Archive for Oktober 2014

Mauern und Grundstückszäune

Oktober 28, 2014
 Der Grenzwall zwischen Mexiko und den USA: Lasst Hundert Mauern erblühen!

Sind Mauern gegen Einwanderer vergleichbar mit Grundstückszäunen?

Unsere Welt ist voll von Grenzen. Sie halten Fremde fern, für sie heißt es „Betreten verboten“. Die Errichtung von Grenzen gehört zum Eigentumsrecht dazu, nämlich zum Ausschlussprinzip. Wenn man ein Grundstück besitzt, hat man das Hausrecht. Dieses wird in Wikipedia beschrieben als “die Befugnis grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem der Zutritt zu einer Örtlichkeit gestattet und wem er verwehrt wird.” Neben diesen ganz normalen Grundstückszäunen gibt es aber weit größere Grenzen, und zwar die Staatsgrenzen. Manche Staatsgrenzen werden weniger streng überwacht, andere dagegen werden nicht zu Unrecht als Festungen bezeichnet.

Ist eine Staatsgrenze, die mit Mauern, Stacheldraht und Drohnen bewacht wird, vergleichbar mit einem Grundstückszaun? Wenn man diese Frage bejaht, bedeutet dass, man sieht das Staatsgebiet als “Besitz” der Staatsbürger (bzw. des Staates) an, sowie ein Haus den Hausbesitzern gehört. Wenn gegen den Willen der Staatsbürger Einwanderer ins Land kommen, wäre dies also eine “Verletzung des Hausrechts”. Die Gegner von offenen Grenzen malen dieses Szenario an die Wand und meinen, die Befürworter von offenen Grenzen würden Menschen zwingen wollen, Einwanderer gegen ihren Willen bei sich aufzunehmen. Wer dieses Szenario befürchtet, hat jedoch nicht verstanden, was Hausrecht bedeutet.

Denn das Hausrecht bedeutet, dass Hauseigentümer selbst entscheiden, wer ihr Haus betreten darf und wer nicht – egal ob es sich um Einheimische oder Einwanderer handelt. Die Position der Vertreter von offenen Grenzen lautet also nicht: “Jeder muss jeden bei sich aufnehmen”, sondern “Jeder soll selbst entscheiden, wen er bei sich aufnimmt”. Ein Verbot von Einwanderung heißt nichts weiter als das Hauseigentümer keine Einwanderer bei sich aufnehmen dürfen, selbst wenn die Hauseigentümer es wollen. Die Position der Gegner von offenen Grenzen lautet: “Jeder soll selbst entscheiden, wen er bei sich aufnimmt, außer bei Einwanderern”, und greift damit tatsächlich in das Hausrecht ein. (more…)

Yes, they can!

Oktober 23, 2014
Ja, sie können es

Ja, sie können es

Das Thema Emanzipation ist in den westlichen Gesellschaften nicht mehr wirklich originell, zumindest nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung. Denn ursprünglich ging es ja darum, Frauen die volle gesetzliche Gleichstellung zu verleihen. Diese Mission kann man als erfüllt betrachten. Mittlerweile haben wir es auch geschafft, die klassischen Rollenverteilungen aufzubrechen und Frauen in ansonsten Männern vorbehaltenen Positionen zu hieven, wie z.B. Regierungschefin, Actionheldin und jüngst sogar Trainerin einer männlichen Sportmannschaft. Viel mehr Emanzipation geht nicht.

In anderen Weltgegenden ist die Emanzipation noch weit entfernt. In der islamischen Welt herrscht noch immer das Patriarchat, auch wenn manche emanzipierte westliche Frau keinen großen Unterschied zwischen Österreich und Saudi-Arabien sieht. Wie gefährlich die Ansicht sein kann, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sein sollten, zeigte der Fall Malala Yousafzai, der von den Taliban in den Kopf geschossen wurde, weil sie sich für die Bildung von Mädchen einsetzte. Dafür bekam sie den Friedensnobelpreis. Eine Entscheidung, die vollkommen verdient ist. Wenn man etwas Kritisches finden will, dann Malalas etwas naive Friedensrhetorik – aber sie ist keine Polit-Analystin und muss es auch nicht sein.

Währenddessen hat Mariam al-Mansouri einen anderen Weg beim Umgang mit Islamisten eingeschlagen. Sie ist die erste weibliche Pilotin der Vereinigten Arabischen Emirate und beteiligt sich an den Luftschlägen der Anti-IS-Koalition. Den Nobelpreis wird sie wohl nicht bekommen, aber dafür hat sie reichlich Lob in den sozialen Netzwerken gesammelt. Auch wenn die Behauptung, IS-Terroristen würden nicht in den Himmel kommen, wenn sie von einer Frau getötet wurden, nicht stimmt (nicht nur, weil es keinen Himmel gibt, sondern weil die IS keinen solchen Glaubensinhalt kennt), ist ihre Beteiligung am Krieg gegen die IS, genauso wie die von weiblichen kurdischen Kämpfern, von besonderer symbolischer Bedeutung. (more…)

Kein Fortschritt mit den Grünen

Oktober 18, 2014
Bohrung nach Schiefergas, dem neuen Hoffnungsträger im Energiemarkt

Fracking gilt als Teufelstechnologie

Es mag einige Kritikpunkte am geplanten Freihandelsabkommen (TTIP) geben, die berechtigt sind. Wenn man jedoch sieht, womit die Anti-TTIP-Kampagne „Campact“ Erfolg hatte, sträuben sich einem die Nackenhaare. Zwei oft gehörte Argumente lauteten, durch TTIP werden amerikanische Chlorhühnchen nach Deutschland kommen – und das ist schlecht, wegen Gentechnik und so – und TTIP würde das Aus für die Kultursubventionen der europäischen Staaten bedeuten – und das ist schlecht, weil unser GEZ-Fernsehen und Förder-Kino so viel besser ist als Hollywood, HBO, AMC und Netflix.

Nicht nur, dass diese Kritikpunkte eher für als gegen TTIP sprechen (denn Chlorhühnchen sind nicht ungesünder als das deutsche Huhn und Kultursubventionen sind grotesker Unsinn), sind beide Argumente auch noch falsch: Auch mit dem Freihandelsabkommen würden Chlorhühnchen in der EU verboten bleiben, und für die subventionierten Künstler wurden bereits großzügige Ausnahmen verkündet, die sie vor Konkurrenz schützen. Im Klartext: Die Freihandelsgegner verbreiten Angst mit Dingen, die nicht eintreten werden, obwohl es gut wäre, wenn sie eintreten, und haben mit dieser doppelt falschen Angstmacherei auch noch durchschlagenden Erfolg.

Egal ob Atomkraft, Fracking oder Chlorhühnchen, die Angstmacherei funktioniert immer. Mit fatalen Konsequenzen, nicht nur bei TTIP. Deutschland setzt auf die „Energiewende“, alternative Energiequellen werden verteufelt. Über Fracking wurde besonders ein Mythos verbreitet: Es verursacht brennende Wasserhähne. Dabei gab es dieses Phänomen lange vor Fracking, und es gibt überhaupt keinen Beweis, dass Fracking irgendetwas damit zu tun hat. Dieser Mythos ist jedoch, einmal in die Welt gesetzt, unauslöschlich. Überall wird es verbreitet, die Bilder vom brennenden Wasser haben sich fest ins Gedächtnis eingebrannt, und jeder, der diese Behauptung infrage stellt, ist „von der Öllobby gekauft“. (more…)

Stabile Diktaturen als kleineres Übel?

Oktober 13, 2014
Kann er Syrien retten?

Das kleinere Übel?

Ende September erschien im Spiegel ein Text, der sich mit der politischen Situation in Syrien, Irak und Libyen beschäftigte. Der Tenor des Textes war: Eine „stabile Diktatur“, wie es in diesen Ländern früher gab, ist besser als Anarchie. Mal ganz abgesehen davon, dass Anarchie eher „Herrschaftslosigkeit“ bedeutet als „Herrschaft von vielen Banditen“, krankt die Analyse daran, zu erkennen, warum so viele Länder ins Chaos abdriften, und wie sich das verhindern lässt. Denn nichts garantiert mehr Chaos in der Zukunft als ein Regime, dass ausschließlich mit Gewalt zusammengehalten wird.

Warum ist Syrien in das Mad Max-Taliban-Style-Chaos abgerutscht, das es heute ist? Unter Assad war Syrien eine totalitäre Diktatur. Es gab keine politische Opposition, keine freien Wahlen, null Rechtsstaatlichkeit und Kritik an der Regierung brachte einen in die Folterkeller von Adra und Tadmor, in denen einige bekannte Dissidenten ganze Jahrzehnte verbrachten. Diese Zeit nennt man heute „stabil“. Aber diese Stabilität basiert einzig und allein darauf, dass die Bürger sich nicht erheben, weil sie Angst haben, gefoltert und/oder umgebracht zu werden. Fällt für einen kritischen Prozentsatz der Bevölkerung diese Angst weg, ist die Stabilität dahin.

Eine Diktatur ist besser als Bürgerkrieg. Aber das eine führt in das andere. Wenn ein Regime als Antwort auf friedliche Proteste keine andere Reaktion als Massenmord und Terror kennt, ist es eben nicht stabil. In Wirklichkeit ist es extrem instabil und so gut wie immer von Gewalt und Bürgerkrieg bedroht, in deren Folge nicht selten die friedlichen Kräfte verschwinden und durch Radikale ersetzt werden. Der einzige Weg, um politische Stabilität zu garantieren, ist es, allen Bürgern Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Möglichkeit zur politischen Teilhabe zu geben. Wer dagegen auf eine vermeintlich „stabile Diktatur“ setzt, wacht im schlimmsten Fall im heutigen Syrien auf. (more…)

Frieden für Kolumbien?

Oktober 8, 2014
Die Flagge der FARC

Die Flagge der FARC

Noch in den 1980ern kamen die mächtigsten Drogenkartelle aus Kolumbien. Der Name Pablo Escobar stand für die ganze Macht und die Gewalt der Drogenmafia, die keine Angst vor der Staatsgewalt hatte. Aber mit der Zeit wanderte die Macht ab, Richtung Norden. Heute haben nicht mehr das Cali- oder Medellin-Kartell das Sagen, sondern das Zeta- oder Sinaloa-Kartell. Mexiko wurde zum neuen Paradies der Kartelle, deren Macht nun in vielen Gebieten grenzenlos scheint und deren Gewaltmethoden nicht mal vom „Islamischen Staat“ übertroffen werden. Mit Folgen für die Kolumbianer: Die Kartelle sind heute nur noch Kuriere der Mexikaner, und Kolumbien ist viel friedlicher als vor 30 Jahren.

Aber Frieden gibt es noch lange nicht. Die beiden größten Terrororganisationen des Landes, die FARC und die ELN, die ursprünglich eine kommunistische Revolution in Kolumbien wollten, befinden sich seit 50 Jahren im Kriegszustand mit der Regierung. Die FARC engagiert sich, genauso wie rechte Paramilitärs, im Drogengeschäft. Damit generiert sie den Großteil ihrer Einnahmen. Ihre Ideologie spielt heute kaum eine Rolle, obwohl einige Kolumbianer und sogar Europäer sich noch immer für die Revolutionsrhetorik begeistern. Jedes Jahr sterben Hunderte Rebellen, Polizisten, Soldaten und Zivilisten, es gibt Hunderttausende Binnenflüchtlinge und eine unbekannte Zahl von Geiseln.

Die Macht der FARC hat aber deutlich nachgelassen. Es gibt immer weniger Kämpfer, sie werden gefangen genommen, getötet oder desertieren. In den letzten zwölf Jahren verlor die FARC wohl die Hälfte ihrer früher bei 20.000 liegenden Manneskraft. Im Jahr 2008 starb der FARC-Gründer und Chef Manuel Marulanda und der Vize Raul Reyes wurde bei einem Angriff der kolumbianischen Armee in Ecuador getötet. Nachdem 1982-84 und 1998-2002 zwei Friedensverhandlungsrunden scheiterten, führt die kolumbianische Regierung seit 2012 erneut Verhandlungen, die vielversprechend sind und den 50-jährigen Krieg beenden könnten. (more…)

Es war nicht alles schlecht!

Oktober 3, 2014

Frei, sozial, antifaschistisch: Wie die DDR den Mauerbau feierte

Am 3. Oktober feiert Deutschland mal wieder den Tag der Wiedervereinigung bzw. der Auflösung der sozialistischen Diktatur im Osten, und das politische Establishment hat dafür eine ordentliche Portion Ironie aufzubieten: Bernd Lucke lobt die innere Sicherheit in der DDR, die Bundesregierung führt die Mietpreisbremse ein und Gregor Gysi meint, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. Leider kann man davon ausgehen, dass sowohl Lucke und Gysi damit im Osten Wähler gewinnen können, denn viele Ostdeutsche haben ein ziemlich lockeres Verhältnis zur DDR.

Umfragen, die DDR-Nostalgie im Osten belegen, kennt man ja schon. Aber es ist ein weitverbreitetes Phänomen, nach dem Ende einer Diktatur zu rufen „Es war nicht alles schlecht!“ Eine Umfrage der amerikanischen Militärverwaltung ergab 1948, dass 55% der Deutschen den Nationalsozialismus für eine „gute Idee“ hielten, die nur „schlecht ausgeführt“ worden sei. In Moldawien bewerteten 2011 52% den Untergang der Sowjetunion negativ und nur 29% würden bei einem Referendum gegen eine Rückkehr in die UdSSR stimmen. In vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion herrschen ähnliche Ansichten, auch in Russland.

Nun kann man sagen, dass diese Menschen nur ihre persönliche Situation wiedergeben. 1948 herrschte in Deutschland Chaos, in Russland herrschten nach dem Ende der UdSSR geradezu Raubritterverhältnisse, und in Ostdeutschland verloren durch die Auflösung der Volkseigenen Betriebe 1 Million Menschen ihren Arbeitsplatz. Aber das ist nicht die einzige Erklärung. Denn erstens sind die Missstände nach dem Ende einer Diktatur nicht selten die Trümmer eben dieser Diktatur. Und zweitens ist die Lage dennoch meistens besser als zu Zeiten der Diktatur: Den Ostdeutschen geht es besser als zu DDR-Zeiten, den Russen geht es besser als zu Sowjetzeiten. (more…)

WM-Geschichte, Teil 15

Oktober 1, 2014
Das WM-Logo 1994

Das WM-Logo 1994

Mit Verspätung wird die Serie nun fortgesetzt, und zwar mit der 15. Fußball-Weltmeisterschaft, die vom 17. Juni bis zum 17. Juli 1994 in den USA ausgetragen wurde. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Europa nach dem Ende des Kalten Kriegs in einer Phase der Erneuerung, im Nahen Osten herrschte die Hoffnung auf Frieden, Mandela wurde Präsident Südafrikas, Bürgerkriege erschütterten Jugoslawien, Somalia und Ruanda und das Internet erblickte das Licht der Welt. In den USA hat ein Eigentor tödliche Folgen für einen Kolumbianer, Maradonas WM-Karriere nimmt ein unrühmliches Ende und Brasilien kehrt ohne „jogo bonito“ und dank des schlechtesten Elfmeters aller Zeiten auf den Thron zurück.

Die Vergabe der Weltmeisterschaft an den USA war nicht ohne Kritik, Fußball war dort nur eine Randsportart. Die FIFA hatte jedoch den Wunsch, den Fußball auch in unerschlossenen Märkten zu verbreiten und konnte auf die großen Football-Stadien und der Kaufkraft und Neugier der Amerikaner zählen. Außerdem gaben die in der Diaspora lebenden Italiener, Iren, Deutsche, Mexikaner, Kolumbianer, Koreaner, usw. dem Turnier zusätzlich gute Stimmung. (more…)