Archive for Oktober 2016

Die stille Hoffnung auf die Mistgabeln

Oktober 30, 2016
Die "Pyramide des kapitalistischen Systems"

Die Sehnsucht nach der Mistgabel ist nicht neu

Markus Lanz war in Amerika. Er hat dort, wie Jürgen Todenhöfer bei seinen Nahost-Reisen, mit eigenen Augen gesehen, was der Westen so alles anrichtet. Ungleichheit, Rassismus, Drogen, Trump. Ganz furchtbar: Eine Frau aus der ehemals superreichen Vanderbilt-Dynastie kann sich Schuhe für 900 Dollar leisten, während Schwarze in Baltimore 800 Dollar für Miete zahlen müssen. Der Untergang steht kurz bevor. Die Reichen wissen das, so Lanz. Sie bereiten ihren Abgang vor, um den Mistgabeln zu entgehen, wenn die Armen sich endlich erheben. Die Jets sind schon vollgetankt, um die Reichen nach Kanada oder Südamerika zu evakuieren, versichert uns Lanz.

So ganz geht die Rechnung aber nicht auf. Wenn Amerika heute kurz vor dem Bürgerkrieg steht, hätte es in den 1980ern kurz vor dem Völkermord stehen müssen. Damals war die Kriminalitätsrate fast doppelt so hoch wie heute. Seit 1992 ist die Mordrate in den USA um mehr als 40% gesunken, ebenso die Rate an anderen Gewaltverbrechen (schwere Körperverletzung, Raub). 1992 gab es Unruhen in Los Angeles, die in 6 Tagen 53 Tote forderten. Das waren Unruhen, Ferguson und Baltimore waren ein laues Lüftchen dagegen. Noch schlimmer: Auch nach dem Ausbruch der Finanzkrise ab 2008 ist die Kriminalitätsrate nicht massiv gestiegen, sondern weiter gesunken. Es gab nicht mal Lynchmorde an Reiche. Die Tatsache, dass sie Jets haben und sich nach Häusern in Kanada und Südamerika umsehen, hängt wohl eher damit zusammen, dass Reiche nun mal Jets haben und gerne ins Ausland gehen.

Trotzdem warnen uns Transproletarier wie Markus Lanz und Jakob Augstein in Deutschland oder Michael Moore und Paul Krugman in den USA, die den Schmerz der Arbeiterklasse so mitempfinden als wenn sie selbst 40 Stunden in der Woche am Fließband stehen würden, dass der Untergang kurz bevorsteht. Warum? Es ist ganz klar: Der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Sie haben sich nicht mit den Fakten beschäftigt und sind so zu dem Schluss gekommen, dass die USA vor dem Bürgerkrieg stehen, sie sehnen sich selbst die Mistgabeln herbei. Ihr Hass auf „die Reichen“ (zu denen sie sich natürlich nicht selber zählen) ist so groß, dass sie sich endlich ein schönes Blutbad der Armen an den Reichen wünschen.

Das ist nicht übertrieben dargestellt. Michael Moore hat z.B. in seinem Buch „Downsize this!“ für seine Leser einen Fahrplan für neue Unruhen in Los Angeles entworfen. Dafür hat er eine Stadtplan-Skizze mit den Viertel der Reichen gezeichnet und erklärt, wie man Brände legt. Nicht alle sind so ehrlich wie Moore. Meistens formulieren sie ihre Wünsche als eine angebliche Befürchtung. Statt „Gibt endlich euer Einkommen an die Armen ab!“ sagen sie „Habt ihr keine Angst, dass, wenn ihr euer Einkommen nicht an die Armen abgibt, die Armen euch umbringen werden?“ (was im Übrigen so ist, als würde man Frauen fragen, ob sie nicht Angst haben, vergewaltigt zu werden, wenn sie sich nicht häufiger Männern anbieten). Aber die Wahrheit ist: Ihr Wunsch wird nicht eintreten. Selbst wenn die Reichen nicht ihr Einkommen an die Armen abgeben, werden sie nicht von ihnen umgebracht werden. (more…)

Wo die Feministen Recht haben

Oktober 23, 2016
Ja, sie können es

Feministen sind leider noch nicht ganz überflüssig

Wenn es um die Gleichberechtigung von Frauen geht, hat die westliche Welt das Prädikat „Ziel erreicht“ verdient. Nirgendwo gibt es noch eine systematische Diskriminierung von Frauen. Die angeblichen Überbleibsel des Patriarchats sind lächerliche Nullthemen wie der Mythos vom Gender Pay Gap, die Forderung nach Frauenquoten, das Gendern der Sprache oder der Kampf gegen jede ästhetische Darstellung von Frauen. Allerdings gibt es durchaus noch echte Bereiche, in denen in den westlichen Gesellschaften sexistische Einstellungen vorherrschen, auch wenn sie nicht vom Staat kommen. Wenn man sieht, was als „Frauendiskriminierung“ durchgeht, sind diese jedoch für manche offenbar schwer zu erkennen.

Einen solchen Test erlebten wir in den letzten Wochen. In Deutschland machte vor einem Monat die Geschichte von Jenna Behrends die Runde. Sie sprach von Sexismus in der CDU, weil sie nach einem Jahr in der Partei noch kein Bezirksamt bekommen hatte – und das, obwohl sie zuvor von einer Frauenquote profitiert hatte. Die Tatsache, dass sie überhaupt erst nominiert wurde, kommentierte ein Parteikollege mit der Frage: „Fickst du die?“ Später wurde ein Tonband von Donald Trump veröffentlicht, in der er damit angab, Frauen ohne ihre Zustimmung zu küssen und in die Muschis anzufassen. Beides wurde zum Skandal stilisiert. Aber war beides ein Skandal?

Um das zu wissen, sollte man sich zuerst eine Sache klarmachen, auch wenn sie den Feministen nicht gefällt: Männer und Frauen unterschieden sich voneinander, und zwar bisweilen sehr. Gérard Bökenkamp hat in seinem Buch „Ökonomie der Sexualität“ das Sexualverhalten von Männern und Frauen analysiert. Männer empfinden wesentlich häufiger Lust als Frauen. Deswegen gibt es viel mehr weibliche Prostituierte als männliche, mehr Pornos für Männer als für Frauen, und deswegen haben Frauen in der Geschichte immer wieder Sex als „Belohnung“ eingesetzt. Das alles ist kein Problem, solange alles freiwillig bleibt. Männer und Frauen sind eben anders, so ist das Leben.

Wenn man sich das vergegenwärtigt, weiß man: Wenn eine Frau nach nur einem Jahr Parteimitgliedschaft von einem Mann für hohe Ämter nominiert wird, ist es nicht unangemessen, den Verdacht zu haben, dass der Nominierende Verkehr mit ihr hat. Das wirkliche Problem im Fall Behrends war eher die Frauenquote. Ohne sie wäre Behrends gar nicht erst nach so kurzer Zeit (nur das war der Grund für den Verdacht) nominiert worden und es hätte die für sie verletzende Frage des Parteikollegen nicht gegeben. Der Fall Trump ist aber anders zu bewerten. Hier liegt in der Tat ein Problem mit Sexismus vor. (more…)

Meine Meinung zu Lars Koch und Renegade

Oktober 18, 2016

Na, da hat es der öffentlich-rechtliche Rundfunk mal geschafft, einen unterhaltsamen Film auszustrahlen.

Im Fernsehfilm „Terror – Ihr Urteil“ geht es um den Fall eines entführten Flugzeugs, der von Terroristen entführt wird und dann auf ein Stadion mit 70.000 Zuschauern rast (diesen Fall nennt man in der Fachsprache „Renegade“). Der Kampfpilot Lars Koch schießt das Flugzeug ab – 164 Menschen sterben, und er wird angeklagt. Was ist die richtige Entscheidung? Zunächst einmal müssen die Bedingungen klar sein:

– Alle anderen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Es ist nicht mehr möglich, das Flugzeug abzuhalten, indem man Warnschüsse abgibt, es versucht, wegzudrängen und die Passagiere sind nicht mehr in der Lage, die Terroristen zu überwinden. Das Flugzeug rast direkt auf die Allianz Arena zu, in der gerade Deutschland gegen England vor 70.000 Zuschauern mit 3:0 führt. Ob dieser Fall so eintritt, ist nicht immer leicht festzustellen. Aber nehmen wir für den Fall an, das er zweifellos feststeht: Entweder werden alle 164 Menschen sterben, oder alle 164 Menschen und zusätzlich noch die möglichen Opfer, die der Angriff auf die Allianz Arena fordert. Lars Koch entschließt sich in dieser Situation, alle 164 Passagiere zu töten.

Ist das die richtige Entscheidung? Meine Meinung ist: Ja. Die Gegenargumente, die gebracht werden, lauten in etwa so:

– Man kann kein Leben gegen ein anderes ausspielen.
– Man würde auch nicht einen Menschen töten, um mit seinen Organen schwer kranke Menschen zu retten.
– Man würde sicher nicht seine eigene Frau und Kinder töten, wenn sie im Flugzeug gesessen hätten.

Keines davon überzeugt mich.

Erstens gilt das „Jedes Leben ist wertvoll“-Argument nur für unschuldige Menschen (nur als Klarstellung, die 164 Passagiere waren unschuldig). Zweitens wird nicht ein Leben gegen ein anderes ausgespielt, sondern der sichere Tod von 164 gegen den sicheren Tod von 164+. Nochmals: Im besagten Fall gab es keine anderen Alternativen. Wäre es anders, kann man Lars Koch sicher moralisch und gerade auch rechtlich verurteilen. Auf die Frage, ob, ich, wenn ich in Lars Kochs Haut gesteckt hätte, auch meine Frau und Kinder getötet hätte, sage ich: Erstens Ja, und zweitens spielt diese Frage keine Rolle. Denn man sollte eben nicht das Leben von Menschen gegen das von anderen ausspielen – die 70.000 Menschen im Stadion sind nicht weniger wert als meine hypothetische Familie. (more…)

Stranger than fiction

Oktober 13, 2016
Das

Dummheit als Beweis für eine Verschwörung?

In den Nachrichten gibt es immer wieder Geschichten, die absurd klingen. Dieses Jahr fing mit einer unglaublichen Geschichte an: Der mexikanische Drogenboss „El Chapo“ Guzman soll u.a. deshalb verhaftet worden sein, weil er Sean Penn ein Interview gegeben hat und ein Film mit ihm plante. Da kann man sich nur denken: Walter White wäre das nicht passiert. Im Juli gab es dann den erbärmlich geplanten Putsch in der Türkei, der wieder viele Menschen fraglos zurückließ: Haben sich die Verschwörer nicht über das Vorgehen von lateinamerikanischen Generälen informiert? In Zeiten der Globalisierung sollte man sich doch die eine oder andere Methode abgeguckt haben.

Auch die Geschichte mit dem Terroristen Jaber Albakr stinkt für viele zum Himmel. Ein Syrer wird nicht von der Polizei gefangen, obwohl diese 50 Türen zerkloppt, sondern von anderen Syrern – die ihn dann bei der Polizei melden, die ihn einfach abholen? Sofort schlägt jedes Truther-Herz höher: Das stinkt zum Himmel. Jetzt, da Albakr trotz „ständiger Beobachtung“ Selbstmord begangen hat, nachdem er zuvor behauptete, dass die Syrer, die ihn geschnappt haben, Komplizen waren, ist für die Truther die Sache klar: Die ganze Geschichte ist inszeniert. Aber die sich nun anbahnenden Verschwörungstheorien kann man gleich wieder einpacken. Es ist absurd, eine Tat für „unter falscher Flagge“ zu halten, nur weil die Geschichte sich dumm anhört.

Es ist selbstwidersprüchlich, immer an eine Verschwörung zu glauben, wenn etwas auf dumme Weise durchgezogen wird, denn dann stellt sich nämlich gleich die Frage: Würden die Leute, die eine Tat inszenieren, sie so dumm inszenieren? Dann kommen wir in einen endlosen, nicht auflösbaren Kreislauf. Letztlich muss sich irgendjemand dumm angestellt haben, ob nun die, die gemäß der offiziellen Version die Täter waren, oder die Verschwörer, die die wahren Hintergründe auf dumme Weise vertuschen. Dummheit spricht also für Dummheit, nicht automatisch für eine Verschwörungstheorie. Ein anderer Grund ist, dass die Truther einen logischen Fehlschluss machen, der typisch für sie ist: Sie halten alle Menschen für rational denkende Menschen. (more…)

Das richtige Leben im Falschen

Oktober 6, 2016
Die dritte Alternative

Kennt man ihn in Aleppo?

Wir nähern uns in die heiße Phase der amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Über Gary Johnson muss ich nicht mehr viel sagen. Seine Umfragewerte begannen nach einem kurzen Hoch wieder zu sinken, so dass er keine Chance auf eine Teilnahme in den TV-Debatten bekam, dann hat er es mit seinen Aussetzern zu Aleppo und der Frage, welchen ausländischen Staatsoberhaupt er bewundert, die er nicht beantworten konnte (dabei wäre es so einfach gewesen: Hans-Adam II., Fürst von Liechtenstein), endgültig versaut. Dabei hätte er wissen müssen, dass er sich keinen Aussetzer leisten kann, wenn er gegen skandalfreie Kandidaten wie Hillary Clinton und Donald Trump antritt.

Letzterer Satz ist nicht mal ironisch gemeint, denn Clinton und Trump sind völlig skandalimmun. Johnson weiß nicht, was Aleppo ist, aber Clinton weiß, was Bengasi ist, doch es hat ihr nicht geschadet. Trump könnte man mit einem Strichjungen in einer Toilette finden, wie er Waffenlieferungen an den IS bespricht, und er würde das einfach weglächeln. Damit kommen wir zur wichtigen Frage: Wer von beiden ist schlimmer? Ich vertrat lange die These, dass Clinton weniger schlimm wäre, doch mittlerweile habe ich meine Meinung geändert. Nicht dahingehend, dass Trump weniger schlimm wäre, sondern dass keiner von beiden weniger schlimm wäre. Es gibt für mich kein kleineres Übel bei Clintrump.

Der Grund für meinen Meinungswechsel ist einerseits, dass Trump von seinen irrsten Punkten deutlich abgewichen ist. Er will nicht mehr alle 11 Millionen Illegale abschieben und eine Mauer um Mexiko bauen, beim Thema Einwanderung vertritt er mittlerweile ähnliche Positionen wie Clinton. Andererseits hat Clinton ihr Wirtschaftsprogramm angekündigt. Wenn nur ein bisschen davon umgesetzt wird, wäre es katastrophal. Sie will das „größte Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg“ starten, was nur durch massive staatliche Investitionen möglich ist. Trump hat in seinem Wirtschaftsprogramm immerhin einen guten Punkt – er will die Unternehmenssteuern senken – ansonsten ist er aber ähnlich wie Clinton und hat kein Problem mit hohen Steuern und Mindestlohn-Erhöhungen. Bezüglich der Handelspolitik punktet Clinton, da Trump außer bei seinen Ehefrauen überall für Protektionismus eintritt. (more…)