Ende September erschien im Spiegel ein Text, der sich mit der politischen Situation in Syrien, Irak und Libyen beschäftigte. Der Tenor des Textes war: Eine „stabile Diktatur“, wie es in diesen Ländern früher gab, ist besser als Anarchie. Mal ganz abgesehen davon, dass Anarchie eher „Herrschaftslosigkeit“ bedeutet als „Herrschaft von vielen Banditen“, krankt die Analyse daran, zu erkennen, warum so viele Länder ins Chaos abdriften, und wie sich das verhindern lässt. Denn nichts garantiert mehr Chaos in der Zukunft als ein Regime, dass ausschließlich mit Gewalt zusammengehalten wird.
Warum ist Syrien in das Mad Max-Taliban-Style-Chaos abgerutscht, das es heute ist? Unter Assad war Syrien eine totalitäre Diktatur. Es gab keine politische Opposition, keine freien Wahlen, null Rechtsstaatlichkeit und Kritik an der Regierung brachte einen in die Folterkeller von Adra und Tadmor, in denen einige bekannte Dissidenten ganze Jahrzehnte verbrachten. Diese Zeit nennt man heute „stabil“. Aber diese Stabilität basiert einzig und allein darauf, dass die Bürger sich nicht erheben, weil sie Angst haben, gefoltert und/oder umgebracht zu werden. Fällt für einen kritischen Prozentsatz der Bevölkerung diese Angst weg, ist die Stabilität dahin.
Eine Diktatur ist besser als Bürgerkrieg. Aber das eine führt in das andere. Wenn ein Regime als Antwort auf friedliche Proteste keine andere Reaktion als Massenmord und Terror kennt, ist es eben nicht stabil. In Wirklichkeit ist es extrem instabil und so gut wie immer von Gewalt und Bürgerkrieg bedroht, in deren Folge nicht selten die friedlichen Kräfte verschwinden und durch Radikale ersetzt werden. Der einzige Weg, um politische Stabilität zu garantieren, ist es, allen Bürgern Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Möglichkeit zur politischen Teilhabe zu geben. Wer dagegen auf eine vermeintlich „stabile Diktatur“ setzt, wacht im schlimmsten Fall im heutigen Syrien auf.
Syrien ist ein gutes Beispiel für diesen Prozess: Nach dem Beginn der Proteste gegen Assad sprühten Regime-Anhänger die Botschaft „Bashar – oder wir brennen dieses Land nieder“ an Wände. Dieses Versprechen haben sie gehalten: Das Regime hat ganze Städte eingeäschert, Hunderttausende getötet, Millionen vertrieben und traumatisiert, die Wirtschaft und Infrastruktur des Landes zerstört und darüber hinaus islamistische Milizen ins ins Land gelockt. All das hätte verhindert werden können, wenn das Regime als Reaktion auf die Proteste nicht Gewalt, sondern demokratische Reformen gewählt hätte.
Trotzdem gibt es Menschen, die anstatt dem Regime den Opfern die Schuld für die Gewalt und Zerstörung des Landes geben, wie eine Diskussion zeigt:
You have destroyed the country. Why did you people have to go and take to the streets? You mean the regime has destroyed the country, right? Our revolution does not have cannons and missiles and does not bomb populated cities… I know, but if there had been no uprising the regime would not have responded this way…
Was ist mit Diktaturen, die wirtschaftlich erfolgreich sind und deshalb kaum von großen Protesten bedroht sind, wie z.B. China oder Kuwait? Auch hier greifen dieselben Prozesse wie bei anderen Diktaturen. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was passiert, sollte es in China eine Krise geben, dem ein Aufstand folgt. Und wie die Beispiele Bahrain und Hongkong zeigen, sind auch reiche Länder nicht vor Protesten geschützt. Natürlich wäre eine „Reform von oben“, ganz ohne Blutvergießen, der beste Weg. Revolutionen, bewaffnete Aufstände und ausländische Interventionen enden meistens übel. Aber es haben nur wenige das Glück, einen reformwilligen Diktator zu bekommen.
Oktober 13, 2014 um 23:11 |
auch der Westen hat nicht-demokratische Verbündete.
die Diktatur ist jedoch kein gewünschter Zustand – in Südamerika wurden zwar Diktaturen im Kalten Krieg akzeptiert, um die Ausbreitung des Kommunismus zu stoppen.
es wurde jedoch stets Druck ausgeübt, zu demokratischen Verhältnissen zurückzukehren – keine einzige rechte Diktatur wurde zum Dauerzustand.
während man die vergangenen diktatorischen Sünden in Chile immer noch regelmäßig anprangert, hat man mit der nach wie vor existierenden Diktatur in Kuba keine Probleme.
Oktober 14, 2014 um 09:31 |
Besonders lustig ist ja eigentlich, was mir selbst leider nicht sofort aufgefallen war, was mir aber doch sehr klar wurde, als ich’s vor kurzem irgendwo las:
Die (linken) Leutchen, die jetzt lauthals die Beseitigung der Diktaturen beklagen, sind genau dieselben, die vorher ebenso lauthals bejammerten, es seien nur die vom imperialistischen Westen gestützten Diktatoren, die verhinderten, das Friede, Freude und EIntracht herrschten….