Zu den großen politischen Fragen in den westlichen Ländern scheint die Frage zu gehören, wie man zu Russland steht. Dabei wird in der Regel nur wenig differenziert. Die Wörter „NATO-Kriegstreiber“ und „Putin-Versteher“ werden ziemlich inflationär benutzt. Mehr Differenzierung wäre jedoch dringend notwendig. Es gibt derzeit sowohl eine Pro-Putin-Hysterie als auch eine Anti-Putin-Hysterie. Bei der Pro-Putin-Hysterie handelt es sich um Leute, die jede russische Intervention im Ausland verteidigen und Putins Mafia-Staat als Vorbild betrachten, weil sie ihn offenbar als Verfechter von Patriotismus und der traditionellen Familie sehen. Bei der Anti-Putin-Hysterie handelt es sich um Leute, die Putin als den Strippenzieher von Trump, dem Brexit oder gleich jeder EU-Kritik (bzw. „Fake News“, wie sie es nennen) in jedem Land sehen und ernsthaft befürchten, dass Putin einen Angriff auf den Westen plant. Ich finde, beide sollten mal tief Luft holen und einen anderen Blickwinkel ausprobieren.
Putin ist kein Vorbild
Man muss nicht russophob sein, um die russischen Interventionen in der Ukraine und Syrien zu verurteilen. Und nein, man muss auch nicht vergessen haben, dass der Westen selbst kräftig im Ausland interveniert hat. Aber dieses ewige „Whataboutism“ ist kein Argument, sonst müsste man auch einen kleinen Dieb verteidigen, wenn er sich damit rechtfertigt, dass Bankräuber mehr Geld stehlen als er. Was für ein lächerliches Argument ist es, die russische Intervention in der Ostukraine damit zu verteidigen, dass die USA den Irak besetzt haben? Der einzige rationale Grund, die russische Intervention zu verteidigen, wäre der, zu erklären, warum die Lage in der Ostukraine ohne sie schlechter wäre als mit ihr (was bei jeder Intervention der einzige rationale Grund wäre, um sie zu verteidigen). Aber das wird von den Verteidigern Putins gar nicht versucht, mehr als Whataboutism oder gar die Leugnung der Intervention wird nicht gebracht.
Noch lächerlicher ist es nur, das Putin-System als nachahmenswert für den Westen darzustellen. Wenn Mitglieder der Front National, AfD, FPÖ oder Geert Wilders Russland loben, kann man sich zu ihrer Verteidigung nur wünschen, dass sie keine Ahnung von Russland haben. Russland ist das genaue Gegenteil eines Geheimtipps für die Zukunft, es lockt keine ausländischen Investoren an, es bietet nicht mehr Freiheit für die Bürger. Nein, das System Putin basiert ökonomisch auf Korruption und Rohstoffexporten und ideologisch auf billigen Nationalismus. Auf Deutschland übertragen würde das einen personenkult-treibenden, oppositionellen-tötenden Kanzler bedeuten, der eine Günstlingswirtschaft betreibt und eine Annektion Südtirols, „Ostbelgiens“ und Nordschleswigs fordert, um die deutsche Minderheit dort vor einem drohenden Völkermord zu schützen. Wenn die AfD sich das wünscht, tut sie gut daran, das zu verstecken. (more…)