Whataboutism

Gefangene in Guantanamo

Whataboutism ist ein Begriff aus der Politik, welcher eine Propagandataktik bezeichnet, die von der Sowjetunion bei ihrem Umgang mit der westlichen Welt während des Kalten Krieges verwendet wurde. Die Taktik wurde angewendet, wenn Kritik an der Politik der Sowjetunion geäußert wurde, wobei „Was ist mit…“ erwidert wurde, gefolgt von der Benennung einer Begebenheit in der westlichen Welt, welche Ähnlichkeiten mit dem ursprünglichen Gegenstand der Kritik aufweisen sollte.

(Wikipedia)

Vielen dürfte diese Reaktion bekannt sein. Immer, wirklich immer, wenn man Menschenrechtsverletzungen von Staaten anprangert, die nicht zur westlichen Welt gehören, kommt der Verweis auf irgendeinen Missstand im Westen. Wird der Umgang mit Regimegegnern in China angeprangert, lautet die Antwort „Was ist mit Guantanamo?“. Wird die fehlende Meinungsfreiheit in islamischen Ländern angeprangert, lautet die Antwort „Was ist mit dem Verbot der Holocaustleugnung?“. Wird Russlands Kriegskurs angeprangert, lautet die Antwort „Was ist mit dem Irakkrieg?“.

Anstatt auf das Argument des Gegenübers einzugehen, wird dieses einfach ignoriert und ein anderes Thema aufgemacht. Dieses Argument nennt man „Tu quoque„. Es ist eine Variante des ad hominem, ein logischer Fehlschluss, denn die Verbrechen der einen Seite werden nicht besser, indem man sie mit den Verbrechen der anderen Seite aufrechnet. Es gibt viele aktuelle Beispiele für dieses Argument. Wie kann man auf diese Taktik antworten? Nun, es gibt drei einfache Wege.

1. Der Gegenseite keine Vorlagen liefern.

Es ist unangenehm, das zu sagen, aber: Manchmal haben die Diktatoren-Groupies mit einem ihrer Punkte Recht. Verletzungen von Bürgerrechten im Westen, wie z.B. der Einsatz von Folter gegen Terrorverdächtige in Guantanamo (oder die vielen Ereignisse in der Vergangenheit), sind durch nichts zu beschönigen. Echte Liberale verteidigen immer die Freiheit, egal von wem sie bedroht wird. Die westlichen Staaten dürfen nicht von Kritik ausgenommen werden. Wenn man über den Westen schweigt, macht man sich verdächtig, nicht wirklich für die Freiheit einzustehen, sondern für die westlichen Regierungen.

Auch die noch übriggebliebenen Meinungsverbote sollten kritisiert werden. Als nach den Karikaturen über den Propheten Mohamed Islamisten randalierten, berief man sich im Westen auf die Meinungsfreiheit. Der iranische Präsident Achmedinedschad meinte, im Westen gäbe es keine Meinungsfreiheit, weil Holocaustleugnung unter Strafe steht. Man sollte der Gegenseite diesen Punkt nicht einräumen. Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen Religionssatire und Völkermordleugnung. Aber beides sind letztlich doch Meinungen und keine Verbrechen. Wenn Meinungen kriminalisiert werden, liefert man den Diktatoren dieser Welt eine Vorlage.

2. Dumme Vergleiche zurückweisen.

In einem Interview mit Fox News meinte Bashar al-Assad: „Was habt ihr in den 1990ern gemacht, als ihr Rebellen in Los Angeles hattet? Habt ihr nicht eure Armee geschickt? Ihr habt“. Das ist ein ziemlich dummer Vergleich, denn bei den Unruhen in Los Angeles 1992 (nach einem Fall von Polizeibrutalität) ging es nur um Plünderung, bei den Unruhen in Syrien dagegen war der Anlass der Proteste der legitime Wunsch nach einem Ende der Diktatur, und dieser Protest wurde von Hunderttausenden Menschen friedlich ausgedrückt – die syrischen Sicherheitskräfte gingen überwiegend gegen friedliche Demonstranten vor, nicht gegen Plünderer.

Ein ähnlich dummer Vergleich kam vom iranischen Rahbar Chamenei. Dieser wischte die westliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen mit dem Massaker von Waco im Jahr 1993 weg. Damals waren 76 Mitglieder der Davidianer-Sekte bei einem Brand umgekommen. Es ist jedoch keineswegs sicher, dass das FBI daran schuld war. Wahrscheinlicher ist, dass die Davidianer selbst das Feuer gelegt haben, viele wollten nachweislich nicht gerettet werden (der Kommentator „Nichtglauber“ kam übrigens auch mit Waco, als ich das Massaker von Hama erwähnte. Seine Argumentation besteht gefühlt zu 95% aus lächerlichen Whataboutisms. So relativierte er die Hinrichtung von Homosexuellen im Iran damit, dass in einigen US-Bundesstaaten Analverkehr bis 2003 verboten war).

3. Die Doppelmoral und Heuchelei der Gegenseite aufdecken.

Putin beruft sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, gleichzeitig verweigerte er den Tschetschenen auf blutige Weise einen eigenen Staat und stellt „Aufrufe zum Separatismus“ unter Strafe. Achmedinedschad kritisierte in einem Interview mit dem ZDF die Gewalt gegen Occupy-Demonstranten, gleichzeitig wurden im Iran im Zuge der Proteste nach den Wahlen von 2009 über 70 Demonstranten umgebracht. Assad stellt die gesamte Opposition als islamistische Terroristen dar, gleichzeitig kooperiert er mit den islamistischen Terroristen von der Hisbollah. Die Kritik an den Zuständen in Guantanamo kommt oft von Staaten, bei denen es in den Gefängnissen noch wesentlich schlimmer zugeht.

Man sieht also: Die anti-westlichen Regimes zeichnen sich durch einen sehr hohen Grad an Doppelmoral und Heuchelei aus. Sie kritisieren echte oder erfundene Menschenrechtsverletzungen im Westen, während sie selbst pausenlos Menschenrechte verletzen. Wer den Westen aufgrund seiner Doppelmoral hasst, aber über die Doppelmoral von Gestalten wie Putin, Assad und Chamenei schweigt, beweist damit seine eigene Doppelmoral und Heuchelei.

11 Antworten to “Whataboutism”

  1. Johny Rebel Says:

    „der legitime Wunsch nach einem Ende der Diktatur, und dieser Protest wurde von Hunderttausenden Menschen friedlich ausgedrückt – die syrischen Sicherheitskräfte gingen überwiegend gegen friedliche Demonstranten vor, nicht gegen Plünderer“
    Was für ein gestörter Schwachsinn. Die „friedlichen Demonstranten“ und Freunde der Demokratie und Diktaturgegener sind radikalmuslimische Terroristen!!

    • besucher Says:

      so so, die Bürger von Daraa, damals vor drei Jahren, alles Terroristen. Da erübrigt sich jhede Diskussion

  2. Martin Says:

    „Was für ein gestörter Schwachsinn. Die “friedlichen Demonstranten” und Freunde der Demokratie und Diktaturgegener sind radikalmuslimische Terroristen!!“

    DAS ist völliger Schwachsinn. Für einen Teil der Assad-Gegner stimmt das. Die haben allerdings auch erst an Masse zugenommen und sind zu einem signifikanten Teil der Anti-Assad Seite geworden, *nachdem* das Regime mit seinen Massenmorden begann.

    • arprin Says:

      @Martin: Genauso ist es. Die Protestbewegung gegen Assad bestand anfänglich aus friedlichen Demonstranten, die Antwort des Regimes war Gewalt. Aus dieser Gewalt entfachte sich der Bürgerkrieg.

  3. Egoteaist Says:

    Like für „Diktatoren-Groupies“ 😀

  4. qwertzman Says:

    Die Free Syrian Army ist mit den kurdischen YPG und der Al-Nusra Front und Islamic Front alliiert. Gleichzeitig sind die letzten beiden Islamisten und Gegner der YPG. Wobei alle Gegner des Islamic State of Iraq and the Levant sind. Und zusätzlich kämpfen noch griechische strasseristische Nazis auf Seiten der syrischen Regierung. und noch zig andere gegen zig weitere:
    http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_armed_groups_in_the_Syrian_Civil_War#Generic_list

    Ich hoffe bei dem ganzen Kuddelmuddel haben Geheimdienste einen Überblick und verhindern das irgendein kampferprobter Irrer auf unsere hübsche Friedensinsel kommt…

  5. qwertzman Says:

    Und schöner Artikel! 🙂

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