
Machen wir ein Estland, machen wir zwei Estland, …
Wie oft hört man den Spruch „Wenn’s dir hier nicht gefällt, dann geh‘ doch rüber!“ Aber dabei besteht immer das Problem, dass es entweder kein Land gibt, in dem es wirklich besser läuft, oder dass man zu sehr an seinem Umfeld hängt, um den Mut zu haben, wegzukommen, bevor man mitkommen muss. Trotzdem kann man sich fragen: Wohin, wenn man gehen will? Welches Land ist perfekt? In linken Kreisen gilt Skandinavien als das perfekte Land. Dort gibt es alles für alle kostenlos: Bildung, Gesundheitsversorgung, Mütter-Auszeit, Asyl, alles. Es ist so kostenlos, dass man nur 50-60% seines Einkommens an den Staat abgeben muss. So gesehen, ziemlich perfekt. Außer wenn man jemand ist, der sein Egoismus über soziale Gerechtigkeit stellt, sowie ich.
Was kommt für mich in Frage? Viele liberale Genossen preisen vor allem kleine Länder an, indem es wenig Regulierung gibt. Allerdings sollte das Gesamtpaket stimmen, und das ist nicht bei allen wenig regulierten Kleinstaaten der Fall. Monaco? Zu klein. Dubai? Zu islamisch. Hongkong? Zu eng. Singapur? Zu autoritär. Man wünscht sich ein Land, indem nicht nur die Wirtschaft frei ist, sondern man auch genug Platz hat und frei von religiösen Sittenwächtern ist. Leider sind solche Orte rar gesät. Aber es gibt noch immer Ausreiseziele, die sich lohnen. Eines davon liegt tatsächlich nördlich von Deutschland. Es ist nicht Skandinavien, aber in der Nähe: Estland.
Hier sind fünf Gründe, die für mich als liberalen, atheistischen, internet-affinen Waffenliebhaber und Kosmopolit für eine Auswanderung nach Estland sprechen:
1. Keine soziale Gerechtigkeit
Estland ging nach seiner Unabhängigkeit einen radikalen Weg: Es gab der freien Marktwirtschaft eine Chance. Die estnische Regierung führte 1994 eine Flat-Tax ein, d.h., alle Steuerpflichtigen zahlen denselben Steuersatz. Der aktuelle Satz liegt bei 20%. Unter dem 36 Jahre jungen liberalen Premierminister Taavi Rõivas wurde die Dauer, die man für eine Steuererklärung braucht, von skandalösen fünf Minuten auf drei Minuten gesenkt (immer noch zu viel, aber besser als vorher). Der Beruf des Steuerberaters ist unbekannt. Außerdem ist das Land sehr freundlich für Start-Ups: Ein Unternehmen kann man in 15 Minuten gründen, die 20% Unternehmenssteuer wird nur bei ausgeschütteten Gewinnen fällig (es gibt keine Doppelbesteuerung), und es gibt wenig Regulierungen. Nicht überraschend: Estland ist das Land mit dem niedrigsten Schuldenstand in Europa, der höchsten Start-Up-Rate und das erste, das Uber komplett legalisiert hat.
2. Kein Gott
Das christliche Abendland ist in Estland tot. Die Kirchen sind leer, die Bibel ist für die Esten eine altmesopotamische Märchensammlung und Weihnachten ein Fest, in dem man sich Geschenke macht, viel isst, schulfrei hat und coole Filme guckt – einfach so. 70% der Esten gehören keiner Konfession an, nur 18% geben an, an Gott zu glauben, und für nur 14% spielt Religion eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Einfach wunderbar. Das Beste ist: Gleichzeitig sind die Esten keine Sozialdemokraten. Sie beweisen, dass man auch als Atheist nicht den Aposteln der sozialen Gerechtigkeit huldigen muss. Wenn ich mir dagegen die Kirchen in Deutschland anschaue, sehe ich, dass Christentum und Sozialdemokratie sehr gut zusammenpassen … (more…)