Eine neue Angst geht um: Die Angst vor Filterblasen. Damit ist gemeint, dass Menschen aufgrund ihres einseitigen Medienkonsums nur noch ihre eigene Welt wahrnehmen und die Gesellschaft dadurch immer gespaltener wird: Die eine Filterblase gegen die andere Filterblase. Diese neue Angst geht parallel einher mit der Angst vor der angeblichen Welle an Fake News und personalisierten Anzeigen in sozialen Medien. Wie weit diese Angst geht, zeigt ein Vorschlag von Christopher Lauer, früher Pirat, heute bei der SPD. Im Tagesspiegel beklagte er, dass Konservative in den USA und Rechte in Deutschland dank sozialer Medien wie Facebook zu sehr in ihrer Filterblase leben ohne sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, und schlägt auch gleich eine Lösung für dieses Problem vor. Die Verstaatlichung Facebooks:
Es wird vor allem das angezeigt, was den Freunden und einem selbst in der Vergangenheit gefiel. Der Effekt: Man bekommt die eigene Weltsicht bestätigt und wähnt sich selbst in der Mehrheit, weil alle Freunde auf Facebook dasselbe mögen. … Durch diese Polarisierung der Gesellschaft, die wir auch in Deutschland spüren, gefährdet Facebook schlussendlich die Demokratie. … Facebook ist dafür verantwortlich, wie sich für seine Nutzerinnen und Nutzer die Realität darstellt. Es wird dieser Verantwortung in keiner Weise gerecht. Wer vielen Accounts der politischen Rechten folgt, könnte der Meinung sein, Deutschland stehe kurz vor dem Untergang, wer ein normales Umfeld hat, bekommt hiervon nichts mit.
(…)
Facebook zu regulieren ist nur Symptom-Bekämpfung. Die eigentliche, viel interessantere Frage ist, wie ein Gebilde wie Facebook verstaatlicht und unter demokratische Aufsicht gestellt werden kann. Denn erst durch die kapitalistische Verwertungslogik entsteht für Facebook der Zwang, Daten so zu verarbeiten wie es getan wird. … Wäre Facebook oder ein Dienst wie Facebook eine staatliche Infrastruktur, so wie ein Straßen-, Schienen- oder Telefonnetz, würden all diese Notwendigkeiten wegfallen. Denn der Staat stellt die Infrastruktur nicht aus Gewinnstreben, sondern für die Daseinsvorsorge zur Verfügung.
Der Artikel ist nicht als Satire gekennzeichnet, und wenn man sich ansieht, was mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz bereits Realität ist, ist es auch nicht mehr ganz unrealistisch, dass sich Politiker sowas wünschen. Wie unglaublich groß muss die Angst vor Filterblasen sein, wenn jemand dazu rät, Facebook zu verstaatlichen? Die Antwort: Nicht besonders groß. Denn es geht, wie fast immer, um was ganz anderes. Die „Nicht-Konservativen“ in den USA und „Nicht-Rechten“ in Deutschland sind nicht Menschen, die sich dauernd die andere Seite anhören und ihre Ansichten korrekt wiedergeben können. Sie sind Menschen, die in ihrer eigenen Filterblase leben, Konservative und Rechte hassen und sich nicht vorstellen können, warum jemand konservativ oder rechts sein kann, außer durch die „Gehirnwäsche“ durch Filterblasen, und die nur von ihrem Irrtum gerettet werden können, wenn sie eine staatlich verordnete, neue Filterblase bekommen: Die der „liberals“ in den USA bzw. der Linken in Deutschland.
Jeder hat seine Filterblase
Der Glaube, eine Filterblase sei ein neues Phänomen, entbehrt jeglicher Grundlage. Möglicherweise glauben das die meisten auch nicht, aber die derzeitige Hysterie um Filterblasen scheint zu suggerieren, dass es in unserer Zeit schlimmer ist als je zuvor. Das ist Unsinn. Es war schon immer so, dass Menschen die Zeitungen lasen, die ihren politischen Einstellungen (falls sie welche hatten) entsprachen. Die Konservativen in den USA lasen das „Wall Street Journal“ und die „liberals“ die „Washington Post“, als das Internet noch gar nicht existierte. In den 1950ern war das „Ostpreußenblatt“ (heute die Preußische Allgemeine) eine beliebte Zeitung unter Rechten in Deutschland, während die Linken ihre eigene Presse hatten. Wenn es keine Facebook-Algorithmen gäbe, würden die Menschen heute einfach auf andere Weise ihre Informationsquellen nach ihrer eigenen politischen Präferenz selektieren.
Ist das schlimm? Nein. Im nicht-politischen Bereich ist es für alle völlig in Ordnung, wenn Menschen nur ihre Präferenzen konsumieren. Niemand wird einem fußballverrückten, christlichen Pizza-Liebhaber vorwerfen, dass er nicht auch andere Sportarten, Religionen und kulinarische Spezialitäten konsumiert. Politik ist sicher etwas anderes, denn es gibt ab einem gewissen Bereich keine Möglichkeit des „Jeder nach seiner Facon.“ Dinge wie Steuersätze, das Gesundheitssystem oder die Rente werden von der Politik bekanntlich mit einer „one-size-fits-all“-Lösung bedacht: Jeder muss mitmachen, egal ob er möchte oder nicht. Deswegen wäre es schon gut, wenn sich jeder politisch Interessierte alle Vorschläge aller politischen Ausrichtungen ansieht und dann entscheidet, welchen Vorschlag er politisch unterstützt (was meistens bedeutet: „welchen Vorschlag er allen aufzwingen will“).
Nun ist es aber so: Die Menschen haben eben schon immer in ihrer Filterblase gelebt! All die guten, schlechten und mittelmäßigen Dinge, die wir je bekommen haben, geschahen mit Filterblasen. Wie eine Welt ohne Filterblasen aussehen würde, wissen wir also gar nicht. Ich bin mir aber relativ sicher, sie würde nicht viel besser aussehen als die reale Welt. Denn es gilt ein Prinzip: Es gibt meistens nur einen Weg, eine Sache richtig zu machen, während es potenziell unendlich viele Wege gibt, dieselbe Sache falsch zu machen. Würde sich jeder mit den Ansichten der Violetten, der Tierschutzpartei, der Rätekommunisten und der Rastafari auseinandersetzen, würde dadurch lediglich eine Menge Lebenszeit aller Menschen verschwendet werden, wir würden nicht intelligenter werden. Es ist eben nicht jede politische Ausrichtung „gleich vernünftig“, einige sind intelligent, andere einfach nur furchtbar dumm.
Das heißt aber nicht, dass es politisch klug ist, andere politische Ansichten zu ignorieren. Der beste Vorschlag, wie man als politisch Interessierter seine Zeit für politische Information verbringen sollte, ist: Man sollte sich einerseits mit den Ideen auseinandersetzen, die man für richtig hält, und andererseits mit den Ideen, die an der Macht sind oder an Macht gewinnen. Deshalb ist es gut, wenn man sich z.B. als Linker sowohl mit den eigenen, linken Ideen auseinandersetzt, als auch mit den Ansichten der politisch immer bedeutender werdenden AfD, anstatt sie komplett zu ignorieren. Ebenso sollten AfD-Anhänger wissen, welche Ansichten links eingestellte Menschen haben, immerhin wird der politische Betrieb maßgeblich von ihnen geprägt. Womit wir bei der wichtigen Frage wären: Wer lebt mehr in seiner Filterblase? Linke oder Rechte?
Der linke Wunsch nach Ausgrenzung
Diese Frage kann man fast nur rhetorisch stellen. Natürlich sind es die Linken, die kaum eine Ahnung von den Ansichten von Menschen mit anderer politischer Ausrichtung haben. In den USA gibt es dazu handfeste Studien, die das belegen. Bryan Caplan prägte den „ideologische Turing-Test„, der testet, wie gut man die Ansichten des Gegners kennt: Dabei muss man selbst einen Text schreiben, in denen man völlig ernsthaft eine Ansicht verteidigt, die vom politischen Gegner stammt, und dabei dessen Argumente benutzt. Zwar ist dieser Test nicht populär geworden, aber Versuche zeigen immer wieder, dass „liberals“ in den USA in der Regel wenig Ahnung haben, was Konservative denken, während Konservative öfters die Argumente der „liberals“ kennen und sie richtig wiedergeben können (auch wenn sie trotzdem oft Strohmänner verwenden).
Außerdem entfreunden „liberals“ auf Facebook häufiger Menschen mit gegensätzlichen Ansichten als Konservative und haben somit weniger Kontakt mit anderen Ansichten als letztere. Diese Ergebnisse dürften in Deutschland nicht anders sein. Ich kann mir allgemein nicht vorstellen, dass irgendein Linker sich z.B. mit den Ansichten der großen liberalen Denker auseinandergesetzt hat. Ich habe tagein, tagaus die Argumente der Linken in Nachrichten, Talkshows, Zeitungen, Websites usw. zur Kenntnis genommen, ich kenne sie sehr gut. Ich könnte ganze Bücher aus der Sicht eines Linken schreiben. Was weiß dagegen ein Linker von den Ideen eines Milton Friedman oder F.A. von Hayek? Haben sie auch nur einmal einen liberalen Blogpost gelesen, der ihre Ideen korrekt wiedergibt? Oder stammt alles, was sie über den „Neoliberalismus“ wissen, aus ihrer Filterblase, sprich Süddeutsche, taz, attac, usw.? Anders gefragt: Haben Linke irgendeine Ahnung, was Nicht-Linke denken? Die einfache Antwort: Nein.
Es scheint aber nicht so, dass Linke darin ein Problem sehen. Im Gegenteil. Marina Weisband, wie Christopher Lauer ehemals bei den Piraten, meint, dass man nicht mit „Nazis“ diskutieren sollte, wobei sie die Definition, wer ein Nazi ist, sehr breit gefächert lässt:
Kaum ein Thema spaltet meine persönliche Filterbubble so sehr wie die Frage, ob man nun mit Nazis zu reden habe oder nicht. … Der Streit, wen man als Nazi bezeichnen solle oder dürfe, führt gerade zu weit. Aber es gibt ganz klar Menschen, die anderen Menschen kein Leben zugestehen wollen. Und es gibt Menschen, die erstere unterstützen. … Je mehr wir versuchen, Nazis zu entlarven, desto mehr Plattform und Gehör bieten wir ihnen. Der Diskurs schleicht so immer weiter nach rechts. Und nein, die Gesellschaft muss nicht jedem seine Meinung gönnen. … Wenn ein Gauland in einer Talkshow sitzt, sitzt er da allerdings nicht als Mensch, sondern als Repräsentant seiner provokativen Meinung. Und da ich ja gerade mit dieser Meinung nicht reden will, gehe ich gar nicht erst hin.
Weisbands Nazi-Defintion schließt ganz eindeutig einen Großteil des AfD-Personals ein, wenn nicht den gesamten. Die Botschaft ist klar: Mit der AfD redet man nicht. Adrian Schulz von der taz geht noch ein Schritt weiter und fordert, dass „Nazis“ sich nicht mal mehr trauen dürfen, zum Bäcker zu gehen:
Nazis sind keine missverstandenen „Populisten“ oder gar Linke, die es zu bekehren gälte. Die wollen das genau so – rechtsextrem sein. Man muss sie deshalb sozial ächten. Bis sie sich nicht mehr trauen, auch nur zum Bäcker zu gehen.
Wir haben es also auf der einen Seite mit Menschen zu tun, die sich ganz furchtbar um die Demokratie sorgen, weil es zu viele Filterblasen gibt, und gleichzeitig nicht mit Menschen mit anderen Ansichten reden wollen. Das klingt nicht nur widersprüchlich, es ist es auch. Aber die Linken scheinen das nicht zu bemerken. Diese kognitive Dissonanz findet ihren Höhepunkt, wenn quasi ein Verbot von anderen Ansichten gefordert wird, um die demokratische Vielfalt zu erhalten – denn um nichts anderes handelt es sich bei der Forderung, den politischen Medienkonsum zu regulieren: Bestimmte Ansichten sollen verboten werden, damit sie gar nicht erst im Facebook-Feed erscheinen. Es geht bei der Angst vor Filterblasen nicht um den Erhalt der Demokratie oder gar darum, dass sich Linke endlich mal mit nicht-linken Ansichten auseinandersetzen. Es geht um nichts anderes, als nicht-linke Ansichten zu unterdrücken und linke Ansichten allen Menschen notfalls per Gesetz in ihre Computer, Smartphones und Tablets einzutrichtern.
April 8, 2018 um 21:20 |
Wo ist der Lauer jetzt? Bei der SPD, diesem Pressekonzern mit angegliederter Partei?
April 8, 2018 um 21:41 |
Ja, er war bis 2014 bei den Piraten und ist 2016 der SPD beigetreten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Christopher_Lauer
April 10, 2018 um 18:28
Lauer ein SPD-Pirat, und Gay-Kevin ist der Kapitän, dieses gesunkenen Schiffs.
April 10, 2018 um 07:31 |
Man muss die Kirche schon im Dorf lassen. Sozialdemokraten sind zumeist keine Theorieträger, sondern drehen ihr Fähnlein im Wind. Die Zeitunge haben jetzt zum Sturm gegen Facebook geblasen, die Sozis ziehen mit…
Bei den Leuten, die noch halbwegs denken können, führt das allenfalls zu Lachkrämpfen.
Ich persönlich habe noch nie einen dieser Sozis getroffen, die willens und im Stande wären sich die Meinungen anderer anzuhören. Sie können von Oben herab predigen. Diskutieren können sie nicht.
Die Sozis wollen die Lufthohheit über die Stammtische zurück:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Druck-_und_Verlagsgesellschaft
Treffende Beobachtung.
Die Sozis verstehen die Nicht-Linken nicht und glauben (wie in der Kirche), dass die alle durch das böse Kapital manipuliert sind.
Sich überhaupt mit solchen Themen auseinanderzuseten – jenseits der unmittelbaren persönlichen Vorteile – ist eigentlich ein Hobby. Auch das kapieren die Linken nicht. Die Linken glauben, wenn möglichst viele Menschen an einer Entscheidung mitwirken, wird das „sozial gerechter“. Was auch immer das schon wieder bedeutet.
Die Wahrheit ist: Es gibt NICHTS im Bereich der Politik, das darauf hindeuten würde. Diejenigen, die sich mit Politik befassen.
Stichwort einseitige Medienbeschallung.
Definitv ja.
Das ist teilweise Hexenjägermentalität. Tut mir leid, wenn ich da emotional werde… Vor allen Dingen akzeptieren die Linke keine unpolitische Nische im Leben. Immer wird abgetastet und wenn man herausfindet, dass das Gegenüber kein Linker ist, dann gehts los…
April 14, 2018 um 18:30 |
Sehr schöner Post.
Passend dazu erschien vor 2 Wochen ein Leitartikel in der Zeit: Jens Jessen: Der bedrohte Mann. DIE ZEIT 15/2018, 04.04.2018. http://www.zeit.de/2018/15/metoo-debatte-maenner-feminismus-gleichberechtigung
Darin geht es um die Radikalisierung in den feministischen Redaktionen, die dort entstandenen Echokammern und die Unterdrückung abweichender Meinungen. Prompt ging ein shitstorm auf Jessen hernieder.
April 16, 2018 um 23:45 |
Ich kann den Artikel nicht lesen, da man ihn freischalten muss, habe aber vom Shitstorm gehört. MeToo ist mir sowieso sehr unsympathisch.