Vor fünf Tagen erschien die mit Abstand beste Nachricht aller Zeiten. Obwohl die meisten Medien darüber berichteten, hält sich die Freude in Grenzen. Die Medien sind eher an schlechten Nachrichten interessiert, da passt das nicht rein: Die Armut befindet sich historisch betrachtet auf dem tiefsten Stand aller Zeiten. Zum ersten Mal leben weniger als 10% der Menschheit in absoluter Armut. Dieser Fortschritt lässt sich vor allem auf eine Entwicklung zurückführen: Die freie Marktwirtschaft. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sich nur wenige freuen und die Nachricht sogar mit Missgunst aufnehmen. Die Gründe, warum die Nachricht vom weltweiten Rückgang der Armut keine guten sein sollen, hören sich in etwa so an:
– „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“
– „Sollen wir uns freuen, dass jetzt nur 6 Millionen Kinder jährlich sterben statt 12 Millionen?“
– „Es könnte viel schneller gehen, wenn der Westen nicht die Entwicklungsländer ausbeuten würde!“
– „Das ist nur eine temporäre Entwicklung, in Zukunft wird der Kapitalismus zusammenbrechen“
Schauen wir uns diese Einwände genauer an:
„Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“
Ein ad hominem in Perfektion. Eine Statistik ist falsch, weil sie einem nicht gefällt. Das ist kein Argument und kann man getrost ignorieren. Es ist aber möglich, die Methodik einer Statistik zu kritisieren. Das ist was vollkommen anderes und darauf kann eingegangen werden. Wie ist die Statistik über die globale Armut zustandegekommen? Die am häufigsten genannten Statistiken über die globale Armut stammen von der UNO und der Weltbank. Die UN-Definition von absoluter Armut geht von einem Einkommen von 1 Dollar pro Tag aus, die Weltbank-Definition bis vor kurzem von 1,25 Dollar, nun wurde sie auf 1,90 Dollar erhöht. Mit dieser Definition wird nicht nur das bloße Einkommen gemessen, sondern, was das eigentlich Wichtige ist, der Lebensstandard: Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser, die Gesundheitsversorgung, Zugang zu Bildung usw.
In all diesen Punkten kann man Fortschritte erkennen: Der prozentuelle Anteil der Menschen, die unterernährt sind, ist um ein Viertel gesunken, von 20% auf 15%, die Kindersterblichkeit ist gesunken, es sterben jährlich 6 Millionen Kinder an den Folgen von Krankheiten oder Unterernährung, aber 1990 waren es 12 Millionen, beim Kampf gegen viele Krankheiten wurden große Erfolge erzielt, so ist die Neu-Infektionsrate von Aids in Afrika drastisch gesunken, die Alphabetisierungsrate befindet sich auf einem Rekordhoch, in den Entwicklungsländern besuchten in den 1980ern 50% der Mädchen eine Schule, heute sind es 80%. Der Fortschritt ist also real und nicht bloß auf dem (Dollar-)Papier. Es gibt andere Statistiken, die die Armutsrate etwas höher ansiedeln, aber auch sie dokumentieren einen hohen Rückgang der Armut in den letzten Jahrzehnten.
„Sollen wir uns freuen, dass jetzt nur 6 Millionen Kinder jährlich sterben statt 12 Millionen?“
Ja. Das bedeutet, dass jetzt jedes Jahr 6 Millionen Kinder mehr überleben als zuvor. Das ist eine gute Nachricht. Bei vielen scheint die Ansicht vorzuherrschen, Fortschritt sei erst dann zu begrüßen, wenn alle Probleme verschwunden sind. Entweder sterben keine Kinder mehr oder es ist kein Fortschritt. Entweder sind alle Probleme gelöst oder alles ist schlecht. Diese Einstellung ist nicht nur Unsinn, weil auch kleine Verbesserungen schon Verbesserungen sind (und ich würde 6 Millionen gerettete Leben nicht als „klein“ bezeichnen), sondern auch schädlich: Es kann entmutigt wirken, wenn Verbesserungen nicht gewürdigt und stattdessen mit einem verächtlichen Schulterzucken wahrgenommen werden.
„Es könnte viel schneller gehen, wenn der Westen nicht die Entwicklungsländer ausbeuten würde!“
Es könnte viel schneller gehen, und in einigen Fällen kann man sagen, dass der Westen die Entwicklungsländer behindert, z.B. wenn westliche Länder mit Agrarsubventionen und Importzöllen ihre Bauern vor dem Weltmarkt schützen oder wenn sie korrupte Diktatoren unterstützten. Aber es ist vollkommen falsch, dem Westen die Hauptschuld an der Misere der Entwicklungsländer zu geben. Die wirtschaftliche (und politische) Lage der Entwicklungsländer ist in allererster Linie selbstverantwortet. Wie man an den Beispielen Südkorea, China und Vietnam sieht, können bettelarme Länder trotz des westlichen Protektionismus wirtschaftlich aufsteigen, wenn sie ihre Volkswirtschaften freier machen, und korrupte Diktatoren sind keine westlichen Erfindungen.
Der Gipfel der Heuchelei ist, dass die Leute, die westliche Ausbeutung beklagen, sich diese in Wirklichkeit wünschen, immerhin fordern sie mehr Protektionismus und weniger Freihandel. Dabei hat Afrika gerademal einen Anteil von 2-3% im Welthandel, ist also schon weitgehend frei von dem, was sie unter „westlicher Ausbeutung“ verstehen. Aber trotzdem sollte klar sein: Der Schlüssel zum (noch größeren) Aufschwung in den Entwicklungsländern liegt nicht im Westen, sondern bei den Entwicklungsländern. Alle westlichen Agrarsubventionen, Importzölle und Unterstützung für Diktatoren könnten ein explosionsartiges Wirtschaftswachstum Afrikas nicht aufhalten, wenn die afrikanischen Regierungen ihre Volkswirtschaften freier machen würden.
„Das ist nur eine temporäre Entwicklung, in Zukunft wird der Kapitalismus zusammenbrechen“
Das würde euch freuen, nicht wahr? Aber es ist wahrscheinlich, dass es keinen totalen Untergang geben wird und die aktuelle Entwicklung, selbst wenn es Phasen der Stagnation oder der Rezession gibt, auf längere Sicht das 21. Jahrhundert anhalten wird. Der dauerhafte Untergang der Zivilisation ist nur möglich, wenn eine gigantische Menge an Wissen vernichtet oder unterdrückt wird, so wie es z.B. in Europa nach dem Untergang Roms geschah. Dank unserer weltweiten Vernetzung und relativ großen Maß an Freiheit sind wir vor so einer Entwicklung gut abgesichert. Nur ein apokalyptisches Ereignis wie ein Kometeneinschlag oder die Errichtung einer Weltdiktatur könnten soviel Wissen vernichten, um ein neues Mittelalter zu verursachen. Wenn diese Ereignisse nicht eintreffen, sind wir zu immer weiterem Fortschritt verdammt und jeder noch so große Schlamassel, so furchtbar er auch sein wird, wird wieder aufgeräumt werden können.
Selbst wenn uns unsere Politiker wieder zwei Weltkriege bescheren – was wirklich unnötig wäre – wird unser Jahrhundert wieder eine große Wohlstandsmehrung bringen, so wie das letzte, das uns neben den großen Katastrophen auch den größten Wohlstand aller Zeiten brachte. Ich denke, im Jahr 2100 werden Hunger, absolute Armut und die meisten Krankheiten besiegt sein, der Lebensstandard wird in den Entwicklungsländern höher sein als in den Industrieländern heute und die linken Professoren werden darüber schwadronieren, wie ungerecht eine Gesellschaft ist, in der die Armen nur 2 Ferraris haben können und Kinder mit dem Wissen ins Bett gehen, dass ihre Eltern sich nur eine Reise in den Mars leisten können, während die Reichen ihre Kinder schon in den Pluto schicken. Einerseits nervig, andererseits ein Happy End.
Oktober 10, 2015 um 23:24 |
*In* den Mars? Ja, ist der denn neuerdings ein Gasriese?
Oktober 12, 2015 um 23:31 |
Da der Mars nur eine sehr dünne und nicht atembare Atmosphäre hat, kann man annehmen, daß er zuerst unter der Oberfläche besiedelt wird. Untermarsig sozusagen 🙂 Damit wäre die Formulierung „in den Mars“ durchaus passend.
Oktober 13, 2015 um 10:58
Solange die Unternehmung nicht „in den Mors“ geht, ist jedenfalls alles gut 🙂
(in der norddeutschen Umgangssprache das Gesäß)
Oktober 22, 2015 um 04:32 |
Jede Lageverbesserung ist eine Schaendung des Angedenkens an Spartakus! Ferner ein Frevel am heiligen Geist des Schlechten Gewissens und ein Anschlag auf das Grundrecht, sich uneingeschraenkt beklagen zu koennen.
Nur wer frei ist zu klagen (natuerlich zuvorderst ueber das Elend anderer) der vermag sich ueber das Los des Schachern zu erheben.
Oktober 22, 2015 um 19:49 |
Gut ausgedrückt.
Aber die Wahrheit sollte dennoch nicht verschwiegen werden, denn es gibt kein Recht, sich zu beschweren. 🙂
Oktober 31, 2015 um 14:03 |
Ich halte das aus mehreren, miteinander zusammenhängenden Gründen nicht per se für eine gute Nachricht: Denn diese Statistik misst „Armut“ oder eben „Nicht-Armut“ ausschließlich in Geld. Damit blendet sie völlig aus, dass man durchaus, wenn die umgebende Gesellschaft entsprechend gestaltet ist, völlig ohne Geld sehr wohlhabend leben kann. Daher stelle ich 1. die Aussagekraft in Frage, ob wirklich jetzt anteilsmäßig so viel weniger Menschen in Armut leben, oder genau so viele, wenn nicht sogar mehr als vorher: nämlich diejenigen, die bisher in einer geldlosen Kultur gut gelebt hatten und nun nach dem globalen Maßstab Geldeinkommen auf einmal arm geworden sind.
Und zum zweiten: Charles Eisenstein geht sogar so weit zu sagen, mit der Ausdehnung der „wirtschaftlichen“ Sphäre, d.h. Geld als universellem Maßstab, ist bisher alles immer knapper geworden. Aus dieser Perspektive kann ich die Nachricht mit der so genannten „absoluten Armut“ sogar als schlechte Nachricht deuten.
Damit will ich nicht sagen, dass ich konkrete Armut in Ordnung finde, ich stelle nur den Maßstab Geld in Frage. Eine gleichmäßigere Verteilung des derzeitigen Maßstabes Geld bewirkt in unserem Wirtschaftssystem, dass auch die konkrete Armut abnimmt, denn Geld bedeutet ja auch Verfügungsgewalt über die Dinge, die wir für ein gutes Leben brauchen. Nur: es ist beileibe nicht die einzige Form einer solchen Verfügungsgewalt, siehe Commons/Gemeingüter.
Ich schließe daher mit einer Frage: Kennst du sinnvollere/aussagekräftigere Maßstäbe für globale Armut als das Geldeinkommen? Die würden mich sehr interessieren.
Oktober 31, 2015 um 21:41 |
Ja, der konkrete Lebensstandard, also die Versorgung mit Dingen, die von den Menschen nachgefragt werden. Dazu zählen zuallererst die Grundbedüfnisse wie Versorgung mit Nahrung, Medizin, Wohnraum usw., danach die Luxusbedürfnisse.
Ich denke, die Unterschiede zwischen den Völkern sind nicht so groß wie einige glauben. Die Urwaldvölker greifen doch gerne zu modernen technischen Hilfsmitteln, wenn sie sie zu Gesicht bekommen.