Archive for November 2017

Noch ein anti-imperialistischer Sozialist weniger

November 21, 2017

Endlich in Rente: Robert Mugabe

Während in Deutschland vielfach über die Rente mit 70 debattiert wird, ist heute in Simbabwe der seit 37 Jahren herrschende Diktator Robert Mugabe mit 93 Jahren offiziell in Rente gegangen. Dabei war die Entscheidung nicht mal freiwillig. Das Militär hat ihn weggeputscht, weil er versucht hat, seine Frau Grace als Nachfolgerin aufzubauen statt den nun an die Macht gelangten neuen Diktators und ehemaligen Vizepräsidenten Emmerson Mnangagwa. Wie üblich feiern die Menschen auf den Straßen nach dem Ende einer Diktatur, und wie üblich dürften diese Feiern etwas verfrüht sein, denn wir wissen nicht, ob die neue Diktatur langfristig besser sein wird als die alte. Das einzige, was wir heute wissen ist, dass man einen Job, den man als erfüllend empfindet, sehr wohl auch mit über 70 Jahren machen kann.

Doch heute lohnt sich auch ein Blick in die Vergangenheit. Mugabes Ruf im Westen ist schon lange zerstört, er gilt als jemand, der ohne Ideologie, aus reinem Machthunger, sein Land diktatorisch regiert und sich und sein Umfeld bereichert hat. Sogar eine Person wie Jean Ziegler kritisierte seine Herrschaft. Die Legende besagt aber, dass Mugabe erst ab 2000 verrückt wurde, als er seine Landreform begann, die das Land wirtschaftlich ruinierte, und seine Herrschaft immer unterdrückerischer wurde. Vorher wurde er jedoch gerade von den westlichen Linken anders bewertet – er galt als eine Art „Fidel Castro Afrikas“: Er hatte ein weißes Unterdrückungsregime beendet, anschließend ein erfolgreiches sozialistisches Land aufgebaut und sich keinem der beiden großen Blöcke angeschlossen. Simbabwe war sozusagen ein Bollwerk gegen Imperialismus und Kapitalismus.

In Wahrheit waren das ebenso Lügen wie bei Fidel Castro. Mugabe hatte mit seiner Guerilla tatsächlich ein weißes Minderheitsregime gestürzt, das den Schwarzen elementare Rechte verweigerte. Doch wie bei Castro begann Mugabe sofort, seine Herrschaft gewaltsam zu sichern. Von 1982 bis 1987 ließ er mithilfe von in Nordkorea ausgebildeten Brigaden systematisch Tausende politische Gegner massakrieren (Schätzungen gehen von bis zu 20.000 Toten aus), die überwiegend anderen Ethnien angehörten (Mugabe ist ein Shona, die Opfer waren meist Ndebele). Diese Ereignisse sind heute in Simbabwe als „Gukurahundi“ bekannt. Aber das schädigte Mugabes Ruf nicht. Er, der bewunderte Kämpfer gegen Unterdrückung und Rassismus, wurde 1994 von der Queen zum Ritter geschlagen. (more…)

Hoffen auf belgische Verhältnisse

November 19, 2017

Nicht Jamaika, Belgien ist die Lösung

Es ist der 19. November 2017, etwa 19 Uhr. Die Deadline, die bei den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition ausgerufen wurde, ist verstrichen. Leider glaube ich, dass es am Ende tatsächlich zu einer Regierungsbildung kommen wird und die ganzen apokalyptischen „Was wäre, wenn es scheitert“-Szenarien pure Angstmacherei sind. Für viele dürfte eine Jamaika-Koalition trotz aller Bedenken das kleinste Übel sein. Denn die Möglichkeiten für Koalitionen sind begrenzt:

– Mit der AfD koaliert keiner, und mit der Linkspartei hat die einzig mögliche Koalition (Rot-Rot-Grün) keine Mehrheit.
– Die Große Koalition ist nach den letzten vier Jahren extrem unbeliebt und die SPD könnte einen möglichen Schwenk nur schwer verkaufen.
– Neuwahlen würden nur wenig an den Koalitionsmöglichkeiten ändern. Jamaika wäre wieder die einzig realistische Option.
– An exotische Koalitionen wie eine Kenia-Koalition oder eine Ghana-Koalition denkt keiner.

Somit erscheint Jamaika politisch als die einzig mögliche Koalition für Deutschland. Mag sein, dass die Grünen sich mit ihren wahnsinnigen Forderungen nach einem Kohleausstieg und einer Verkehrswende ständig mit ihren Koalitionspartnern zanken werden. Mag sein, dass sich die FDP in der Koalition selbst zu politischer Beliebigkeit verurteilt und damit bei den nächsten Wahlen baden gehen wird. Mag sein, dass die CSU all ihre Forderungen bezüglich Obergrenze, Aussetzung des Familiennachzugs und Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern rhetorisch in ihr Gegenteil umdeuten muss. Mag sein, dass Merkel CDU-Chefin bleibt. Aber egal, das ist alles alternativlos, denn wir brauchen eine Regierung, sonst können wir nicht weiter leben.

Aber das stimmt nicht! Es gibt eine Alternative zu all dem. Und die ist eigentlich ganz simpel: Die Verhandlungen scheitern, werden aber nicht komplett abgebrochen, sondern verschoben. Die nächsten Verhandlungen scheitern ebenso, aber sie werden wieder nicht abgebrochen, sondern verschoben. Und immer so weiter. Für lange Zeit. Das Wichtige: Es darf zu keiner Einigung bei Koalitionsverhandlungen kommen, egal bei welcher Koalition und egal ob es zu Neuwahlen kommt oder nicht. Sowas ist nicht unmöglich, lediglich unerwünscht. In Belgien gab es 2010 und 2011 insgesamt 540 Tage lang keine Regierung (Weltrekord). In Spanien gab es 2016 zehn Monate lang keine Regierung. Diese Zeit wurde in beiden Ländern als „Regierungskrise“ bezeichnet. Das mag stimmen, aber das muss nichts Schlechtes sein. Im Gegenteil: Eine regierungslose Zeit bringt weit mehr Vorteile als Nachteile. (more…)

Zustimmung als entscheidender Faktor

November 15, 2017
Die Traumfabrik produziert auch mal Blödsinn

Ist Hollywood noch zu retten?

Das Thema sexuelle Belästigung steht nach den Enthüllungen der Skandale um Harvey Weinstein, Kevin Spacey und einer immer größer werdenden Zahl von Hollywood-Lichtgestalten mal wieder ganz vorne auf der Agenda. In den Talkshows wird debattiert, wie sexistisch unsere Gesellschaft ist, in den sozialen Medien werden Hashtags entfacht, Feministen fordern strenge Maßnahmen für den Kampf gegen das Patriarchat. Dabei wird leider vieles fälschlicherweise in einen Topf geworfen. Für viele Feministen gilt: Sexuelle Belästigung ist alles, was das Opfer als Belästigung empfindet. Konservative Kritiker kontern: Viele vermeintliche Fälle von sexueller Belästigung sind normale, „klassische“ Annäherungsversuche zwischen Mann und Frau, während viele als „normal“ empfundene Darstellungen von Sexualität abartig sind und aus Jugendschutzgründen verboten werden sollten.

Eins wird dadurch klar: Es gibt keine allgemeingültige Definition von sexueller Belästigung. Die Feministen – oder besser gesagt: die modernen, 100% linken Feministen – sehen alles unter der Brille ihrer „Unterdrücker-Unterdrückte“-Weltsicht. Jemand, der irgendwie als „Unterdrückter“ bzw. „Opfer“ gilt, hat immer Recht. Wenn er sagt, er empfand es als Belästigung, war es Belästigung. Punkt. Die Konservativen sehen dagegen alles unter der Brille von moralischen Werten und Tradition. Deswegen gilt zu viel Freizügigkeit als unanständig, da es zu falschem Verhalten führen kann, hat aber nichts gegen traditionelle, „altbewährte“ Annäherungstaktiken. Diese beiden Standpunkte bringen keine gemeinsame Definition von sexueller Belästigung hervor. Zwar dürfte man sich in den extremsten Punkten einig sein, doch darunter herrscht viel Uneinigkeit.

In meinen Augen haben sowohl Linke als auch Konservative in der Debatte teilweise Recht, teilweise liegen sie total falsch. Es ist völlig absurd, zu glauben, etwas sei automatisch sexuelle Belästigung, wenn jemand es so empfindet. In dem Fall gäbe es keine objektive Definition, und alles wäre eine Glücksfrage. Eine Frau würde ein Lob von einem ihr als attraktiv empfundenen Mann durchgehen lassen, bei einem ihr als unattraktiv empfundenen Mann aber als Belästigung ausgeben können. Es ist aber auch absurd, zu glauben, Musikvideos von Lady Gaga seien „genauso schlimm“ wie einer Frau in die Geschlechtsteile zu fassen, sowie es viele Konservative sagten, als Trump mit seinen (vermeintlichen) Muschi-Erfahrungen prahlte. Es gibt eine viel bessere Definition davon, was Belästigung ist: Die Frage, ob es die freiwillige Zustimmung der Beteiligten gab. Das ist die liberale Definition.

Diese Definition ist auf alle möglichen Fälle anwendbar. Vom Zuzwinkern und Loben bis zum Grapschen und Küssen. Auf den ersten Blick erscheint sie aber nicht immer hilfreich. Die zwischenmenschlichen Kontakte laufen nicht so ab, dass man immer vorher fragt, ob man etwas Gewagtes tun darf. Wahrscheinlich fragen die meisten nicht vorher nach, ob sie jemanden wegen ihres Aussehens loben dürfen, oder ob ein Kuss erlaubt ist. Aber die liberale Definition kann auch hier benutzt werden, wenn zwei Dinge miteinbezogen werden: Kontext und Kommunikation. In einer gewohnten sozialen Begegnung wissen die Beteiligten in der Regel, wie man sich zu verhalten hat. Falls das in einer Begegnung nicht der Fall ist, kann es im Falle eines Missverständnisses einmalig kommuniziert werden. (more…)

Das Ende des Mythos vom Friedensprojekt

November 10, 2017

Kein Frieden ohne der EU?

Der wichtigste Grund, mit der die EU von ihren Anhängern verteidigt wird, ist das Argument, dass die EU für Frieden in Europa sorgt. Dieses Argument wurde in den letzten Wochen in einem Land live getestet: Spanien. Eine Region des Landes wollte sich auf friedliche Weise abspalten, die Zentralregierung reagierte mit Gewalt, setzte die Regionalregierung ab, annullierte das Referendum, verklagte die verantwortlichen Politiker und ordnete Neuwahlen an. Wenn die Katalanen eine etwas andere Protestkultur hätten, wäre längst Krieg ausgebrochen. Die EU hat nichts getan, um eine Eskalation zu bewirken. Im Gegenteil, man hat den Spaniern eher das Signal gegeben: Wenn ihr notfalls mit Gewalt die Katalanen knechten müsst, dann ist das in Ordnung.

Bisher war der „Beweis“ für die These der EU als Friedensprojekt: Seit es die EU gibt, gibt es keinen Krieg zwischen den Mitgliedsländern der EU. Das überzeugt bis heute die meisten Menschen. Nur (NUR!) wegen der EU gibt es seit 70 Jahren Frieden in den EU-Ländern. Jeder etwas gebildete Mensch weiß aber, dass es einen Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität gibt. Mag sein, dass seit Bestehen der EU die EU-Länder keinen Krieg gegeneinander geführt haben, aber die EU muss nicht die Ursache dafür sein. Tatsächlich ist bei genauerer Betrachtung völlig klar, dass nicht die EU für Frieden gesorgt hat, sondern ein Mentalitätswandel in den europäischen Regierungen und Bevölkerungen nach 1945.

Diese These ist leicht zu belegen. Man muss sich nur die Frage stellen: Was hätte die EU tun können, wenn in einem Mitgliedsland das Volk eine Regierung an die Macht gewählt hätte, die Krieg gegen ein Nachbarland führen wollte? Die EU hat keine eigene Armee oder andere Form von bewaffneten Streitkräften. Eine Regierung, die bereit ist, Krieg zu führen, hätte die EU vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie hätte auf alle Verträge gepfiffen, eventuell einseitig den EU-Austritt beschlossen, und ihre Kriegspläne, wenn diese in ihrer Kosten-Nutzen-Rechnung positiv gewesen wären, umgesetzt. Aber so ein Szenario ist nie eingetreten. Warum? Weil es nach 1945 kein europäisches Volk gab, dass eine solche Regierung an die Macht gewählt hat, und keine Regierung, die solche Pläne hatte. Völlig unabhängig von der EU.

Der Zusammenhang zwischen EU und Frieden ist dennoch da, aber er ist umgekehrt. Nicht die EU brachte Frieden, der Frieden brachte die EU. Das ist kein unsinniges Henne-Ei-Beispiel, sondern ein klar überprüfbare Tatsache: Nachdem die europäischen Bevölkerungen und Regierungen sich nach 1945 so weitgehend zivilisiert hatten, dass sie Weltkriege ächteten, gründeten sie die EU (statt „europäische“ Bevölkerungen und Regierungen sollte man übrigens eher „westeuropäische“ sagen, da es in Osteuropa nach 1945 zwar auch lange Zeit Frieden gab, der Grund dafür aber die Unterwerfung durch die Sowjetunion war und kein Mentalitätswandel in Richtung Frieden). (more…)

Second Amendment als Schutz vor Tyrannei?

November 3, 2017

Endet ohne das Second Amendment die Demokratie in den USA?

Immer, wenn das Thema Waffenrecht in den USA aufkommt, haben die Deutschen eine klare Meinung: Die Amerikaner sind komplett verrückte Vollidioten, denen aufgrund ihres kranken Freiheitsverständnisses Amokläufe wichtiger sind als der Schutz der Bevölkerung. So ähnlich ist auch die Meinung der Deutschen über das Thema Krankenversicherung in den USA. In keinen anderen Themen dürften die Deutschen Ansichten haben, die verschiedener sind als die der Amerikaner. Ich persönlich bin, obwohl ich einige Argumente der Befürworter eines liberalen Waffenrechts nicht teile, für das Recht auf Waffenbesitz.

Jeder Nicht-Kriminelle sollte das Recht haben, eine Waffe zu besitzen. Das ist schon Grund genug, um dieses Recht zu unterstützen. Ein weiteres von den Waffenbefürwortern benutztes Argument lautet: Das Recht auf Waffenbesitz – in den USA also das Second Amendment – sei dazu da, um die Macht des Staates zu zähmen. Dieses Argument wird so oft wiederholt, dass es mehr oder weniger das Hauptargument der Waffenbefürworter ist. Ohne das Second Amendment droht eine Diktatur, wird mehr oder weniger offen verlautbart. Ich würde es zwar gut finden, wenn das Argument stimmt, aber leider ist es vollkommen falsch. Das Second Amendment schützt überhaupt nicht vor Tyrannei.

Die Wahrheit ist: Mit einem Gewaltmonopolisten ist jedes Recht eine Gnade vom Gewaltmonopolisten. Wenn der Staat seine Macht missbrauchen will, hindert ihn das Second Amendment auch nicht. Der Staat hat noch immer die stärkeren Waffen, Polizei und Armee, und damit potenziell grenzenlose Macht. Die amerikanische Geschichte zeigt das wunderbar. Ich rede nicht mal von den offensichtlichsten Beispielen (Indianer, Sklaven), die schon genug wären, um die Unwirksamkeit des „Tyranneischutzes“ des Second Amendments zu belegen, sondern z.B. auch von der Zeit der Segregation, der Einsperrung der japanischstämmigen Amerikaner unter Roosevelt oder heute dem Krieg gegen die Drogen. Das Second Amendment konnte all dieses Unrecht nicht verhindern.

Was hätten die japanischstämmigen Amerikaner tun können, als der Staat sie enteignete, entführte und einsperrte? Nichts. Hätten sie sich gewehrt, wären sie wahrscheinlich massakriert worden. Also ist das Second Amendment ein wichtiges Recht, aber überhaupt nicht ausreichend, um Tyrannei zu verhindern. Man kann auch in andere Länder schauen, oder in Beispiele der Geschichte. Oft behaupten Waffenbefürworter, in Diktaturen hätte es strenge Waffenverbote gegeben, und führen als Beispiel Nazi-Deutschland, die Sowjetunion oder Maos China an. Einige der genannten Beispiele stimmen, andere sind erstaunlich falsch. Tatsächlich gab es viele brutale Diktaturen, die liberale Waffengesetze hatten. (more…)