Archive for November 2016

Ein würdiger Nachruf

November 27, 2016
Das waren noch Zeiten: Che Guevara und Fidel Castro beim Revolutionieren

Jetzt sind sie beide tot

Jean-Claude Juncker zum Tod von Fidel Castro:

„Mit dem Tod von Fidel Castro verliert die Welt einen Staatsführer, der, wie viele andere, bei dem Versuch, seinem Volk mittels staatlicher Planwirtschaft zum Wohlstand zu führen, gescheitert ist. Kuba wird heute oft als gutes Beispiel für ein Land mit einem funktionierenden Sozialsystem genannt, weil es staatlich finanzierte, also „kostenlose“ Schulbildung und Gesundheitsversorgung für die ganze Bevölkerung hat. Diese Sicht auf Kuba unterschlägt aber die katastrophale Versorgung der Bevölkerung mit ihren Grundbedürfnissen, und dass diese Mängel längst auch das Schul- und Gesundheitssystem erfasst haben.

Schätzungen gehen davon aus, dass die Kubaner ein Durchschnittseinkommen von umgerechnet 20 Euro im Monat haben. Es gibt keine Supermärkte im Land. Lebensmittel werden seit 1962 rationiert, obwohl die Rationierung ursprünglich als vorübergehende Notmaßnahme gedacht war. Die Nahrungsmittelproduktion ist in den letzten Jahrzehnten immer weiter zurückgegangen, Kuba muss heute 85% seiner Lebensmittel importieren, darunter auch Zucker, das einstige Exportgut Nummer eins. Ein großer Teil der Versorgung der Bevölkerung stammt aus dem Schwarzmarkt, ohne ihn wären wohl schon Hunderttausende Kubaner verhungert. Die Mehrheit der Kubaner kennt keine für uns selbstverständlichen Konsumgüter wie Waschmaschinen oder Kühlschränke, sogar Toilettenpapier und Handreiniger sind knapp, und auch Touristenhotels haben manchmal keine Toilettensitze. Luxusgüter wie Fernsehen, Computer und Smartphones sind für die meisten unbekannt (und wer ein Fernsehen hat, hat höchstens fünf Sender). Die Häuser sind hoffnungslos veraltet, die Infrastruktur spottet jeder Beschreibung, die Strom- und Wasserversorgung ist ebenso desaströs. Castros Kuba ist ein Dritte-Welt-Land. Vielen Touristen freut es, die alten Autos an den Straßen Havannas zu sehen, weil es für sie ein nostalgisches Flair hat. Aber können sie sich vorstellen, dass das für die Kubaner kein Museum, sondern die tägliche Realität ist? Würden sie ihr Auto gegen einen Oldtimer aus Kuba eintauschen?

Die großen „Leistungen“ der kubanischen Revolution, das Bildungs- und Gesundheitssystem, sind ebenso von den Mängeln betroffen. Kuba war, wie Statistiken aus dem UN-Jahrbuch zeigen, schon vor Castro in diesen Bereichen gut entwickelt: 1957 hatte es mehr Ärzte pro Einwohner als die USA und Großbritannien, die Kindersterblichkeit war niedriger als in Frankreich und Deutschland und die Alphabetisierungsrate war die vierthöchste in Lateinamerika. Unter Castro hat Kuba seine Spitzenpositionen behalten. Aber die Krankenhäuser verfallen, wie jeder Kubaner vor Ort bezeugen kann: Es fehlt an grundlegender Versorgung, auch an Medikamenten, und viele Ärzte versuchen, aus dem Land zu fliehen, weil sie durch ihr geringes Einkommen (rund 20 Euro im Monat – wie jeder andere Kubaner) ebenso von der massiven Armut im Land betroffen sind. Die Schulbildung nützt kaum jemandem was, weil es im Land kaum Möglichkeiten gibt, um damit später an Wohlstand zu kommen. In Nordkorea werden auch 99% der Kinder alphabetisiert – aber es nützt ihnen später nichts, denn sie leben in Nordkorea. (more…)

Das alte Deutschland wiederhaben

November 20, 2016
(Bild: Akif Pirincci bei Twitter)

(Bild: Akif Pirincci bei Twitter)

Markus steht fassungslos vor dem Fernsehen. Einen solchen Kanzlerwahlkampf hatte er nicht erwartet. Vielleicht war es falsch, dass Merkel ein viertes Mal antrat? Aber jetzt ist es zu spät, und die Realität ist da: Angela Merkel tritt im Kanzlerduell gegen Akif Pirincci an, den „deutschen Donald Trump“, wie die Medien ihn nennen. Und Pirinccis Chancen stehen gefährlich gut da: Die letzten Umfragen zeigten ihn bei 48%, während seine Partei, die AfD, bei 25% liegt und längst die SPD überholt hat. Draußen vor Markus‘ Haus schreien einige Pirincci-Fans seinen Wahlkampfslogan „Das alte Deutschland wiederhaben“ und dazu noch ein an Merkel gerichtetes „Sperrt Sie ein! Sperrt Sie ein!“ Bevor das Duell losgeht, erinnert sich Markus an einige Schlagzeilen aus den letzten Monaten.

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Der AfD-Kanzlerkandidat Akif Pirincci sorgte in einem Wahlkampfauftritt in Essen für einen Eklat. Er setzte in einer Rede Flüchtlinge mit Hunde gleich: „Sie kacken in der Öffentlichkeit, berappeln die Frauen ihrer Herrchen und lassen sich dann von ihnen für den Rest ihres Lebens versorgen, ohne dafür zu arbeiten.“ Führende Vertreter der SPD und Grünen forderten eine Anklage gegen Volksverhetzung. Auch AfD-Mitglieder forderten „Mäßigung“ von Pirincci, auch wenn man die Wut über Merkels Flüchtlingspolitik verstehen könne. Auf Facebook ruderte Pirincci bereits zurück und sagte: „Es war kein guter Vergleich, denn Wachhunde arbeiten ja.“

Bei seinem Auftritt in Essen bekräftigte Pirincci außerdem zum wiederholten Male seine Forderung, alle 500.000 abgelehnten Asylbewerber in einem Monat abzuschieben, den Islamischen Staat zum sicheren Herkunftsland zu erklären und den Familiennachzug komplett zu stoppen. Auf eine Publikumsfrage, ob das überhaupt möglich ist, antwortete er: „Gerade die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass es möglich ist, eine sehr große Zahl von Menschen ohne großen Widerstand aus dem Land zu schaffen.“ Und wenn man mit Erdogan einen Deal machen könne, könne man auch mit al-Baghdadi einen Deal machen, so Pirincci, „wer was anderes sagt, lügt.“

(Zeit, 17.02.2017)

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Auf die in einem offenen Brief geäußerte Ankündigung mehrerer Hundert Intellektueller, bei einem Wahlsieg Pirinccis das Land zu verlassen, reagierte Pirincci in einer Stellungnahme hocherfreut: Wenn das Arbeitsamt ihnen die Ausreise zahlt, würde der deutsche Staat am Ende dennoch Milliarden sparen. Außerdem bräuchte jedes Land irgendwann eine „Selbstbereinigung“, als Beispiel nannte Pirincci die Entnazifizierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. „Man sollte all die linksgrün versifften Genderprofessoren mit einer Sackkarre entsorgen“, so Pirincci weiter, und zwar so schnell wie möglich, „sonst müssen wir irgendwann Breivik holen, damit er den Job erledigt.“

(FAZ, 23.03.2017)

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Pirincci hat kurzfristig einen Auftritt bei einer Universität in Stuttgart abgesagt, weil dort auch Mitglieder der Grünen eingeladen wurden. Er könne es nicht verantworten, Kinder in Gefahr zu bringen. Zu seinen Anhängern, die sich ersatzweise in einem Theatersaal versammelten, rief er: „Wenn es nach mir ginge, würden alle Pädo-Grünen im Gefängnis sitzen.“ In dem Auftritt sollte es u.a. um die Lehrpläne für Sexualkunde in Baden-Württemberg gehen, die Pirincci im Vorfeld mit Hitlers Nerobefehl verglichen hatte: Ein „Plan zum nationalen Selbstmord“. Ähnliche Parolen rief er auch bei der Ersatzveranstaltung in Stuttgart, so meinte er: „Wo Homosexualität zur Pflicht wird, wird Heterosexualität zum Widerstand!“

(Süddeutsche, 15.05.2017) (more…)

Die Kandidaten des IS?

November 14, 2016
Ist Geert Wilders ein Rassist?

Ist Wilders ein IS-Rekrutierer?

Letzten Monat erschien in „Bento“ ein Quiz von Fabian Köhler, der zeigen sollte, wie sehr sich Islamisten und Rechtspopulisten oder Islamkritiker (gemeint waren u.a. Le Pen, Wilders, Henryk M. Broder und Ayaan Hirsi Ali) in ihrer Sicht auf den Islam gleichen. Beide glauben, dass der wahre Islam eine gewalttätige Ideologie ist, die zum Kampf gegen Ungläubige aufruft. Die Botschaft war klar: Beide Gruppen sind zwei Seiten derselben Medaille und wollen dasselbe: Alle Muslime sollen zu Islamisten erklärt werden. Nach Donald Trumps Wahlsieg wird nun dasselbe über ihn gesagt. „Der IS-Chef hätte Trump gewählt“, schreibt Die Presse, denn Trumps anti-muslimische Rhetorik führe dazu, dass Muslime nun pauschal zu Islamisten erklärt würden – genau das, was der IS will.

In gewisser Weise stimmt das. Rechtspopulisten und Islamisten haben eine ähnliche Sicht auf den Islam: Der Islam ist eine gewalttätige Ideologie, und jeder „echte“ Muslim muss ein Islamist sein. Das ist eine Sicht, die ich nicht teile, denn ich unterscheide zwischen dem Inhalt der heiligen Schriften, der nahezu grenzenlosen Interpretation und der Identität der Menschen, in der Religion oft nur als gemeinschaftsstiftendes Merkmal dient. Ist die Tatsache, dass sich Rechtspopulisten und Islamisten in diesem Punkt einig sind, ein Zeichen für ideologische Nähe, sowie es Köhler und viele andere sagen, die die AfD als „Werbung für den IS“ bezeichnen?

Wer sowas behauptet, hat einen ganz entscheidenden Punkt missverstanden: Es gibt einen Unterschied, ob man eine Sache beschreibt und ob man ihr zustimmt. Wenn ein Kapitalist und ein Kommunist den Kommunismus beschreiben, dürften sie sich auch einig sein: Der Kommunismus ist eine Ideologie, die fordert, alle Produktionsmittel zu verstaatlichen. Hier hören die Gemeinsamkeiten aber schon auf. Niemand würde auf die Idee kommen zu sagen, Kapitalisten und Kommunisten seien zwei Seiten derselben Medaille, weil ihre Definition von Kommunismus gleich ist, denn das Wichtige ist die Frage, ob sie Kommunismus für wünschenswert halten – und hier unterscheiden sich ihre Ansichten extrem. (more…)

Der Mann, der Mr(s). Clump voraussah

November 6, 2016
Henry Louis Mencken

Henry Louis Mencken

Die Zivilisation wird mit der Zeit tatsächlich immer sentimentaler und hysterischer; besonders unter einer Demokratie tendiert sie, zu einem reinen Kampf der Verrücktheiten zu degenerieren. Der ganze Sinn von praktischer Politik ist es, die Bevölkerung alarmiert zu halten (und folglich nach Rettung schreiend), in denen man ihnen eine endlose Reihe an Schreckgespenstern androht, die meisten davon erfunden.

Dieses Zitat stammt von Henry Louis Mencken, einem herausragenden Autor und Journalisten aus den USA. Er beschreibt darin den derzeitigen Zustand der westlichen Demokratien. Linke, Rechte und die Mitte tragen immer sinnlosere Kulturkämpfe aus. Es geht um Chlorhühnchen und Unisex-Toiletten, ob man „Flüchtling“ oder „Geflüchteter“ sagen soll oder ob es in Ordnung ist, bei der Nationalhymne nicht aufzustehen. Hinter jeder Ecke lauert eine Katastrophe, so dass man gar nicht wer weiß, welche man ernst nehmen soll: Die Klimakatastrophe, die Schere zwischen Arm und Reich oder den Untergang des Abendlands. So oder so geht die Welt unter: Für Clinton-Anhänger geht die Welt unter, wenn Trump gewinnt, für Trump-Anhänger geht die Welt unter, wenn Clinton gewinnt.

Das stimmt nicht ganz. Mencken ist zwar immer noch ein herausragender Autor und Journalist, aber er ist seit 1956 nicht mehr unter uns, und das obere Zitat stammt von 1918. Wenn es Mencken zu dieser Zeit – wohl gemerkt einem Weltkriegsjahr – schaffte, zu erkennen, dass die amerikanische Demokratie zu einem Großteil aus dem Schüren von unberechtigten Ängsten bestand, kann man sich vorstellen, welche Meinung er heute zu Clinton und Trump hätte, deren ganzer Wahlkampf daraus besteht, den Wählern zu sagen: Wählt mich, oder es ist vorbei. Die Tatsache, dass sie damit Erfolg haben, hätte Mencken wohl mit einer grundsätzlichen Kritik an der Demokratie beantwortet, in etwa so wie in diesem Zitat von 1920:

Wenn ein Kandidat für ein öffentliches Amt den Wählern gegenübersteht, steht er nicht Menschen mit Verstand gegenüber. Er steht Menschen gegenüber, deren Hauptmerkmal die Tatsache ist, dass sie völlig unfähig sind, Ideen abzuwägen, oder auch nur ein paar zu verstehen, außer den elementarsten. Menschen, deren ganzes Denken auf Emotionen ausgerichtet ist, und dessen dominante Emotion die Furcht vor dem ist, was sie nicht verstehen können. Auf diese Weise konfrontiert, muss der Kandidat entweder mit dem Rudel bellen oder verloren sein …

Die größten Chancen hat der, der von seinem Wesen her der hinterhältigste und unfähigste von allen ist – der, der am geschicktesten die Auffassung zerstreuen kann, dass sein Verstand eigentlich ein Vakuum ist. Die Präsidentschaft tendiert dazu, jedes Jahr an so einen Menschen zu gehen. Da die Demokratie vervollkommnet wird, repräsentiert das Amt immer genauer und genauer die innere Seele des Volkes. Wir nähern uns einem vornehmen Ideal an. Letztlich werden an einem großen, ehrenvollen Tag die einfachen Leute des Landes ihren Herzenswunsch erfüllt sehen, und das Weiße Haus wird von einem kompletten Vollidioten geschmückt werden.

Amen. Vielleicht hätte er aber gar nicht so viel Mühe verschwendet, sondern es kurz und knapp zusammengefasst, wie mit diesem Schmankerl von 1915:

Demokratie ist die Theorie, dass das gemeine Volk weiß, was es möchte, und verdient es zu bekommen, und zwar von vorne und hinten.

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