Als Utopie gilt im modernen Verständnis eine Idee, deren Umsetzung aufgrund der Natur des Menschen oder aufgrund der Realität unmöglich ist. Besonders der Kommunismus wird als utopisch bezeichnet, wenn man die ganzen erfolglosen Versuche sieht, das Paradies für die Arbeiter zu errichten. Aber genau betrachtet fällt nicht nur der Kommunismus in diese Reihe. Ich wünsche mir z.B. eine Welt ohne Steuern, Drogenverbote und mit wirklich offenen Grenzen und Märkten. Stand jetzt ist das alles utopisch. Deshalb könnte man auf die Idee kommen, der Liberalismus sei genauso utopisch wie der Kommunismus, weil er im realen Leben aufgrund der Natur der Menschen nicht möglich ist.
Es gibt aber einen Unterschied zwischen Umsetzung und dem Ergebnis. Kommunismus und Liberalismus mögen zumindest heute in Deutschland nicht umsetzbar sein, aber die Ergebnisse der Umsetzung wären vollkommen andere. Viele sagen „Kommunismus ist schön in der Theorie, in der Praxis funktioniert er nicht“, aber das Gegenteil ist der Fall: Der Kommunismus ist barbarisch in der Theorie, aber er ließ sich leider umsetzen, wie man an der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion, dem Großen Sprung nach vorn in China und den Volkseigenen Betrieben in der DDR sehen konnte. Die Umsetzung führte nur nicht zum vorausgesagten Ergebnis. Der Liberalismus würde dagegen in der Umsetzung durchaus die vorausgesagten Ergebnisse erzielen. Man kann das, wenn es um das Thema Wirtschaft geht, z.B. an Hongkong und Singapur sehen, von den Kommunisten gehasste Orte, weil dort die totale Ungleichheit herrscht.
Allerdings ist klar, dass, trotz des wichtigen Punkts, dass die eine Utopie ins Elend und die andere in den Wohlstand führt, beide Utopien sind. Das heutige Deutschland ist aufgrund der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung weit weg vom Ideal einer freien Wirtschaftsordnung. Weltfrieden hätte auch schöne Ergebnisse, ist aber derzeit nicht umsetzbar. Sind deshalb Liberalismus wie Kommunismus gleichermaßen totaler Unsinn? Von einigen Leuten habe ich solche Botschaften vernommen. Weil er von vornherein aussichtslos ist, sei der Liberalismus einfach nur eine Utopie, mit der man sich gar nicht beschäftigen sollte. In den kommenden Jahrzehnten wird es kein liberales Utopia in Deutschland geben. An diese Leute gerichtet habe ich erstmal eine Frage:
Glaubt ihr wirklich, ich weiß das nicht?
Ich weiß es, es ist mir schmerzlich bewusst. Dennoch ist es für mich kein Unsinn, liberal zu sein. Es spricht nichts dagegen, sich mit der Theorie auseinanderzusetzen, um zu sehen, was einem als langfristiges Ziel vorschwebt, auch wenn das Ziel kurzfristig unerreichbar ist. Frauenrechtler in Saudi-Arabien können von einer Welt träumen, in der Frauen kopftuchfrei mit dem Auto in ein auch von Männern besuchtes Stadion fahren dürfen, ohne vorher ihren männlichen Vormund um Erlaubnis gefragt zu haben. Das ist nicht schlimm. In der Realität werden sie viel gemäßigtere Zwischenziele aufstellen. Negativ wird das Festhalten an eine Utopie nur, wenn man sich nur mit der radikalen Komplettumsetzung zufriedengibt und jeden kleinen Kompromiss als „Verrat“ ablehnt. (more…)