliche Eintracht, künstlerisches Handwerk, moralische Disziplin. Dies ist das Urteil, das über die Welt gesprochen wurde, dass alles, was einen Anfang hat, ein Ende finden muss, dass Lebewesen, die erwachsen geworden sind, alt werden müssen, die Starken schwach, die Großen klein und dass nach Schwäche und Schrumpfen die Auflösung folgt.“

(Ein Gelehrter aus dem dritten Jahrhundert nach Christus, zitiert von George Reisman in „Capitalism“, Übersetzung von Andreas Müller) (more…)

WM-Geschichte, Teil 14

April 1, 2014
Das WM-Logo 1990

Das WM-Logo 1990

Im Jahr 1990 wuchs das zusammen, was zusammengehört, nahm die Pinochet-Diktatur in Chile ein Ende, wurde in Moskau das erste McDonalds eröffnet, besetzte Saddam den Kuwait, begann das Ende der Apartheid in Südafrika und fand vom 8. Juni bis zum 8. Juli die 14. Fußball-Weltmeisterschaft in Italien statt. Deutschland holt sich unspektakulär wie nie den Titel, Kamerun macht ganz Afrika stolz und ein vor und nach dem Turnier völlig Unbekannter wird Torschützenkönig.

Italien war nach Mexiko das zweite Land, das die WM zum zweiten Mal austragen durfte. Im Mutterland des Catenaccio wurde dann auch folgerichtig ein Defensivspektakel geboten, dass man zuletzt 1962 in Chile gesehen hatte. Der minimalistische Fußball setzte sich bis ins Finale fort. Kurz vor den politischen Umbrüchen (die Sowjetunion, Tschechoslowakei und Jugoslawien gaben ihre letzte Vorstellung ab) nutzten viele Spieler ihre Chance, sich für den Markt im Westen zu präsentieren. (more…)