Archive for September 2015

Was gehört zu Deutschland?

September 30, 2015
Kann man sein Land verraten?

Kann der Islam deutsch werden?

Nachdem Hunderttausende Flüchtlinge muslimischen Glaubens in Deutschland angekommen sind, stellt sich mal wieder die Frage: Gehört der Islam zu Deutschland? Diese Debatte ist sinnlos, da er keine sinnvolle Definition voraussetzt, was unter „zu Deutschland gehören“ und „Islam“ (ist die Religion gemeint, die dazugehörige Kultur, oder einfach nur die Muslime?) gemeint ist. Selbst wenn man demografische, historische oder kulturelle Definitionen anlegt, um zu beurteilen, ob etwas zu Deutschland gehört, ist die Frage kaum zu klären, da man eine genaue Definition bräuchte, ab wann etwas demografisch, historisch oder kulturell zu Deutschland dazugehört. Schließlich bleibt noch die Frage ungeklärt, ob es überhaupt etwas Gutes wäre, wenn der Islam zu Deutschland gehört.

Schauen wir uns zuerst einige Definitionen an:

– demografisch: Es gibt 4 Millionen Muslime in Deutschland. Somit könnte man argumentieren: Der Islam gehört zu Deutschland. Aber ab wie vielen Anhängern gehört eine Religion zu Deutschland? Es gibt in Deutschland sicher auch Anhänger von Scientology, des Jainismus oder vom Jedi-Kult. Gehört eine Religion zu Deutschland, wenn sie schon 1 Anhänger im Land hat? Oder ab 1.000? Ab 100.000? Ab 1 Million?

– historisch: Deutschland wurde historisch von Dingen geprägt, die von Muslimen gemacht wurden. Deutschland übernahm die arabischen Zahlen, einige arabische Erfindungen und kämpfte oft gegen oder mit dem Osmanischen Reich. Aber Deutschland übernahm auch Kartoffeln aus Südamerika und Feuerwaffen aus China. Gehören die Inkas und die Chinesen auch zu Deutschland? Oder Papua-Neuguinea, das immerhin eine deutsche Kolonie war?

– kulturell: Moscheen und Döner sind in Deutschland zwar vielleicht nicht genauso oft vorzufinden wie Kirchen und die Currywurst, aber sie sind sehr verbreitet. Moscheen findet man öfter vor als Synagogen, und Dönerstände öfter als Burger King-Filialen. Aber auch hier hat keiner einen Punkt festgelegt, ab wann etwas „zu Deutschland gehört“, also kann die Frage wieder nicht objektiv beantwortet werden.

In einem Artikel beim „European“ hat Hasso Mansfeld die ganze Debatte bereits schön auf den Punkt gebracht. Es ist eine aus politischer Faulheit geborene Phrase, die vollkommen das Thema verfehlt. (more…)

Kleine Vorschau auf 2016

September 25, 2015
Rand Paul

Hat er eine Chance?

Was erwartet Amerika bei den Präsidentschaftswahlen 2016? Der eigentliche Wahlkampf hat noch nicht angefangen, es kann sich bezüglich der Kandidaten und der Favoriten noch alles ändern, und doch kann einem schon etwas gruselig werden. Denn die Kandidaten, die derzeit bei den beiden Parteien in den Umfragen vorne liegen, haben ein hohes destruktives Potenzial. Allerdings gibt es auch einen kleinen freiheitlichen Hoffnungsträger, der sich wacker hält. Schließlich gibt es bei beiden Parteien noch zwei Kandidaten, die Familiendynastien fortsetzen wollen und ziemlich langweilig wären, da sie kaum eine Änderung der aktuellen Politik bringen würden.

In den Medien macht die Kandidatur von Donald Trump am meisten Schlagzeilen. Das liegt wohl daran, dass viele in ihm den ungezogenen Bauernlümmel sehen, der er ist. Das sieht man vor allem an seiner nationalistischen Rhetorik. Einwanderer brachte er mit Drogen und Vergewaltigungen in Zusammenhang (auch wenn er betonte, es gäbe auch gute Einwanderer). Er will alle 11 Millionen illegale Einwanderer deportieren und eine Mauer um die Grenze nach Mexiko bauen, außerdem soll nicht mehr jeder, der in den USA geboren wurde, die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen. Das hat ihn den Ruf des ignoranten, rassistischen Republikaners eingebracht.

Aber seine übrigen Ansichten sind nicht soweit entfernt von dem, was seine Gegner vertreten, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass er jahrelang ein Unterstützer der Demokraten war. Trump befürwortet eine allgemeine Krankenversicherung, nur anders als Obamacare, und will, obwohl er ja selbst zu den „oberen 1%“ gehört, höhere Steuern für Reiche. Für seine wirtschaftspolitischen Ansichten wurde er von Paul Krugman gelobt. Alles in allem repräsentiert Trump den „Wutbürger“, eine Art amerikanischer Strache oder Le Pen. In den Umfragen liegt Trump bei den Republikanern an vorderster Front. Das mag einen gruseln, aber noch düsterer sieht es bei den Demokraten aus. Hier liegt Bernie Sanders vorne, eine Art amerikanischer Hugo Chavez. (more…)

Wenn Gewalt toleriert wird

September 20, 2015

Im März dieses Jahres trat Jean Ziegler, offen bekennender Kommunist und einer der bekanntesten Globalisierungsgegner im deutschsprachigen Raum, im österreichischen Fernsehen auf und äußerte dort den Satz „Spekulanten gehören aufgehängt. Punkt.“

Es ist nicht vermessen anzunehmen, dass ein solcher Satz, wenn er von einem Rechten geäußert worden wäre („Gutmenschen gehören aufgehängt. Punkt.“), große Empörung ausgelöst hätte. Nach Zieglers Satz hielt sich die Empörung in Österreich jedoch in Grenzen. Eine ähnlich große Nicht-Empörung löste jüngst das Plakat eines Dortmunder Theaterstücks aus, dass in dem Schweizer Magazin „Surprise“ gezeigt wurde und indem die Aufschrift „Tötet Roger Köppel! Roger Köppel tötet!“ zu lesen war. Köppel ist ein konservativer Politiker und Herausgeber der Zeitung „Weltwoche“, die für das Plakat verantwortlichen Künstler linke Aktivisten, die mit ihrer Kunst der vom Magazin gestellten Frage nachgingen „Was braucht die Schweiz?“

Wie ernst es Politik und Medien dagegen meinen, wenn es um rechte Hetze geht, zeigen die jüngsten Äußerungen von Bundesjustizminister Heiko Maas, mit Facebook über neue „Gemeinschaftsstandards“ zu sprechen, um gegen Hasskommentare vorzugehen. Als Vorbote, welche Blüten diese Maßnahmen treiben könnten, sollte dieser Vorfall dienen: Vor vier Tagen löschte Facebook aus Versehen einen Satire-Artikel vom Postillon, der sich über Nazis lustig machte. Die ganze Härte, mit der gegen rechte Hetze vorgegangen wird und für die manchmal die Meinungsfreiheit geopfert wird, steht im krassen Gegensatz zur erstaunlichen Toleranz, die gegen linke Hetze gezeigt wird.

Dabei geht es nicht nur um Kommentare, sondern auch um Gewalt. Während der Proteste gegen die Eröffnung der neuen EZB-Zentrale in Frankfurt kam es zu den üblichen Randalen von den linken Weltverbesserern. Der Grünen-Politiker Karsten Finke schrieb in einem Artikel, den er mittlerweile wieder gelöscht hat (aber Ausschnitte sind erhalten geblieben), Folgendes zum Thema brennende Autos:

Bei vielen Demos in Frankreich, Griechenland oder Chile gehört es zum normalen Bild, dass Autos brennen. Deswegen wundert es mich immer wieder, wie die Deutschen ausrasten, wenn hier PKW angezündet werden. Das könnte auch etwas mit dem “Auto-Fetisch” der Deutschen zu tun haben. … Brennende Polizeiautos sind ideologisch gesehen eigentlich noch ganz gut vertretbar, denn hier wird der Staat als Solches angegriffen. Ähnlich ist es mit Sabotageaktionen gegen die Bundeswehr oder Vergleichbares.

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Charter Citys gegen die Armut

September 15, 2015
Die Zukunft der Dritten Welt? (Bild: Base64)

Die Zukunft der Dritten Welt? (Bild: Base64)

Als die chinesische Führung nach dem von Maos Kommunismus hinterlassenen Desaster wirtschaftliche Reformen ins Auge fasste, gab es, neben der Einführung von Privateigentum in der Landwirtschaft, eine Maßnahme, die sich besonders positiv auswirkte: Die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen. In diesen Zonen gelten andere rechtliche Bedingungen als im übrigen Land. Meistens heißt das: Der Handel ist freier (weniger oder keine Zölle), die Steuern sind niedriger, die Regulierungen im Arbeitsmarkt sind kleiner – kurz gesagt: Die Anreize für Investitionen sind wesentlich besser als im Rest des Landes. In China trugen die Sonderwirtschaftszonen somit auch einen großen Anteil an dem großen Wachstum der letzten Jahrzehnte bei.

Vielleicht hatte China es leicht, die Vorteile einer befreiten Wirtschaft zu erkennen, weil es ein Beispiel dafür direkt vor Augen hatte: Hongkong. Hongkong war im Grunde schon eine Sonderwirtschaftszone, denn es war eine Insel inmitten einer kommunistischen Tyrannei. Das Konzept von Sonderwirtschaftszonen wurde später von einigen Ländern kopiert. Heute gibt es sie u.a. in Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Russland, Uruguay und sogar in Nordkorea (an der Grenze zu Südkorea). Die Erfahrungen mit diesen Zonen sind gut, es wird mehr investiert und mehr gehandelt, der Wohlstand erhöht sich. Die Weltkarte der Sonderwirtschaftszonen ist jedoch sehr klein.

Im Jahr 2009 machte der Ökonom Paul Romer den Vorschlag, in den Entwicklungsländern sogenannte „Charter Citys“ zu gründen. Diese Städte würden eigene, von dem Rest des Landes unabhängige rechtliche Bedingungen bekommen, mit dem Ziel, dort mehr Wachstum zu schaffen. In der Dritten Welt gibt es zwar schon viele Regionen, in denen sich ausländische Unternehmen hintrauen, doch entgegen der öffentlichen Meinung machen diese Investitionen einen geringen Anteil der Weltproduktion aus. In den Entwicklungsländern zu produzieren, ist für die meisten Unternehmen unattraktiv. Charter Citys könnten für viel mehr Auslandsinvestitionen in der Dritten Welt sorgen, sowie die Sonderwirtschaftszonen in China mehr Investoren nach China lockten. (more…)

Der Westen Schuld an den Flüchtlingsströmen?

September 10, 2015
Das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien ist mittlerweile die viertgrößte Stadt des Landes

Flüchtlingslager in Jordanien. Warum wollen alle nach Deutschland?

Die Flüchtlingskrise hat Deutschland fest im Griff. Einen Plan, wie man damit umgehen soll, scheinen nur wenige Politiker zu haben. Immerhin gibt es Forderungen, wie die Asylanträge schneller zu bearbeiten und die Integration am Arbeitsmarkt zu erleichtern, doch umgesetzt wurde bisher nichts. Stattdessen wird die Debatte dominiert von Schuldzuschreibungen, wer für die Flüchtlingswelle verantwortlich ist. Meistens sehen die Kommentatoren die Ursachen für die großen Fluchtbewegungen im Westen selbst. In der Regel werden zwei Gründe genannt: Der Westen hätte mit seiner Außenpolitik die Kriege verursacht, vor denen die Menschen jetzt fliehen, und die Ausbeutung durch westliche Konzerne würde die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben.

Die letzte Behauptung kann man nur mit geballter Unkenntnis erklären. Josef Urschitz hat sie in einem Kommentar in der „Presse“ auseinandergenommen:

Amerikanisches Tablet aus China, Handy aus Südkorea, britische Schuhe aus Vietnam, deutsche Textilien aus Sri Lanka. Aber so intensiv man auch sucht: Nichts dabei aus Afghanistan, Tschetschenien, Irak, Syrien, Somalia oder Eritrea. Also von dort, wo die aktuellen Flüchtlingsströme wirklich herkommen.

Welche Daten und Sozialindikatoren man auch immer heranzieht (Löhne, Gesundheitssysteme, Bildungssysteme, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit) – alle korrelieren positiv mit dem Grad der Einbindung in den Welthandel. Und die meisten haben sich dort verschlechtert, wo diese Einbindung aus den verschiedensten Gründen ausgeblieben ist.

Seine Schlussfolgerung: Fabriken sind besser als Grundzäune. In der Tat sind die Länder, die von der Globalisierung erfasst wurden, auch von großem Wachstum erfasst worden, der Hunderte Millionen Menschen aus absoluter Armut geholt hat. Es bräuchte also dringend mehr und nicht weniger kapitalistische Ausbeutung, wenn einem das Wohl der Menschen in diesen Ländern am Herzen liegt. Aber was ist mit der Behauptung, der Westen hätte mit seiner Außenpolitik für die Flüchtlingsströme gesorgt? Zuletzt hat Gregor Gysi diese These im Bundestag wiederholt, und nicht wenige Kommentatoren haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Westen für die Ursachen der Flüchtlingswelle verantwortlich zu machen.

Leider wird ein Schwarz-Weiß-Bild an die Wand gemalt. Entweder man gibt dem Westen für alles die Schuld, oder man hält ihn für komplett unschuldig. Tatsächlich ist es möglich, die westliche Außenpolitik zu kritisieren, und gleichzeitig den Westen nicht für alles Übel im Nahen Osten verantwortlich zu halten. Der Irakkrieg war ein Fehler, aber die derzeitige Flüchtlingswelle wurde nicht dadurch ausgelöst, sondern vom Bürgerkrieg in Syrien. Die Situation, die in Syrien zum Ausbruch des Bürgerkriegs führte, war eine ganz andere als im Irak 2003. Im Irak war die westliche Intervention tatsächlich der erste Auslöser für das darauffolgende Chaos. In Syrien hatten ganz andere Akteure die Hände im Spiel. (more…)

Vorsicht vor Ikonen

September 5, 2015
Einer der ersten Propagandabilder: Paul Reveres Stich vom Boston-Massaker 1775

Einer der ersten Propagandabilder: Paul Reveres Stich vom Boston-Massaker 1775

Manchmal prägen sich Bilder in die Köpfe der Menschen ein. Sie werden zu Ikonen ihrer Zeit, wenn wir sie ansehen, wird uns eine ganze Zeit vor Augen geführt. Dazu gehört das Bild von Paul Reveres Stich des Boston-Massakers 1775 oder das von Robert Capa im Jahr 1936 geschossene Foto des fallenden Soldaten im spanischen Bürgerkrieg. Bei diesen Ikonenbildern geht es in erster Linie um die Botschaft. Sie soll die Menschen aufrütteln. Das kann durchaus was Gutes sein, aber es gibt zwei Probleme mit ihnen: Manchmal sind sie unehrlich, denn sie stellen eine Situation übertrieben dar oder inszenieren sie komplett. Das zweite Problem ist, dass sie oft nur auf Emotionen appellieren und nicht das Ziel haben, vernünftige Lösungsvorschläge für ein Problem anzubieten.

Fälschungen sind bei Ikonenbildern nicht ungewöhnlich. Paul Revere hat in seinem Stich des Boston-Massakers die Ereignisse propagandistisch verfälscht. In Wirklichkeit standen die britischen Soldaten nicht in einer Reihe und schossen auf die Opfer, es war ein gegenseitiger Aufruhr, und es fand nicht tagsüber, sondern um 21 Uhr statt. Auch bei Robert Capas Foto kamen nach seinem Tod Zweifel auf, ob sein Foto vom fallenden Soldat nicht gestellt wurde. Oft werden auch Geschichten erfunden, mit denen sich die Menschen identifizieren sollen, wie die des Armeniers Soghomon Tehlirian, der Talaat Pascha, den Planer des Völkermords, oder die des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, dessen Tod den arabischen Frühling auslöste.

Momentan geht das Foto des toten Jungen Aylan Kurdi durch die Medien. Er ertrank bei dem Versuch, zusammen mit seiner Familie mit einem Schlepperboot illegal nach Europa zu kommen. Was der genaue Anlass war, warum seine Familie nach Europa wollte, ist nach den Interviews des Vaters und der Tante noch nicht völlig klar. Aber das Bild des toten Jungen ist dennoch zur Ikone geworden. Die Menschen, die das Bild teilen, tun dies jedoch überwiegend aus emotionalen Gründen, nicht um einen vernünftigen Vorschlag zur Lösung eines Problems zu geben. Es ist quasi die Einstellung „Ich habe geweint, also bin ich gut“, wie es Brendan O’Neill in einem sehr treffenden Beitrag ausdrückt. (more…)