Wenn es um die Frage geht, ob die EU mehr Vorteile als Nachteile hatte, gibt es unter liberalen Kreisen verschiedene Ansichten. Einige betonen, ohne die EU hätte es keine offenen Grenzen und keinen Freihandel in Europa gegeben, außerdem würde der Euro zu mehr Haushaltsdisziplin führen, weil verschuldete Staaten nicht einfach ihre Währung abwerten könnten, da sie keine eigene mehr haben. Ich sehe diese Rechnung eher skeptisch. Die offenen Grenzen verdanken wir nicht der EU, sondern dem Schengener Abkommen, für den Freihandel brauchte es auch nicht zusätzlich die EU, ein Vertrag hätte ausgereicht, und Haushaltsdisziplin ist keine Frage des Euro: Harte Reformen gab es ohne den Euro (z.B. Thatcher in Großbritannien) und mit dem Euro sind sie keine Gewissheit (z.B. Griechenland oder Frankreich).
In den letzten Jahren wurde die EU ganz eindeutig mehr zu einer Bedrohung unserer Freiheit als zu ihrer Hüterin. Jede Woche brachte eine neue Verordnung, neue Abgaben für die Eurorettung und einen neuen Zentralisierungsplan. Europa sollte nach dem Wunsch der Eurokraten zu einem „solidarischen“ Bundesstaat werden, darunter verstanden wurde in erster Linie ein gemeinsamer Schuldendienst. In ferner Zukunft sollte daraus eine echte politische Union werden, also mit einem immer mächtigeren EU-Parlament (und Kommission) und immer schwächeren nationalen Parlamenten. Gegen eine Zentralregierung, die mehr Freiheit durchsetzt, wäre nichts einzuwenden, aber eine politische Union würde eher nicht zu einer Verschweizerung Europas führen, sondern zu einer Hellenisierung.
Angesichts dieser Entwicklungen war das einzig Gute, was man über die EU noch sagen konnte, dass die EU-Gegner noch schlimmer sind, handelt es sich hier doch vielfach um rechtspopulistische Nationalisten. Aber das ist auf Dauer kein Grund, um die EU für gut zu halten, immerhin ist die EU selbst eine Gefahr und die Rechtspopulisten sind nicht die einzige Alternative zur EU, es kann auch ein Europa zwischen der EU und Rechtspopulisten geben. Das beste Beispiel dafür ist Großbritannien. David Cameron gehört nicht zur Marke Front National, Fidesz oder FPÖ, ist aber ein EU-Gegner und plant ein Referendum zum EU-Austritt seines Landes. Um das zu verhindern, hat jetzt Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, mit Cameron einen Reformvorschlag für die EU ausgehandelt, der es in sich hat.
Gemäß diesem Vorschlag soll es ausdrücklich nicht mehr das Ziel sein, aus der EU eine politische Union zu machen wie die USA. Das sogenannte „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, wonach die Mitgliedsländer alle in verschiedenen Geschwindigkeiten letztlich das gleiche Ziel, einen europäischen Bundesstaat, anstreben sollen, wäre damit begraben. Die nationalen Parlamente würden durch die Einführung einer „Roten Karte“, mit dem Parlamente, die zusammen mehr als 55% des europäischen Wahlvolks ausmachen, Gesetzesinitiativen ausbremsen können, gestärkt. Somit könnte die EU zu einem lockeren Staatenbund werden, möglicherweise werden viele der derzeitigen EU-Institutionen entmachtet oder ganz abgeschafft (auch der Euro?).
Auch die wirtschaftlichen Reformen sind weitgehend. Nicht-Mitglieder der Eurozone sollen Schutzmechanismen bekommen, um nicht durch die anderen Mitglieder benachteiligt zu werden, Großbritannien soll auf keinen Fall an Bailouts beteiligt werden. Der gemeinsame Markt soll gestärkt (was hoffentlich nicht mehr „Harmonisierung“ der Regulierungen bedeutet) und mehr Freihandelsabkommen mit der übrigen Welt abgeschlossen werden. Außerdem soll der Zugang zu Sozialleistungen für EU-Ausländer eingeschränkt werden dürfen. Somit wäre die Sorge vor einem „Sozialtourismus“, den es auch in Deutschland gibt (sogar Nahles will härtere Regelungen, damit keine Rumänen für Sozialhilfe kommen), eingedämmt.
Eine solch reformierte EU würde wahrscheinlich eine deutlich höhere Akzeptanz in der Bevölkerung genießen und durch das Ende des Versuchs, eine politische Union zu etablieren, eine weit niedrigere Gefahr für die Freiheit in Europa darstellen. Deswegen sollten wir hoffen, dass Cameron und Tusk sich durchsetzen. Stellt sich trotzdem die Frage, ob wir die EU und den Euro brauchen oder ob es nicht besser wäre, beides abzuschaffen. Die Schweiz kommt ganz gut ohne aus, Großbritannien würde es wohl auch schaffen. Aber selbst wenn die EU bleibt (und sich ausweitet, Serbien hat im Dezember 2015 offiziell Beitrittsverhandlungen aufgenommen), würde durch die Reform zumindest die Gefahr einer politischen Union eingedämmt, was schon eine gute Nachricht ist.
Februar 15, 2016 um 18:18 |
Schmunzel, Cameron ist ein klassischer Rechtspopulist, KEIN Liberaler ! Und wenn er die EU nicht braucht, kann er ja gerne austreten, die EU-Bürger brauchen ihn NICHT.
Die Schweiz hat ja gebettelt um einen Zugang zur EU, sonst wäre die Schweizer Realwirtschaft total pleite !
Februar 18, 2016 um 01:50 |
Setz dich mit deinem Aluhut in die Ecke und hör auf mit deinem Geschwafel zu nerven, du Troll.
Februar 18, 2016 um 06:17 |
Schmunzel, aber der Brexit ist nicht unser Problem , sondern Camerons. Und er ist auch kein Demokrat, sonst würde er sein Volk sofort entscheiden lassen. Er will halt nur erpressen. 😉
Februar 18, 2016 um 17:37
Haste deine Pillen wieder nicht genommen?
Februar 18, 2016 um 22:19
Die Kommentare von miltonbGE sind immer merkwürdig. Es geht ihm fast immer ums BGE (dieses Mal auf wundersame Weise nicht), egal ob es was mit dem Thema zu tun hat, und Höflichkeit ist nicht seine Stärke.
Februar 19, 2016 um 08:25
arprin, ich habe nur meine Meinung, Cameron ist ein Rechtspopulist geäußert. Er ist Tory und kein Liberaler !
Juni 23, 2016 um 16:59
So, wie ich das hier sehe, ist Höflichkeit vor allem nicht Elomans Stärke. miltonGE äußert sich doch vollkommen sachlich.
Februar 18, 2016 um 12:42 |
„Stellt sich trotzdem die Frage, ob wir die EU und den Euro brauchen oder ob es nicht besser wäre, beides abzuschaffen. Die Schweiz kommt ganz gut ohne aus, Großbritannien würde es wohl auch schaffen.“
Es wäre schön, wenn Sie das mit der Schweiz näher erläutern würden. Auf der Webseite der Schweizer EU-Delegation findet man folgende Aussagen:
„Die Schweiz und die EU sind engste Wirtschaftspartner: Der gegenseitige Warenaustausch hat ein Volumen von rund einer Milliarde Franken – pro Arbeitstag. Mit fast 10 % der Exporte und 5,6 % der Importe war die Schweiz 2013 der viertgrösste Handelspartner der EU nach den USA, China und Russland. Die Schweiz wiederum wickelt fast 55 % ihrer Exporte mit der EU ab und bezieht von da 75 % ihrer Importe. Die EU ist damit mit Abstand der bedeutendste Handelspartner der Schweiz. Bei Dienstleistungen und Investitionen ist die gegenseitige Verflechtung noch grösser.“ (http://eeas.europa.eu/delegations/switzerland/eu_switzerland/political_relations/index_de.htm)
Insofern kommt die Schweiz wohl wirtschaftlich kaum ohne die EU aus, Im Übrigen ist der Weg, den die Schweiz gegangen ist, sich mit bilateralen Verträgen der EU quasi „anzuschließen“ denkbar schlecht, da man keine Mitsprache innerhalb der Union hat, aber trotzdem alle Regeln und Verordnungen übernehmen muss, um am Europäischen Binnenmarkt teilnehmen zu können. Somit ist die angeblich so freie und unabhängige Schweiz tatsächlich ziemlich abhängig und als Nichtmitglied auch noch der Willkür der EU unterworfen.
Februar 18, 2016 um 22:24 |
Ich meinte eine Mitgliedschaft in der EU. Die Schweiz ist kein EU-Mitglied und genießt trotzdem sehr hohen Wohlstand. Dass sie mit den EU-Mitgliedern wirtschaftliche Beziehungen hegen, ist doch kein Widerspruch zu der Aussage, dass sie keine EU-Mitgliedschaft brauchen.
Februar 19, 2016 um 08:22 |
Martin, Sie haben Recht, nur arprin is mal wieder völlig desinformiert. Und dieses Abkommen gibt es nur als Ausnahme mit der Schweiz, z.B. aber nicht mit Norwegen !
Juni 23, 2016 um 17:02 |
Ich gebe zu, keine Ahnung zu haben. Mich würde aber mal interessieren, inwiefern man die Schweiz und das Schweizer Modell wirklich als Vorbild für die EU oder andere europäische Staaten hernehmen kann. In Anti-EU-Kreisen wird ja stets die Schweiz als eine Art Allheilmittel erwähnt, aber man findet eigentlich nicht wirklich fundierte Hinweise und Erklärungen, warum das denn nun so ist. Allein an der Volksbefragung kanns ja nicht liegen.
Februar 19, 2016 um 14:36 |
Mir kommt ein Aspekt bei der ganzen Debatte immer zu kurz: die Tatsache, dass wir erst mit der EG/EU eine Friedensperiode hatten, die einmalig in der europäischen Geschichte ist. Wir rühmen uns gerne ob unserer Zivilisiertheit, vergessen dabei aber, dass sich Europäer vor 1945 regelmäßig die Köppe eingeschlagen haben. Auch außerhalb der EU sah und sieht es in Europa keineswegs so friedlich aus. Der jugoslawische Bürgerkrieg fand gleich vor der Haustür statt, und der war mit seinen Deportationen, Umsiedlungen und ethnischen Säuberungen nicht gerade ein harmloses Scharmützel. Seit aber Slowenien und Kroatien in der EU sind, ging es in diesen Ländern politisch aufwärts und auf einmal läuft es auch wieder mit Serbien besser. Ähliches gilt für den Zypernkonflikt und die Streitigkeiten zwischen der Slowakei bzw. Rumäniens mit Ungarn, diese Länder hatten in den Neunzigern oftmals ernsthaften Beef wegen der Präsenz von Minderheiten und alten Grenzverläufen. Órban spielt diese Karte immer noch aus, ist nun aber dank der EU etwas eingeschränkt. Und in den europäischen Gebieten, die nicht zur EU gehören, gibt es weiterhin Kriege oder „frozen conflicts“: Georgien, Ukraine, Moldau/Transnistrien.
Grundsätzlich bin ich auch für einige Reformschritte. Das Parlament braucht gegenüber der Kommission mehr Befugnisse und bei bestimmten Entscheidungen sollten opt-outs leichter gemacht werden. Angesichts der globalen Probleme (die jüngsten Beispiele, die das deutlich machen, waren die Pariser Anschläge, der Zwist in der Ukraine und jetzt die Flüchtlingskrise), die uns derzeit bevorstehen, führt aber an einer politischen Union dennoch mittelfristig kein Weg vorbei. In Großbritannien wird ja auch aus wirtschaftlichen Gründen vor dem „Brexit“ gewarnt: die Briten sind ja in den Siebzigern nicht gerade in die EG gezwungen wurden, sondern hatten dabei auch handfeste wirtschaftliche Interessen.
Februar 21, 2016 um 00:05 |
Ich glaube nicht, dass der Frieden in Westeuropa etwas mit der EU zu tun hatte. Das ist eher eine Verwechslung von Korrelation und Kausalität. „Zivilisierte“ Länder traten der Eu bei, nicht die EU hat diese Länder zivilisiert.
Und warum sollte aufgrund der globalen Probleme an einer politischen Union kein Weg vorbei führen? Es geht doch darum, ob man gute oder schlechte Entscheidungen trifft, nicht, ob sie in den nationalen Parlamenten oder Brüssel getroffen werden. Und Dinge, die wirklich mehrere Länder betreffen (die Flüchtlingskrise zähle ich nicht dazu, warum sollten Frankreich oder Polen etwas mit den Flüchtlingen zu tun haben, die nach Deutschland wollen?), können auch durch internationale Vereinbarungen oder Verträge gelöst werden, dazu braucht es keine politische Union.
Februar 21, 2016 um 07:37 |
arprin, sind wir in der Kirche und geht es um Glauben ?
Fakt ist, die EU wurde als EWG 1957 als politische Union gegründet. Und die reine Freihandelszone EFTA der Briten scheiterte kläglich.
Niemand hat etwas gegen einen Austritt der Briten. Am 23.6. werden sie entscheiden ! Und Dumme soll man nicht aufhalten. 😉
Juni 23, 2016 um 17:06 |
Sehe ich anders als apirin, der in Sachen Russland eher, wie ich meine, richtig liegt. Die EU hat sehr wohl dazu beigetragen, ist sogar DER ausschlaggebende Grund für den seither anhaltenden Frieden. Doch, die EU hat die Länder zivilisiert, wobei ich glaube, Sie drängen die Argumentation hier (absichtlich?) auf eine falsche Spur. Wer heute der EU beitreten will, muss ein bestimmtes Maß an „Zivilisiertheit“ erreichen. Wobei ich allerdings der Meinung bin, man sollte tatsächlich nicht jedes Land aufnehmen. Ob Rumäniien und Bulgarien wirklich reinmußte, sei dahingestellt. Auch bei den Balkanstaaten habe ich große Zweifel. Aber seis drum: Dass wir heute in Frieden leben, haben wir natürlich und ohne Wenn und Aber der EU und der europäischen Integration zu verdanken. Das lässt sich nicht bestreiten, auch dann nicht, wenn man gegen die Vereinigten Staaten von Europa ist. Das muss ja vielleicht echt nicht sein…
Juni 24, 2016 um 19:10
Inwiefern hat die EU das erreicht? Es gab wohl andere Gründe:
http://ef-magazin.de/2012/07/24/3616-deutschland-und-der-friede-in-europa-warum-nicht-verschweizern
„Für den Frieden in Europa nach 1945 gibt es verschiedene Gründe. Da ist einmal die Präsenz der USA und ihrer Streitkräfte in Europa, die die Sowjets daran hinderte, die Macht über den Kontinent an sich zu reißen. Damit eng verbunden ist die Existenz von Atomwaffen. Atomwaffen machen konventionelle Kriege weitgehend hinfällig.
…
Es gibt aber neben den militärischen Gründen auch gewichtige sozioökonomische und soziokulturelle Veränderungen, die den Kampf um Land und Territorien zu einem Anachronismus machen. … In den Kriegen des 18. Jahrhunderts ging es um die Eroberung von Provinzen, da Land mehr Boden und Bevölkerung und damit höhere Steuern versprach. Zwei Faktoren haben diesen Konflikttyp in Europa verblassen lassen. Die Demokratisierung und damit eng verbunden die Nationalisierung der Bevölkerung und der technologische Fortschritt in Landwirtschaft und Industrie.
…
Nach der Besetzung eines Gebiets war die Bevölkerung nicht mehr einfach in den Staat zu integrieren, sondern die Konflikte schwelten als Nationalitätenkonflikte weiter. Solange die Kriege im 19. Jahrhundert auf nationale Einigung abzielten, hielt sich die Gewalt im Rahmen. Im 20. Jahrhundert mündete das aber in die ethnischen Säuberungen des Zweiten Weltkriegs. Der militärische, ökonomische und moralische Preis für die dauerhafte Besetzung von Land war extrem hoch geworden und zwar sowohl der Preis des Sieges als auch der Preis der Niederlage. … Noch wichtiger war aber die Revolution an der ökonomischen Basis. Die westlichen Länder wandelten sich von Agrargesellschaften zu Dienstleistungs- und Innovationsgesellschaften. Das heißt, Wohlstand und auch Macht lässt sich nicht länger durch die Eroberung von Territorium erreichen.“