Es gibt kein besseres Beispiel für eine Person, die jahrzehntelang in eine Region reist und dennoch so vieles falsch widergibt, wie Jürgen Todenhöfer. Die Tatsache, dass er wirklich in Kriegsländer reist, allen Gefahren zum Trotz, muss man ihm lassen. Alles andere, also seine Reiseberichte, ist meistens völliger Unsinn. Seine Berichte über die Situation im Nordirak in den letzten sechs Monaten, seitdem die ISIS/IS in Mossul einrückte, sind ein Paradebeispiel dafür. Von seinen ersten Zustandsbeschreibungen weicht er mittlerweile selbst ab (der „Juni-Todenhöfer“ hat wenig mit dem aktuellen „Dezember-Todenhöfer“ gemein), aber unbeeindruckt davon ist ihm in all der Zeit die absolute Gewissheit geblieben, es besser zu wissen als „die Medien“.
Es begann mit einem am 15. Juni erschienenen Interview, indem er klarstellte: Der Aufstand wird „nur scheinbar“ von der ISIS beherrscht, in Wirklichkeit wird er von der „FNPI“ („Nationaler, Panarabischer und Islamischer Widerstand“) getragen, einer säkularen Koalition aus ehemaligen Saddam-Leuten, die nun eine Demokratie errichten wollen. Die ISIS hätten „keine Chance“ in Mossul, sie würden nur 5% der Kämpfer stellen. Am 22. Juni beschrieb Todenhöfer auf seiner Facebook-Seite ausführlicher, was im Irak eigentlich vorging. Der „gemäßigte“, „legitime“, „säkulare“, „demokratische“, „nationale“ Widerstand führe einen Aufstand gegen die schiitisch dominierte Maliki-Regierung, es sei ein Kampf für Gleichberechtigung und Demokratie. Was in Mossul los ist, beschrieb er so:
Seit der FNPI und die Stämme Mosul kontrollieren, ist die Lage in der Stadt relativ ruhig. Frauen gehen ganz normal einkaufen. Es gibt keine sogenannten Schariagerichte wie in syrischen Gebieten, die ISIS kontrolliert. Niemandem werden die Hände abgehackt. Nur einige Alkoholläden hat ISIS zerstört. Der FNPI ist erkennbar Herr der Lage.
Eine bemerkenswerte Zustandsbeschreibung. Ein irakischer Blogger, der in Mossul lebte, hatte ganz andere Erfahrungen gemacht. Er meinte, die ISIS hätte sofort nach der Machtübernahme begonnen, die Scharia durchzusetzen (was einige „konservative“ Einwohner befürworteten), viele Märkte seien geschlossen, gefesselte Leichen tauchten überall auf, es herrsche ein Zustand der totalen Angst. Auch die Berichte über 500.000 Flüchtlinge aus der Stadt (etwa ein Viertel aller Einwohner, darunter alle Christen) sprachen eher gegen die Theorie „Alles in Ordnung, nur ein paar Alkoholläden zerstört“. Vor allem aber: Niemand auf der gesamten Welt hatte je etwas von der Existenz einer Koalition namens „FNPI“ gehört, die ja gemäß Todenhöfer 95% der Kämpfer in Mossul darstellten. (more…)