Mit Verspätung wird die Serie nun fortgesetzt, und zwar mit der 15. Fußball-Weltmeisterschaft, die vom 17. Juni bis zum 17. Juli 1994 in den USA ausgetragen wurde. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Europa nach dem Ende des Kalten Kriegs in einer Phase der Erneuerung, im Nahen Osten herrschte die Hoffnung auf Frieden, Mandela wurde Präsident Südafrikas, Bürgerkriege erschütterten Jugoslawien, Somalia und Ruanda und das Internet erblickte das Licht der Welt. In den USA hat ein Eigentor tödliche Folgen für einen Kolumbianer, Maradonas WM-Karriere nimmt ein unrühmliches Ende und Brasilien kehrt ohne „jogo bonito“ und dank des schlechtesten Elfmeters aller Zeiten auf den Thron zurück.
Die Vergabe der Weltmeisterschaft an den USA war nicht ohne Kritik, Fußball war dort nur eine Randsportart. Die FIFA hatte jedoch den Wunsch, den Fußball auch in unerschlossenen Märkten zu verbreiten und konnte auf die großen Football-Stadien und der Kaufkraft und Neugier der Amerikaner zählen. Außerdem gaben die in der Diaspora lebenden Italiener, Iren, Deutsche, Mexikaner, Kolumbianer, Koreaner, usw. dem Turnier zusätzlich gute Stimmung.
Qualifikation und Favoriten
Die wachsende Entwicklung des Fußballs in der Welt sorgte für einen neuen Bewerberrekord: 143 Länder wollten an der WM teilnehmen, 38 aus Europa, 36 aus Afrika, 30 aus Asien, 23 aus der Concacaf-Zone, 9 aus Südamerika (Chile war wegen des Betrugsversuchs von Torwart Rojas bei einem WM-Qualifikationsspiel gegen Brasilien 1989 noch immer gesperrt) und 7 aus Ozeanien. Deutschland als Weltmeister und die USA als Gastgeber waren automatisch qualifiziert. In Europa lösten Italien, die Schweiz, Norwegen (erst zum zweiten Mal nach 1938), die Niederlande, Spanien, Irland, Rumänien, Belgien, WM-Debütant Griechenland, Russland, Schweden und Bulgarien das WM-Ticket. Erstmals schaffte es kein einziges britisches Team zur WM – England Schottland, Nordirland und Wales blieben alle zuhause. Die englische Zeitung „Sun“ titelte nach dem Aus: „Das ist das Ende der Welt“. Überraschend kam auch das erneute Fehlen Frankreichs, schon 1990 nicht dabei, dass in letzter Sekunde an Bulgarien scheiterte. Der sensationelle Europameister von 1992, Dänemark, konnte sich ebenfalls nicht qualifizieren.
Das Ende des Kommunismus in Osteuropa hinterließ auch Spuren im Fußball. Die Nationalmannschaft der Sowjetunion bzw. der GUS (die von 1991 bis 1992 bestand und bei der EM 1992 teilnahm) wurde von Russland ersetzt, daneben traten auch die drei baltischen Staaten bei der Qualifikation an, aber noch keine weiteren Ex-Sowjetrepubliken. Die Tschechoslowakei beendete die Qualifikation als „Auswahl der Tschechen und Slowaken“, erst 1994 folgte auch die fußballerische Abspaltung. Die Jugoslawen, die eine sehr talentierte Mannschaft hatten, wurden aufgrund des Bürgerkriegs von der FIFA suspendiert, sie konnten auch nicht an der EM 1992 teilnehmen (für sie rückte der spätere Sieger Dänemark nach). Eine erfreulichere Folge des politischen Umbruchs war der Export von osteuropäischen Fußballern in den Westen, eine wahre Flut von Spielern aus der Ex-UdSSR, Ex-Jugoslawien, Ex-Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien und Polen machte sich auf den Weg in die europäischen Ligen. Stars wie der Bulgare Hristo Stoitchkov und der bereits bei der WM 1990 „entdeckte“ Rumäne Gheorghe Hagi wurden von Top-Klubs verpflichtet und sorgten für Furore.
In der Concacaf-Zone setzte sich Mexiko durch, Kanada wurde Zweiter und scheiterte anschließend im interkontinentalen Play-Off an den Ozeanien-Sieger Australien. Die Australier wiederum mussten danach gegen Argentinien, den Vierten der Südamerika-Runde, antreten und schieden aus. In Südamerika hatten Kolumbien, Brasilien und Bolivien ihr Ticket direkt gelöst. Besonders spektakulär qualifizierte sich Kolumbien, den „Cafeteros“ gelang ein legendärer 5:0-Sieg in Buenos Aires. Asien schickte Saudi-Arabien (nach Kuwait, Irak und VAE der vierte arabische WM-Debütant) und Südkorea ins Rennen. Das fußballerisch aufstrebende Japan kassierte in letzter Minute ein Gegentor und musste so dem Erzrivalen Südkorea den Vortritt lassen. Afrika bekam nach den guten Leistungen bei den letzten Turnieren einen Startplatz mehr. Kamerun, Marokko und Neuling Nigeria schafften den Sprung nach Amerika. Die Mannschaft Sambias scheiterte nur knapp gegen Marokko, was überraschend kam, denn die gesamte Mannschaft, die zu den stärksten Afrikas zählte, war fünf Monate zuvor bei einem Flugzeugunfall ums Leben gekommen, so dass in kurzer Zeit eine komplett neue Mannschaft aufgebaut werden musste.
Als Favoriten galten naturgemäß wieder Deutschland, amtierender Weltmeister, Vize-Europameister und mit einem Spitzenkader antretend, sowie die Niederlande (die jedoch ohne den verletzten van Basten und den nicht nominierten Gullit anreisten), Italien und die zwei südamerikanischen Riesen Brasilien und Argentinien. Die Brasilianer schwächelten in der Qualifikation, ebenso wie Argentinien. Brasiliens große Hoffnung war der beim FC Barcelona tätige Stürmer Romario, der mit seinen Toren Brasilien gerettet hatte (im Kader befand sich auch der erst 17-jährige Ronaldo, der aber nicht zum Einsatz kam). Die Argentinier setzten wieder auf den bereits 34-jährigen Maradona, der 1991 zwischenzeitlich wegen Dopings gesperrt worden war. Der Geheimfavorit war Kolumbien. Der 5:0-Sieg über Argentinien ließ aufhorchen, die Stützen der Mannschaft waren wie schon 1990 Valderrama, Rincon und Asprilla. Der Fußball in den USA befand sich im Umbruch. Nach den zwei goldenen Äras (die ASL 1919-1933 und die NASL 1968-1984) war der Fußball wieder in der Versenkung verschwunden. Doch die NASL mit Pele, Beckenbauer und co. hatte Spuren hinterlassen: Immer mehr Kinder spielten Fußball, und so verbesserte sich auch der Zustand der Nationalmannschaft, die es 1990 wieder in eine WM schaffte. Die WM-Mannschaft setzte sich aus College-Spielern, Halbprofis und im Ausland kickenden Spielern zusammen. Für die Ausrichtung der WM versprach man, in Zukunft eine neue Profiliga zu errichten (die MLS, ab 1996).
Spielstätten, Modus und Gruppenauslosung
Neun Stadien wurden als Spielorte ausgewählt, davon befanden sich fünf in Vororten großer Städte: Foxborough (Vorort von Boston), East Rutherford (New York), Washington, Pontiac (Detroit), Chicago, Orlando, Dallas, Palo Alto (San Francisco) und Pasadena (Los Angeles). Das Finale sollte im Rose Bowl Stadium von Pasadena stattfinden. Überall herrschte brütende Sommerhitze. Für diese WM wurde die Rückpassregel eingeführt und „gleiche Höhe“ galt nicht mehr als Abseits. Erstmals kriegte man für einen Sieg 3 Punkte zugesprochen, ansonsten gab es keine Änderungen im Modus.
Die Auslosung ergab folgende Gruppen:
Gruppe A: USA, Kolumbien, Rumänien, Schweiz
Gruppe B: Brasilien, Kamerun, Russland, Schweden
Gruppe C: Deutschland, Bolivien, Spanien, Südkorea
Gruppe D: Argentinien, Nigeria, Bulgarien, Griechenland
Gruppe E: Italien, Mexiko, Irland, Norwegen
Gruppe F: Belgien, Marokko, Niederlande, Saudi-Arabien
Vorrunde
Eine dicke Überraschung erlebte Gruppe A: Die Kolumbianer schieden aus. Bereits das erste Spiel gegen Rumänien ging verloren (1:3), im zweiten Spiel folgte die verhängnisvolle Niederlage gegen die USA (1:2), der Sieg gegen die Schweiz (2:0) brachte nichts mehr ein. Andres Escobar erzielte beim Spiel gegen die USA in der 34. Minute ein Eigentor – zehn Tage später wurde in seiner Heimatstadt Medellin erschossen. Als Grund wird sein Eigentor vermutet, weil die Kartelle dadurch Geld verloren hatten. Es war das größte Drama der WM-Geschichte. Die ganze Welt war in Schock versetzt, und Kolumbiens Ruf war schwer beschädigt.
Mit 6 Punkten wurde Rumänien, von ihrem Star Hagi angeführt (gegen Kolumbien erzielte er ein Traumtor) und trotz einer 1:4-Klatsche gegen die Schweiz, Gruppensieger. Die Schweizer, die mit Sutter, Sforza und Chapuisat eine tolle Generation hatten, kletterten mit 4 Punkten auf Platz 2, Dritter wurden die USA. Nach dem 1:1 im Auftakt gegen die Schweiz gelang gegen Kolumbien der erste WM-Sieg seit 1950, der von den Medien groß gefeiert wurde. Im letzten Gruppenspiel verlor man aber gegen Rumänien (0:1) und musste kurz um das Weiterkommen zittern.
Die Gruppe B war sportlich schnell entschieden. Brasilien besiegte Russland (2:0) und Kamerun (3:0). Romario traf in jedem Spiel, aber dennoch erntete die Mannschaft Kritik, weil sie nicht sehr attraktiv spielte. Im letzten Spiel gegen die defensivstarken Schweden lag man in der Halbzeit zurück, ein 1:1 reichte aber für Platz 1 vor den Skandinaviern. Für Russland gab es ein großes Highlight: Im letzten Spiel demütigte man Kamerun mit 6:1, Oleg Salenko traf 5-mal und stellte damit einen bis heute gültigen WM-Rekord auf. Für Kamerun traf der 42-jährige Roger Milla, ebenfalls ein WM-Rekord: Der älteste Spieler (bis 2014) und Torschütze der Geschichte. Doch sowohl für Russland als auch für Kamerun war die WM vorbei.
Deutschland tat sich in Gruppe C schwerer als gedacht. Gegen Bolivien musste ein Missverständnis der gegnerischen Abwehr für Klinsmanns Siegtor herhalten, die mäßige Leistung steigerte sich auch gegen die Spanier (1:1) nicht. Die Spanier hatten im ersten Spiel gegen Südkorea eine 2:0-Führung in den letzten fünf Minuten verspielt. Beinahe wäre dasselbe auch Deutschland nach einer 3:0-Führung passiert. Der Sieg reichte für Platz 1 in der Gruppe hinter Spanien, die Bolivien am letzten Spieltag mit 3:1 schlugen (Bolivien gelang immerhin nach 517 Minuten das erste WM-Tor ihrer Geschichte, solange musste niemand warten). Aber die DFB-Elf hatte keineswegs überzeugt.
In Gruppe D ging’s drunter und drüber. Argentinien startete mit einem furiosen 4:0 gegen Griechenland. Batistuta traf 3-mal, Maradona nach einer Traumkombination 1-mal, und es schien, als sei mit dieser Mannschaft wieder zu rechnen. Nigeria startete ebenfalls und bezwang Bulgarien mit 3:0. Am zweiten Spieltag schlug Argentinien die „Super Eagles“ dank zweier Treffer von Caniggia, dem jeweils ein Freistoß von Maradona voranging, mit 2:1, während Bulgarien, die armen Griechen mit 4:0 vom Platz fegten. Stoitchkov zeigte seine Klasse und traf 2-mal.
Doch dann kam die Wende: Maradona wurde positiv auf Doping getestet und für den Rest des Turniers gesperrt. Ein Schock für Argentinien, von dem sich die Mannschaft nicht mehr erholte. Im letzten Gruppenspiel gegen Bulgarien setzte es eine 0:2-Niederlage. Das zweite Tor in der 90. Minute hatte Konsequenzen: Argentinien rutschte von Platz 1 auf 3, Nigeria und Bulgarien zogen vorbei. Griechenland verlor auch das letzte Spiel und hatte am Ende die Bilanz von 0 Punkten, 0 Toren und 10 Gegentoren vorzuweisen – dabei hatte man alle 3 Torhüter und 19 Feldspieler eingesetzt, eine historische Bestmarke.
Gruppe E war vor allem eine mathematische Herausforderung, denn es war die ausgeglichenste WM-Gruppe aller Zeiten. Italien startete mit einer sensationellen Niederlage gegen Irland (0:1) und tat sich auch beim 1:0-Sieg gegen Norwegen schwer. Die Norweger waren hoch eingeschätzt worden und hatten zum Auftakt Mexiko besiegt (1:0). Da aber auch Mexiko ein Spiel gewann (2:1 gegen Irland), hatten alle Mannschaften nach dem zweiten Spieltag einen Sieg bzw. 3 Punkte vorzuweisen. Und der Ironie nicht genug, die beiden letzten Gruppenspiele endeten unentschieden. Das Torverhältnis entschied über alle Platzierungen: Mexiko auf Platz 1, gefolgt Irland und Italien, Norwegen schied als Vierter aus.
Auch in Gruppe F mussten zur Ermittlung der Platzierungen mathematische Verrenkungen her. Die ersten drei Mannschaften schlossen die Gruppe mit 6 Punkten ab, das Torverhältnis und der direkte Vergleich mussten entscheiden. Die Niederländer überzeugten nicht und konnten ihr Auftaktspiel gegen Saudi-Arabien nach einem Rückstand nur knapp mit 2.1 gewinnen. Es folgte eine Niederlage gegen Belgien. Die Belgier hatten zuvor ihr Spiel gegen Marokko gewonnen und lösten so vorzeitig das Achtelfinal-Ticket. Saudi-Arabien wurde zur Überraschungsmannschaft: Nach dem Sieg gegen die punktlosen Marokkaner schlug man Belgien dank eines Maradona-Gedächtnis-Solo-Traumtor von Saeed Al-Owairan mit 1:0 und rutschte so vor Belgien auf Platz 2. Sie waren die erste asiatische Mannschaft seit Nordkorea 1966, die die Vorrunde überstanden, auch das saudische Königshaus war begeistert. Den Niederländern reichte ein 2:1 gegen Marokko zum Gruppensieg, da man den direkten Vergleich mit den punkt- und torgleichen Saudis gewonnen hatte.
Achtelfinale
Ohne Effenberg, der aufgrund eines Mittelfingerzeigs gegen die Fans nach seiner Auswechslung im Spiel gegen Südkorea nach Hause geschickt wurde, holte die DFB-Elf gegen Belgien zum Befreiungsschlag aus. Beim 3:2 traf Völler 2-mal und Klinsmann per Hacke, der WM-Gigant war wieder zurück. Die Schweizer gingen trotz eines 0:3 gegen Spanien mit erhobenem Haupt vom Platz. Schweden beendete das saudische Fußballwunder. Das Offensivtrio um Dahlin, Brolin und Kennet Andersson war zuviel für die Wüstensöhne, Dahlin und der zweifache Andersson sorgten für das 3:1. Die Saudis verabschiedeten sich jedoch ehrenvoll und mit einem Traumtor von Al-Ghesheyan.
Die Rumänen wiederum beendeten Argentiniens WM-Lauf. Maradona saß auf der Tribüne und spannte Verschwörungstheorien zu seiner Sperre. Er sah, wie in den ersten 18 Minuten drei Tore fielen: Dumitrescu traf zum 1:0, Batistuta glich fünf Minuten später per Elfmeter aus, zwei Minuten darauf traf erneut Dimitrescu. Es wurde ein Offensivspektakel. Der brillante Hagi traf nach einem Sololauf zum 3:1, Balbo erzielte per Freistoß nach einem Torwart-Patzer das 3:2. Aber es reichte nicht mehr für Argentinien. Rumäniens Trainer Iordanescu sprach vom „größten Ereignis seit der Revolution“.
Die Niederländer zeigten gegen Irland erstmals eine ansprechende Leistung, profitierten aber auch von den Fehlern der Iren. Der neue Star Dennis Bergkamp und Wim Jonk sorgten vor der Halbzeit für das 2:0-Endergebnis. Brasilien verhinderte mit einer mittelmäßigen Leistung ein amerikanisches Fußballwunder. Bebeto traf nach einer Kombination mit Romario in der 73. Minute zum entscheidenden 1:0. Kurz vor der Halbzeitpause hatte Leonardo nach einem brutalen Ellenbogenschlag gegen Ramos Rot gesehen, es war die wohl hässlichste Szene des Turniers.
Italien musste gegen Nigeria lange leiden. Die Nigerianer gingen durch Amunike in der 26. Minute in Führung, machten aber den Fehler, zu arrogant zu sein und gegen schwache Italiener den Sack nicht zuzumachen. Roberto Baggio, Italiens bester Stürmer, glich in der 89. Minute aus, und in der Verlängerung begann durch Baggios zweiten Treffer aus 11 Metern die Wiederauferstehung Italiens bei dieser WM. Bulgarien setzte sich nach einem 1:1 nach 120 Minuten (Stoitchkov erzielte sein viertes Turniertor) im Elfmeterschießen gegen Mexiko durch. Für Mexiko, die zum ersten Mal bei einer Nicht-Heim-WM die Vorrunde überstanden hatten, begann eine schreckliche Serie von Achtelfinal-Ausscheiden.
Viertelfinale
Italien setzte gegen Spanien mit viel Glück das Kapitel Wiederauferstehung fort. Dino Baggio brachte die Azzuri in der ersten Halbzeit in Führung, aber anschließend zogen die Spanier das Spiel an sich und glichen durch Caminero aus. Salinas scheiterte kurz vor Schluss frei vor Italiens Torwart Pagliuca kläglich, und kurz darauf war es Roberto Baggio, der zum schmeichelhaften 2:1 traf. Das Glück verließ Italien auch in der Nachspielzeit nicht: Ein brutaler Ellenbogenschlag von Tassotti gegen Luis Enrique im Strafraum blieb ungeahndet, der Übeltäter wurde aber zumindest nachträglich für acht Spiele gesperrt.
Brasilien und die Niederlande trennten sich in der ersten Halbzeit torlos. Die taktischen Fesseln brachen in der zweiten Halbzeit, Romario und Bebeto kombinierten traumhaft und legten sich gegenseitig die Tore auf. Nach dem 2:0 kreierten Romario, Bebeto und Mazinho den heute weltweit bekannten „Baby-Jubel„. Doch Oranje schlug zurück: Zwei Minuten später verkürzte Bergkamp mit feiner Technik. Das Tor gab den Niederländern Aufwind, und eine Viertelstunde vor Schluss glich Winter nach einer Ecke aus. Die fällige Verlängerung verhinderte Branco (der Leonardo-Ersatz) mit einem Gewalt-Freistoß in der 83. Minute. Brasilien schaffte nach 1978 wieder den Sprung unter die besten Vier.
Deutschland war gegen Bulgarien der große Favorit und spielte den besseren Fußball. In der 48. Minute erzielte Matthäus per Elfmeter die Führung, und kaum einer zweifelte an den deutschen Sieg. Dann geschah Sensationelles: Stoitchkov traf in der 75. Minute per Freistoß zum Ausgleich und nur drei Minuten später köpfte Letchkov eine Stoitchkov-Flanke ins deutsche Tor – Spiel gedreht, 2:1. Deutschland kam nicht mehr zurück. Ein kleines Wunder war geschehen, immerhin hatte Deutschland bei den letzten drei Turnieren immer das Finale erreicht.
Das Aufeinandertreffen zwischen Schweden und Rumänien brauchte lange Zeit, um in Fahrt zu kommen. In der 78. Minute ging Schweden dank Brolin in Führung, Rumäniens Raduciociu glich in der 88. aus und schoss seine Mannschaft in der 100. Minute in Führung, bevor Kennet Andersson in der 115. Minute die wilde Schlussphase beendete. Im Elfmeterschießen wurde Thomas Ravelli mit zwei gehaltenen Elfmetern zum Helden der Schweden. Die Rumänen verpassten es so, ihrem Nachbarland Bulgarien ins Halbfinale zu folgen.
Halbfinale
Italien zeigte gegen Bulgarien die mit Abstand beste Leistung bis dahin. Roberto Baggio erzielte in der 20. und 25. Minute sein viertes und fünftes Turniertor. Dabei zeigte er seine ganze individuelle Klasse. Stoitchkov zog dank eines Elfmeters zum 2:1 in der Torschützenliste davon, aber Italien ließ sich den Sieg nicht mehr nehmen. Die Wiederauferstehung war perfekt, nun wurden endgültig Vergleiche zur 1982er Mannschaft aufgestellt: Schlecht gestartet, mithilfe eines Torjägers zurückgekehrt (damals Paolo Rossi, heute Roberto Baggio) und nun im Finale.
Die Brasilianer mussten gegen Schweden eine Defensivschlacht überstehen. Die Skandinavier versuchten gar nicht, die eigene Hälfte zu verlassen, es war ein unglaublich einseitiges Spiel. Schwedens Torwart Ravelli zeigte eine brillante Leistung und rettete seine Mannschaft mehrmals vor dem Rückstand. Kurios scheiterten Romario und Mazinho in der 26. Minute beide vor leerem Tor, einer übersah einen Verteidiger, der andere traf nur das Außennetz. Irgendwann war der Bann gebrochen. Zehn Minuten vor Schluss ließ Schwedens Abwehr Romario im Strafraum aus den Augen, der das goldene Tor köpfte. Verdienter konnte man nicht im Finale stehen.
Spiel um Platz 3
Bulgarien hatte seine Erfolge mit Whisky zu ausgiebig gefeiert. Für den Trainer Panev war die einzige Motivation für das Spiel um Platz 3, den Ball an Stoitchkov zu passen, der unbedingt alleiniger Torschützenkönig werden wollte, ansonsten empfand er das Spiel als „überflüssig“. Es folgte ein Debakel. Die hochmotivierten Schweden lagen nach 38 Minuten bereits mit 4:0 in Führung. Den dritten Platz ließ sich Schweden nicht mehr nehmen. Der vierte Platz war für Bulgarien, eine zerstrittene Mannschaft voller Einzelkünstler, dennoch ein riesiger Erfolg. Beide Mannschaften entpuppten sich als One-Hit-Wonder: Schweden qualifizierte sich nicht für die EM 1996 und die WM 1998, Bulgarien schied jeweils in der Vorrunde aus.
Finale
Brasilien gegen Italien war ein Traumfinale. Beide Mannschaften hatten die WM jeweils dreimal gewonnen, sie waren absolute Fußball-Giganten und hatten starke Mannschaften aufzubieten. Die deutsch-argentinische Dominanz war vorbei, kein Maradona, kein Matthäus, stattdessen Romario und Baggio. Beide standen bei fünf Toren, einen hinter Stoitchkov und Salenko. Zu den Stützen der Brasilianer zählten neben Romario und Sturmkollege Bebeto Torwart Taffarel sowie Abwehrchef und Kapitän Dunga. Die Selecao spielte nicht sehr attraktiv, aber erfolgreich. Italien baute auf Schlussmann Pagliuca, der Defensive mit den Legenden Baresi und Maldini und natürlich Roberto Baggio.
Die Italiener mussten bis kurz vor Spielbeginn um den Einsatz von Roberto Baggio bangen, der sich gegen Bulgarien verletzt hatte. Das Spiel in der Hitze von Pasadena wurde zur betäubend langweiligen Taktikschlacht der Trainer Carlos Alberto Parreira und Arrigo Sacchi. Dabei war Brasilien die Mannschaft, die immerhin versuchte, ein Tor zu schießen, und weitaus mehr Torschüsse zu Buche hatte. Desto länger das Spiel dauerte, desto ermüdender wurde es. Die beste Chance in der regulären Spielzeit hatte Mauro Silva, der 15 Minuten vor Schluss per Freistoß den Pfosten traf. Der Ball prallte Pagliuca an den Arm, der daraufhin in einer epischen Szene den Pfosten küsste.
In der Verlängerung vergab Romario frei vor dem Tor auf unerklärliche Weise eine Großchance. Das Drama spitzte sich zu: Sekunden vor Schluss hatte Baggio plötzlich freie Bahn zum Tor, doch es kam nur ein Schüsschen dabei raus. Ende – 0:0, Elfmeterschießen. Das höchste Gericht des Fußballs musste über den WM-Titel entscheiden. Und die Tormisere setzte sich fort: Die ersten beiden Schützen versagten. Aber dann fielen endlich Tore. Nach drei Schützen auf beiden Seiten stand es 2:2, dann hielt Taffarel gegen Massaro und Dunga traf zum 3:2. Italiens fünfter Schütze war Baggio. Und der setzte den Ball mit dem schlechtesten Elfmeter der Geschichte weit über den Balken in den Pazifik. Brasilien war Weltmeister.
Es war, wie 1990, ein wirklich schlechtes Finale. 18,5 Millionen Amerikaner schauten im Fernsehen zu und sahen alle ihre Vorurteile über Fußball bestätigt – ein PR-Gau für die FIFA und den Fußball. Die brasilianische Freude über den ersten Titelgewinn nach 24 Jahren schmälerte das selbstverständlich nicht. Die Mannschaft widmete den Pokal dem im Mai verstorbenen Formel 1-Fahrer Ayrton Senna. Wochenlang herrschte Feierstimmung in der Copacabana, Italien versank in Trauer und beweinte den gefallenen Helden Roberto Baggio. Romarios Ankündigung, dass nun die „Ära Romario“ beginnen werde, war jedoch zu voreilig, denn die Zukunft gehörte Mit-Weltmeister Ronaldo. Aber dieser Titel war Romarios Verdienst.
Fazit
In 52 Spielen wurden 427 Spieler eingesetzt und 141 Tore geschossen (2,71 Tore pro Spiel – eine deutliche Steigerung zu 1990 mit 2,21). Man konnte viel attraktiven Offensivfußball und einen würdigen Weltmeister bestaunen, das schlimme Finale täuschte nicht darüber hinweg. Salenko und Milla schrieben in einem Spiel Geschichte, Al-Owairans Tor war einer der schönsten der WM-Geschichte, aber auch Maradonas Doping und die Tragödie um Andres Escobar blieben in Erinnerung. Die Ausrichter verzeichneten trotz voller Stadien Verluste, und der Fußball in den USA erlebte nur für kurze Zeit etwas Aufmerksamkeit, dann waren wieder die NFL, NBA und MLB dran.
Platzierungen
1. Brasilien
2. Italien
3. Schweden
WM-Torschützenkönig
Hristo Stoitchkov (6)
Oleg Salenko (6)
Titel-Ranking
Brasilien (4)
Italien (3)
Deutschland (3)
Argentinien (2)
Uruguay (2)
England (1)
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