In letzter Zeit steht die Stadt Leipzig im Mittelpunkt der deutschen Medien und macht auch international Schlagzeilen. Deswegen dachte ich mir, ich berichte auch mal über wichtige Ereignisse aus der Stadt. Selbstverständlich meine ich damit den neuen Fußballverein Red Bull Leipzig. Der ist momentan in der zweiten Bundesliga auf dem siebten Platz, vier Punkte von einem Relegationsplatz entfernt. Für eine Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohnern, die seit 25 Jahren ohne Erstligapräsenz ist, eigentlich eine gute Nachricht. Zumal die „traditionellen“ Leipziger Fußballvereine Lok und Chemie zuvor nur durch sportliche Talfahrten, Schuldenbergen, leeren Stadien, Hooligan-Gewalt und Neonazis auffielen.
Es gibt jedoch ein Problem: Red Bull Leipzig ist ein „Retortenverein“, d.h., nur dazu gegründet, um Geld zu machen. So sehen es zumindest die zahlreichen Kritiker des Projekts. Der Verein sei „zum Kotzen“, „Wettbewerbsverzerrung“, ein „Retortenverein“ und würde „den Fußball zerstören“. Sogar die Ostklubs haben sich von RB Leipzig distanziert, obwohl er der einzige Verein aus der ehemaligen DDR ist, der eine Chance hat, in der Bundesliga zu spielen. Man kann schon jetzt davon ausgehen, dass RB Leipzig in der Bundesliga der meistgehasste Verein sein wird. Der Hass ist so groß, dass es in vielen Stadien Fan-Choreos gegen den Verein gibt und sogar die Tagesschau sich nach einem Shitstorm für ein Lob für RB Leipzig entschuldigen musste.
Nun ist es jedem selbst überlassen, was er von RB Leipzig hält, und alleinige Sache der Bundesliga, wie sie mit dem Verein umgehen. Es ist für mich jedoch völlig irrational, RB Leipzig so sehr zu hassen wie es die sogenannten Fans der „Traditionsvereine“ tun. Unter Traditionsverein scheinen sie eine kleine, exklusive Gruppe zu verstehen, in die man nicht mehr hineinkommt, egal was man tut. Leipzig, Hoffenheim, Wolfsburg oder Leverkusen haben also keinen Eintritt, dafür aber jeder noch so sportlich abgestürzte Verein, der 100 Jahre alt ist, gewalttätige Fans hat und nur mithilfe von Steuergeld vor der Insolvenz bewahrt werden konnte. Denn RB Leipzig und co. machen etwas Unverzeihliches: Sie investieren Geld in einen Verein, und haben damit Erfolg. Ein Skandal.
Der Vorwurf, es würde den Retortenvereinen nur um Geld gehen, zeugt von einer verqueren Weltsicht. Der gesamte Fußball wurde in den letzten Jahrzehnten kommerzialisiert. Warum? Weil die durchschnittliche Bevölkerung reicher wurde und mehr Geld hatte, um es für Fußball auszugeben. Mitte des Jahrhunderts hatten nur wenige Geld für Tickets, Trikots und TV-Übertragungen übrig. Heute hat sich das geändert, der Zuschauerschnitt stieg massiv, die Fans konnten sich massig Fan-Artikel kaufen und überall auf der Welt wurden die TV-Rechte an den großen Ligen für viel Geld verkauft. Die Folge: Die Vereine hatten mehr Geld, und konnten ihren Spielern so höhere Gehälter zahlen, und der Sport wurde für Investoren attraktiv. Das macht den Fußball nicht kaputt.
Okay, nicht jeder Investor ist ganz koscher. Roman Abramovic wird sein Vermögen, dass er in den 1990er Jahren in Russland angehäuft hat, nicht ganz sauber erworben haben. Dasselbe gilt für viele Öl-Scheichs und asiatischen Geschäftsmännern, die im europäischen Fußball investieren. Und ja, viele Investoren steigen ein, häufen Schulden an und verschwinden dann einfach. Aber das ist kein Investoren-Problem, sondern ein Investitionsproblem. Wie viele Traditionsvereine haben ebenfalls Schuldenberge angehäuft? Ist es besser, wenn ein Verein mit Steuergeld subventioniert wird (so wurden für das neue Stadion von Rot-Weiß Essen 24 Millionen Euro Steuern verbrannt – Essen hat 3 Milliarden Euro Schulden), als wenn ein Investor Geld in den Verein pumpt?
Wenn sie ganz ehrlich sind, werden die Traditionalisten natürlich einräumen, dass auch ihre Traditionsvereine vom Geld von Investoren leben. Schalke bekommt Finanzspritzen von Gazprom, Dortmund verkaufte seinen Stadionnamen an einen Versicherungskonzern, so gut wie jeder englische Traditionsverein lebt von ausländischen Investoren und Real Madrid bekommt Geld von einem Baumagnaten und Öl-Scheichs von Abu Dhabi. Diese Tatsache wird von den Traditionalisten entweder ignoriert oder mit dem Zusatz kritisiert, dass Schalke, Dortmund oder Real Madrid zumindest eine lange Tradition und „echte Fans“ statt der Erfolgsfans von Retortenvereinen haben.
Aber viele der sogenannten Retortenvereine sind älter als Traditionsvereine. Bayer Leverkusen wurde 1904, der VfL Wolfsburg 1945 und die TSG Hoffenheim 1899 (oder, je nach Ansicht, 1945) gegründet, während der als Traditionsverein geltende 1.FC Köln erst 1948 entstand. Schon hier erkennt man, wie absurd der Kult um die Traditionsvereine sind. Das Alter allein ist außerdem ein ziemlich nichtssagendes Kriterium, um zu entscheiden, ob eine Sache besser ist als eine andere. Demnach müssten Länder wie Frankreich, Deutschland und Spanien besser sein als die USA, Brasilien oder Australien, weil sie viel älter sind und damit mehr Tradition haben als die künstlichen Kolonialstaaten.
Haben Traditionsvereine mehr und bessere Fans? Die Anzahl der Fans hängt meist vom Erfolg und der Bevölkerungszahl der Region ab. Die meisten Traditionsvereine haben kaum Zuschauer, wenn sie in der vierten Liga landen, ganz egal wie groß die Stadt ist. Leverkusen und Wolfsburg sind kleine Städte, kein Wunder dass sie nicht immer vor ausverkauften Rängen spielen wie z.B. Hamburg, Stuttgart oder Frankfurt. Nicht von der Hand zu weisen ist der Vorwurf, die Retortenvereine hätten in ihren Stadien nur wenig Stimmung. Aber gerade dieser Vorwurf ist nicht auf Retortenvereine beschränkt: Real Madrid und der FC Barcelona sind bekannt dafür, ein Operettenpublikum zu haben, und auch der FC Bayern gilt nicht als Stimmungsmagnet.
Das Problem, dass man mit Retortenvereinen hat, ist wohl ganz einfach der, dass sie mit Fußball Profit machen wollen. Mag sein, dass Red Bull jetzt für Erstligafußball in Leipzig, neue Arbeitsplätze und schöne, hooligan-freie Stadionerlebnisse für Familien sorgt, aber es bleibt etwas Schlechtes, wenn es von einem Konzern für Profit gemacht wird. Dieser Hass manifestiert sich dann z.B. bei einem Fanprojekt, der einen eigenen Energy Drink als „Alternative zu Red Bull“ anbieten und die Erlöse für Fanprojekte und Jugendarbeit spenden will. Man darf nur Gutes tun, wenn man keinen Profit macht. Alles andere ist böse. Dabei haben viele der gehassten Retortenvereine in ihrer Region viel Gutes bewirkt.
Ein Beispiel dafür ist die TSG 1899 Hoffenheim. Sie sind nicht nur ein wichtiger Steuerzahler und Arbeitgeber, sondern auch der Stolz der Region:
Laut EBS-Studie ist der Klub als Aushängeschild weit über die Stadtgrenzen hinaus von Bedeutung. Die Befragung unter Fußballinteressierten und Fans des Bundesligisten ergab, dass 83 Prozent stolz sind, Hoffenheimer zu sein. Die Bedeutung als regionaler Identitätsanker lasse sich schließlich auch daran erkennen, dass die Rhein-Neckar-Arena bei einer ungestützten Umfrage als zweitwichtigstes Wahrzeichen genannt wurde – gleich hinter dem Schloss Heidelberg.
Wie gesagt: Niemand muss Vereine wie Leipzig oder Hoffenheim mögen. Aber auch nicht hassen. Was zählt, ist auf dem Platz. Wenn ich Fußball sehe, dann wegen dem Fußball, und nicht wegen der Arbeiterromantik. Wenn RB Leipzig mit spektakulärem One-Touch-Fußball die Bundesliga überrollt, werde ich nicht so tun, als würde mir das nicht gefallen und lieber verschuldete, hooligan-verseuchte Fünftligavereine sehen, weil sie „Tradition“ haben.
Januar 26, 2015 um 01:26 |
Am besten alle Vereine auflösen und nur noch Spieler casten die aus der jeweilgen Großstadt/Landkreis kommen. Das wäre dann echte Tradition.
Januar 27, 2015 um 00:32 |
So Vereine aus Großstädten haben durchaus in der Regionalliga wesentlich mehr Zuschauer als der Rest der Liga. Man darf nicht den unfairen Vergleich zwischen verschieden-hohen Ligen machen, denn auch die Zu-und Abnahme der Zuschauer bei Auf- und Abstieg ist von Verein zu Verein unterschiedlich.
Januar 27, 2015 um 22:05 |
Ja, das stimmt. Rot-Weiß Essen hat z.B. einen hohen Zuschauerschnitt. Was ich sagen wollte ist, dass es immer auch von der sportlichen Lage abhängt. Vereine wie Stuttgart, Hertha oder Bremen hätten, wenn sie sportlich abgestürzt sind, auch deutlich niedrigere Zuschauerzahlen.
Januar 27, 2015 um 22:27 |
Der 1. FC Köln ist keine Nachkriegs“gründung“ sondern eine Zusammenlegung aus dem Kölner BC und der Spielvereinigung Sülz. Er trägt deswegen auch die Gründungsdaten 1901 und 1907 im vollständigen Namen. Und auch Hoffenheim, so wie wir es heute kennen, ist aus einer Fusion hervorgegangen. So viel Korrektheit muß sein.
Zudem ist Tradition nicht nur im Alter, sondern vor allem auch in Erfolgsstatistiken begründet, die sich insbesondere auf Meisterschaft, Pokal, und Europapokal beziehen. Dazu zählen auch unvergeßliche Partien. So war etwa der FC der erste ausländische Verein, der den FC Barcelona in deren eigenem Stadion bei einem Pflichtwettbewerb geschlagen hat, und zwar mit 4:0. Das ist graue Vergangenheit (frühe 80er), aber natürlich eine große Geschichte, und genau aus solchen Geschichten speisen sich Traditionen.
Allerdings will ich damit nichts gegen den Grundtenor des Artikels, insbesondere nichts gegen Leipzig sagen, das übrigens nicht Red Bull Leipzig, sondern Rasen-Ballsport Leipzig heißt.
Januar 27, 2015 um 23:47 |
Vor der Zusammenlegung gab es ja den Verein 1. FC Köln nicht. Dass die TSG 1899 Hoffenheim eigentlich später (1945) gegründet wurde, habe ich auch angesprochen. Jahreszahlen in Vereinsnamen sind oft irreführend, den VfL Bochum gibt es auch nicht seit 1848, sondern 1938.
Der „eigentliche“ Name von RB Leipzig ist mir bekannt, aber auch in den Sportmedien wird eher Red Bull benutzt als Rasen-Ballsport.
Januar 31, 2015 um 00:13 |
[…] Ich bin ja kein Fußballfan, aber was arprin hier schreibt kann ich nachvollziehen: Tradition und Kommerz […]
Februar 5, 2015 um 23:58 |
[…] über frühere Fußballweltmeisterschaften haben mir immer sehr gut gefallen. Nun folgte vor kurzem ein weiterer Fußballbeitrag von Arprin. Hierbei ging es um RB Leipzig. Auf diesen Beitrag möchte ich gerne […]