Archive for April 2018

Kein Eskapismus mehr

April 26, 2018
Günter Grass- Der neue Held der Leserforen

Künstler oder Politologe?

Farid Bang und Kollegah haben es geschafft: Der Echo ist tot. Nicht, dass der Echo mich persönlich irgendwie interessiert hätte, der Preis irgendwas über künstlerische Aspekte aussagte (es wurden Verkaufszahlen ausgezeichnet, nichts anderes) oder ich solchen Preisen irgendeine „gesellschaftliche Verantwortung“ beimesse (ich fand auch die kontroverse Textzeile, die den Echo für immer tötete, nicht antisemitisch – geschmacklos ja, aber sich nicht antisemitisch), doch das Ende dieses Preises ist dennoch eine schlechte Nachricht. Die Entscheidung zeigt die immer größer werdende Politisierung der Gesellschaft. Dass Musiker, Sportler oder Schauspieler sowas wie „weltanschauliche Treue“ (um nicht zu sagen Regimetreue) zeigen müssen, kennt man eigentlich nur aus diktatorischen Ländern. In den letzten Jahren hat in den meisten westlichen Ländern jedoch ein beängstigender Trend zum politischen Bekenntniszwang stattgefunden.

Mir persönlich ist das vor allem während der Flüchtlingskrise aufgefallen, als von vielen Künstlern ein Druck auf eine andere Künstlerin aufgebaut wurde, sich endlich politisch zu bekennen, sowie sie es getan hatten. Die besagte Künstlerin war Helene Fischer, also eine der bekanntesten musikalischen Persönlichkeiten Deutschlands überhaupt. Hier eine kleine Chronik der Aufforderungen an Helene, sich zu bekennen:

November 2016: Udo Lindenberg wirft Helene Fischer vor, dass sie kein Statement gegen den Rechtspopulismus macht.
März 2017: Hannes Jaenicke wirft Helene Fischer vor, dass sie als Russlanddeutsche ihren Einfluss nicht nutzt, um etwas zur Flüchtlingsthematik zu sagen.
Juni 2017: Campino wirft Helene Fischer vor, dass sie nichts gegen die AfD und „die rechtsextreme Stimmung“ sagt.
September 2017: Klaas wirft Helene Fischer vor, dass sie Merkels Flüchtlingspolitik nicht öffentlich lobt.

Man kann sich fragen, warum auf eine Nicht-Politikerin wie Helene Fischer ein solcher Druck aufgebaut wird, sich politisch zu äußern, und das ist des Pudels Kern: Künstler sind heute nicht mehr nur Künstler, sondern in einem viel größeren Umfang als früher auch politische Persönlichkeiten. Früher waren Film, Musik und Sport nur zur Unterhaltung da, heute auch zur Volkserziehung. Das heißt leider, dass Film, Musik und Sport nicht mehr zum Eskapismus taugen. Wir können nirgendwo mehr der Politik entfliehen – Politik ist überall. Der Bekenntniszwang nimmt zu. Mit Folgen wie dem Tod des Echo. Wenn wir uns vergegenwärtigen, welches Bekenntnis in Deutschland dominiert, bedeutet das: Es wird immer schwerer, sich, wie z.B. Helene Fischer, gar nicht mehr politisch zu äußern. Von einer „falschen“ politischen Äußerung ganz zu schweigen. (more…)

Ein echter Frühling?

April 16, 2018
Die Kaaba- Das größte Heiligtum der islamischen Welt

Ändert sich was in Saudi-Land?

Der iranische Frühling ist ziemlich schnell zusammengebrochen. Die Mullahs sind so fest im Sattel wie vorher, und damit wird sich auch im gesamten Nahen Osten wenig ändern. Aber es deutet einiges darauf hin, dass es in einem mindestens ebenso wichtigen Land im Nahen Osten einen echten Frühling geben könnte. Denn er kommt nicht aus dem Volk, sondern von den Herrschern. Der junge saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hat einige Ansichten verkündet, die in Saudi-Arabien revolutionär sind. Im Land hat es bereits einige Änderungen gegeben, die im Gegensatz zu vielen früheren Reformen nicht mikroskopisch klein waren, sondern im Alltag bemerkt werden konnten. Kinos sind erlaubt, israelische Flugzeuge dürfen saudisches Territorium durchqueren, bald werden Frauen ihren Führerschein machen können, außerdem deutete Salman eine Aufhebung des Verschleierungszwangs an.

Nun hat Salman dem „Time“ ein Interview gegeben. Hier hat er seine Ansichten klar dargelegt. Man sieht klar, dass er kein Kind von Traurigkeit ist. Er verteidigt das Verhaften von Bloggern, denn auch Osama bin Laden hätte „die Meinungsfreiheit missbraucht“, für die saudische Königsfamilie hat er nur Lob übrig (sie hätten das Land aufgebaut, sie seien „super-clean“ und nicht korrupt, sie hätten niemals Extremismus ins Ausland verbreitet, eine absolute Monarchie sei nicht immer schlecht, usw.), die saudische Intervention in Jemen ist für ihn ausschließlich eine humanitäre Anti-Terror-Maßnahme. Es ist klar: Salman ist ein Unterdrücker und Mörder, wie für einen Anwärter des saudischen Königsthrons zu erwarten. Dennoch macht er auch Aussagen, die Hoffnung für eine Besserung der Situation in Saudi-Arabien und im Ausland machen.

Salman spricht einige Dinge an, die eine elementare Bedeutung für den Nahen Osten und den Westen haben – und was er da sagt, klingt nicht so schlecht. Geradezu revolutionär halte ich seine Aussagen zur Muslimbruderschaft und ihrer Rolle zur Radikalisierung von Muslimen in Europa, denn wenn der zukünftige saudische König sowas sagt, besteht wirklich Grund auf Besserung in dieser Hinsicht. Aber es ist auch ein politisches Erdbeben, was er zu den Beziehungen zu Israel sagt und wie er sich die Zukunft Saudi-Arabiens vorstellt (allerdings hat er einige dieser Aussagen schon getätigt, also dürften sie nicht mehr so überraschend klingen). Selbst seine Position zu Syrien klingt nicht unvernünftig. Im Folgenden habe ich einige seiner Aussagen gesammelt, die auf einen baldigen saudischen Frühling hindeuten, der sowohl für Saudi-Arabien als auch für die Nachbarn im Nahen Osten und den Westen sehr positiv wäre. (more…)

Die Angst vor Filterblasen

April 8, 2018
kl

Gefährden einseitige Medien die Demokratie?

Eine neue Angst geht um: Die Angst vor Filterblasen. Damit ist gemeint, dass Menschen aufgrund ihres einseitigen Medienkonsums nur noch ihre eigene Welt wahrnehmen und die Gesellschaft dadurch immer gespaltener wird: Die eine Filterblase gegen die andere Filterblase. Diese neue Angst geht parallel einher mit der Angst vor der angeblichen Welle an Fake News und personalisierten Anzeigen in sozialen Medien. Wie weit diese Angst geht, zeigt ein Vorschlag von Christopher Lauer, früher Pirat, heute bei der SPD. Im Tagesspiegel beklagte er, dass Konservative in den USA und Rechte in Deutschland dank sozialer Medien wie Facebook zu sehr in ihrer Filterblase leben ohne sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, und schlägt auch gleich eine Lösung für dieses Problem vor. Die Verstaatlichung Facebooks:

Es wird vor allem das angezeigt, was den Freunden und einem selbst in der Vergangenheit gefiel. Der Effekt: Man bekommt die eigene Weltsicht bestätigt und wähnt sich selbst in der Mehrheit, weil alle Freunde auf Facebook dasselbe mögen. … Durch diese Polarisierung der Gesellschaft, die wir auch in Deutschland spüren, gefährdet Facebook schlussendlich die Demokratie. … Facebook ist dafür verantwortlich, wie sich für seine Nutzerinnen und Nutzer die Realität darstellt. Es wird dieser Verantwortung in keiner Weise gerecht. Wer vielen Accounts der politischen Rechten folgt, könnte der Meinung sein, Deutschland stehe kurz vor dem Untergang, wer ein normales Umfeld hat, bekommt hiervon nichts mit.

(…)

Facebook zu regulieren ist nur Symptom-Bekämpfung. Die eigentliche, viel interessantere Frage ist, wie ein Gebilde wie Facebook verstaatlicht und unter demokratische Aufsicht gestellt werden kann. Denn erst durch die kapitalistische Verwertungslogik entsteht für Facebook der Zwang, Daten so zu verarbeiten wie es getan wird. … Wäre Facebook oder ein Dienst wie Facebook eine staatliche Infrastruktur, so wie ein Straßen-, Schienen- oder Telefonnetz, würden all diese Notwendigkeiten wegfallen. Denn der Staat stellt die Infrastruktur nicht aus Gewinnstreben, sondern für die Daseinsvorsorge zur Verfügung.

Der Artikel ist nicht als Satire gekennzeichnet, und wenn man sich ansieht, was mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz bereits Realität ist, ist es auch nicht mehr ganz unrealistisch, dass sich Politiker sowas wünschen. Wie unglaublich groß muss die Angst vor Filterblasen sein, wenn jemand dazu rät, Facebook zu verstaatlichen? Die Antwort: Nicht besonders groß. Denn es geht, wie fast immer, um was ganz anderes. Die „Nicht-Konservativen“ in den USA und „Nicht-Rechten“ in Deutschland sind nicht Menschen, die sich dauernd die andere Seite anhören und ihre Ansichten korrekt wiedergeben können. Sie sind Menschen, die in ihrer eigenen Filterblase leben, Konservative und Rechte hassen und sich nicht vorstellen können, warum jemand konservativ oder rechts sein kann, außer durch die „Gehirnwäsche“ durch Filterblasen, und die nur von ihrem Irrtum gerettet werden können, wenn sie eine staatlich verordnete, neue Filterblase bekommen: Die der „liberals“ in den USA bzw. der Linken in Deutschland. (more…)