Schon wieder hat eine Studie das bewiesen, was und die Umverteiler seit Jahren predigen: Die Armen werden immer ärmer und die Reichen werden immer reicher. In Deutschland gehören diese Sätze zu den absoluten Grundzügen jeder politischen Diskussion: „Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander“. Und schuld daran ist der „entfesselte Neoliberalismus“ von Thatcher, Reagan und Schröder mit ihren Steuersenkungen, Privatisierungen, Deregulierungen und Abbau von Arbeiterrechten. Was wir deshalb dringend brauchen, sind Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuererhöhungen, bessere öffentliche Dienstleistungen und Mindestlöhne.
Aber hat die Studie Recht? Zweifel sind angebracht. Und selbst wenn die Ungleichheit gestiegen wäre, ist es die Armut definitiv nicht: Der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Nicht nur am Einkommen gemessen, sondern auch am Lebensstandard. Aber schauen wir mal nicht auf die Dritte Welt, sondern auf Deutschland. Hier wird ja, weitgehend widerspruchslos, genau dasselbe behauptet. Die gute Lage Deutschlands in Europa sei eine Lüge, eigentlich hätte sich in den letzten Jahren nichts verbessert. Aber stimmt das? Nimmt die Armut zu? Nimmt die Ungleichheit zu? Nimmt der Staat immer weniger Steuern ein? Schauen wir es uns mal genauer an.
1. Die Armut nimmt immer weiter zu.
Nein. Die Armutsstatistiken messen erstens nicht wirkliche Armut, sondern nur relative Armut. Demnach gilt man als arm, wenn man weniger als 50% und als „armutsgefährdet“, wenn man weniger als 60% des Durchschnittseinkommens hat. Gemäß diesen Messungen leben in Deutschland mehr Arme als in Ungarn oder Griechenland. Zweitens besagen selbst diese Statistiken nicht, dass die Armut wächst. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stieg die Armut zwischen 1999 und 2004, ab 2005 ist sie auf gleichbleibendem Niveau. Auch die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts besagen, der Anteil der Armen sei seit Einführung der EU-weiten Erhebung 2008 „relativ stabil“.
2. Die Ungleichheit nimmt immer weiter zu.
Falsch. Um die Ungleichheit zu messen, gibt es den Gini-Koeffizienten, erfunden von einem Vordenker des Faschismus. Obwohl auch diese Methode nicht frei von Fehlern sein dürfte, besagt der Koeffizient für Deutschland: Die Ungleichheit stieg von 1991 bis 2005, seit 2006 nähern sich die Einkommen aber wieder an. Von 2007 bis 2012 sank der Koeffizient sogar von 0,30 auf 0,28 – die Ungleichheit nahm in dieser Zeit also ab. Auch ist die Ungleichheit in Deutschland nicht, wie oft behauptet, auf „Rekordniveau in Europa“ – tatsächlich liegt Deutschland im europäischen Mittelfeld (des Weiteren sollte man natürlich klarstellen, dass Ungleichheit an sich kein Problem ist, sondern nur, wenn sie auf ungerechte Weise zustande kam).
3. Der Staat nimmt immer weniger Steuern ein.
Stimmt nicht. Dabei muss ich sagen, dass es wunderbar wäre, wenn der Staat weniger Steuern einnehmen würde, aber es stimmt einfach nicht. Es gab tatsächlich unter Schröder Steuer- und Abgabensenkungen, was auch gut war, aber die Steuern und Abgaben sind dennoch in absoluten und relativen Zahlen gestiegen. In absoluten Zahlen: Im Jahr 2000 nahm der deutsche Staat umgerechnet 467 Milliarden Euro Steuern ein, 2013 waren es 619 Milliarden (eine Rekordzahl). In relativen Zahlen: Die Abgabenquote in Relation zum BIP sank von 2000 bis 2005 von 42,5% auf 39,1%, stieg aber bis 2013 wieder auf 40,0% – also hat der Staat den Bürgern in den letzten Jahren keineswegs mehr von seinen Einkommen gelassen.
4. Neue Arbeitsplätze entstehen nur im Niedriglohnbereich.
Lüge. Die Deregulierungen durch die Hartz-Reformen haben dazu geführt, dass viele gut bezahlte Arbeitsplätze entstanden sind. Von 2005 bis 2012 stieg die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen von 26,2 auf 29 Millionen. Das „Jobwunder“ ist also real. Die weitverbreitete Vorstellung, neue Arbeitsplätze würden nur im Niedriglohnbereich oder als Zeit- oder Leiharbeit entstehen, ist absurd. Dazu ein Beispiel: Laut Umfragen glauben viele Deutsche, etwa 20-35% aller Beschäftigten seien in Zeitarbeit, in Wirklichkeit sind es 2,8%. Außerdem glauben viele, immer mehr Menschen bräuchten einen Zweitjob zur Existenzsicherung. Die meisten Zweitjobber sind aber wohl qualifizierte Leute mit gutem Einkommen, die sich einfach was dazuverdienen wollen.
Fazit
Wir sehen also: Die Vorstellung von Deutschland als ein Land, indem dank eines amoklaufenden Neoliberalismus die Armut steigt, die Ungleichheit explodiert und der Staat immer kleiner wird, hat nichts mit der Realität zu tun. Ein Argument kommt immer wieder, wenn man diese Fakten präsentiert: Es spielt keine Rolle, wie viele Arme es gibt, jeder ist einer zuviel. Das stimmt. Gerade deswegen sollte man die richtigen Zahlen verwenden: Weil jeder Arme einer zuviel ist. Oder wird Armut erst dann ein Problem, wenn sie steigt? Wenn man sagt, die Armut steigt nicht, will man damit nicht die Armut verharmlosen, sondern einfach nur die Wahrheit wiedergeben.
Wahrscheinlich haben die meisten ein Problem mit den sinkenden Armuts- oder Arbeitslosenzahlen, weil es nicht in ihr politisches Programm passt. Weil sie nicht für die freie Marktwirtschaft sind, sondern lieber „mehr Frankreich wagen“ wollen. Tatsächlich haben Schröders Reformen Deutschland gut getan. Sie gingen jedoch nicht weit genug. Wir haben noch immer zu viele Regulierungen und zu hohe Abgaben. Deswegen stagnieren die Reallöhne seit 20 Jahren. Was wir brauchen, sind mehr Deregulierungen und Abgabensenkungen. Aber das wollen die Deutschen nicht. Stattdessen erleben wir mit der Großen Koalition ein regelrechtes Regulierungsmassaker, dass uns teuer zu stehen kommen wird. Als ob die Eurorettung und die Energiewende nicht schlimm genug wären.
Januar 20, 2015 um 22:46 |
habe auch überlegt, was zu der Studie zu schreiben – mein Beitrag wäre jedoch ohnehin weniger fundiert als deiner gewesen 😉
Januar 21, 2015 um 17:29 |
Hauptsache, irgendeiner macht es. 🙂
Während sich in englischsprachigen Medien zumindest ein paar Zweifler finden, gibt es in den deutschen Medien leider keine Kritik am Oxfam-Bericht.
Januar 21, 2015 um 12:31 |
Hallo Arprin,
ich empfehle interessante ‚papers‘ dazu.
1) Branko Milanovic mit dem Titel „Global Incone Inequality by the Numbers: in History and Now“: http://elibrary.worldbank.org/doi/pdf/10.1596/1813-9450-6259
2) Xavier Sala-i-Martín & Maxim Pinkovskiy: http://www.nber.org/papers/w15433
3) Mehr von Sala-i-Martín: http://www.salaimartin.com/academics-and-books/my-academic-papers.html
4) Zuletzt ein Artikel von AEI: http://www.aei.org/publication/matt-ridley-global-poverty-is-falling-dramatically-and-so-is-global-inequality-so-why-the-obsession-about-inequality/
Januar 21, 2015 um 16:25 |
Danke für die Links!
Januar 23, 2015 um 23:59 |
[…] Der liberale Atheist arprin beschreibt, was man beachten sollte, wenn man über das Thema Armut und die entsprechenden Statustiken spricht: Die Mythen der Umverteiler […]
Januar 24, 2015 um 00:15 |
Was sagst du zu steigenden Einkommen & Vermögen der Superreichen? Darüber habe ich bisher ziemliche Einigkeit gehört & gelesen. Entsprechende Statistiken kranken allerdings daran, dass diese Bevölkerungsgruppe nicht gerade redselig ist, was ihre finanziellen Verhältnisse angeht… Die „Dunkelziffer“ ist daher enorm. Und was an Vermögen, die man in einem Leben gar nicht mehr ausgeben kann, volkswirtschaftlich sinnvoll sein soll, erschließt sich mir nicht.
Damit argumentiere ich nicht aus Neid heraus, sondern sehe ein aus der Perspektive der Menschheit ineffizientes System. Von zwangsweisem Umverteilen halte ich auch nichts. Dennoch sehe ich akuten Handlungsbedarf.
Januar 24, 2015 um 18:31 |
Ich persönlich glaube, das einfach an der falschen Ecke besteuert wird. Einmal ist es richtig, dass stehendes Vermögen volkswirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Bewegtes Geld dagegen ist für alle profitabel – einschließlich der Armen, schließlich kurbelt es die Wirtschaft an und erzeugt somit z.B. auch neue Arbeitsplätze.
Überdurchschnittliches Einkommen von wenigen ist also an sich kein Problem – so lange es ausgegeben wird. Das ganze Rumgemotze über Vielverdiener kommt halt auch durch Neid.
Wenn das Geld allerdings in so enormen Mengen, wie es manche tun, angesammelt wird, wird dieses Geld dem Wirtschaftskreislauf entzogen, und der trocknet dadurch sozusagen ein wenig aus.
Also anstatt Gutverdienern die Hälfte ihres Einkommen wegzunehmen (was ungerecht ist, die Wirtschaft enorm bremst und so allen (wieder einschließlich der Armen) schadet) sollte man a) Die Staatsausgaben deutlich zurückfahren (sowieso) und so die Gesamtsteuermenge senken und, das ist meine Meinung, b) die Einkommensteuer zugunsten einer Vermögenssteuer zurückfahren. So schaffen wir einen Anreiz, sein Geld lieber auszugeben, und holen gleichzeitig etwas stehendes Geld wieder in den Kreislauf zurück.
Januar 27, 2015 um 10:22
Wo gibt es denn dieses stehende Vermögen? Sofern es der Betreffende nicht in Form von Gold oder Bargeld unterm Sofa hortet, ist dieses Geld im Wirtschaftskreislauf wie jedes andere Geld auch. Gerade das Geld der Vermögenden, denn deren Strategie ist langfristig angelegt.
Januar 28, 2015 um 19:24
@max: Du hast natürlich Recht – ich wollte den Aspekt außen vor lassen, um das ganze zu vereinfachen. Trotzdem bin ich für eine Vermögenssteuer, denn irgendwo müssen wir die Steuern ja herkriegen, und da halte ich es einfach für gerechter die beim Vermögen als beim Einkommen zu holen. Außerdem halte ich sie als Ausgabeanreiz trotz allem für wirtschaftlich sinnvoll.
Eine gute Quote wären vorerst 1% Vermögenssteuer und 25% Einkommenssteuer – bis wir die Staatsausgaben senken können und dann langfristig auf etwa 0,5% und 10% kommen. Nur das Du Dir vorstellen kannst, was ich meine – ich will keineswegs jemand sein ehrlich erwirtschaftetes Vermögen wegnehmen, nur eine geringe Steuer und dafür eine umso geringere Einkommenssteuer.