Archive for the ‘Türkei’ Category

Was der Fall Yücel ans Tageslicht brachte

März 9, 2017
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Deutschland hat einen neuen Führer!

Seit Deniz Yücel unter fadenscheinigen Gründen in der Türkei verhaftet wurde, können wir unter gewissen Gruppen in Deutschland einige Reaktionen vernehmen, die viel über den derzeitigen Zustand Deutschlands aussagen.

1. Ein Haufen von Türken mit und ohne deutschen Pass feiert Yücels Festnahme. Für sie ist Yücel ein Landesverräter und Terroristenschreiber, die Justiz in Deutschland und der EU nicht besser als die in der Türkei, wegen dem NSU und weil sie türkische Putschisten nicht ausliefert, dazu könne man angesichts der Armenien-Resolution im Bundestag nicht mit „deutsch-türkischer Freundschaft“ rechnen, und außerdem gäbe es viel wichtigere Themen als Yücel, wie z.B. Rentnerarmut. Die deutsch-türkischen Politiker, die sich im krassen Gegensatz dazu für Yücel und gegen Erdogan aussprechen, gehen im Vergleich dazu unter. Die Mehrheit der Türken in Deutschland will Yücel im Gefängnis sehen.

Die Lektion: Die Türken in Deutschland haben weit mehr Sympathien für ihren Führer Erdogan als für unsere Köterrasse. Leider könnte das bedeuten, dass Erdogan seine Drohung, in Deutschland einen Aufstand anzuzetteln, wenn ihm ein Auftritt verboten wird, vielleicht wahrmachen könnte. Die AKP-Nazis, die immerhin genug Humor haben, um Deutsche als Nazis zu beschimpfen und dann Hitler für seine Judenpolitik zu loben (würde man jedes Mal, wenn ein Türke in den sozialen Medien Hitler lobt, einen Cent bekommen, könnte man damit die amerikanischen Staatsschulden dreimal abbezahlen), sollten auf jeden Fall besser von den Sicherheitsbehörden beobachtet werden, anstatt sich nur auf die Salafisten und Reichsbürger zu konzentrieren.

2. Ein Haufen von nationalistisch gesinnten Deutschen feiert Yücels Festnahme, weil er links ist und sich oft sarkastisch äußert, so z.B. über Sarrazins halbseitige Gesichtslähmung und das vermeintlich bald bevorstehende Aussterben der Deutschen. Kewil von PI News wünscht Yücel lebenslange Haft. Andere erkennen an, dass Yücels Festnahme falsch ist, können aber ihre Schadenfreunde nicht verbergen. So meint Tomas Spahn: „Was hat diesen Türken mit deutschem Reisedokument getrieben, sich in diese Gefahr zu begeben? Hat er darauf vertraut, dass die deutschen Diplomaten ihn schon raushauen werden, weil er doch so pfiffig war, sich neben seinem türkischen Pass auch noch den deutschen zu beschaffen?“ (more…)

Weiter mit Erdogan

Juli 17, 2016
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Er bleibt der Welt erhalten

So ein Mist! Das war meine Reaktion nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei. Innerhalb weniger Stunden drehte sich Erdogans Schicksal von „Ex-Präsident“ zu „Mächtig wie nie zuvor“. Wenig war nötig, um das Rad umzubiegen. Erdogan rief, und das türkische Volk kam. Aber die Putschisten sind auch dilettantisch vorgegangen. Viele glauben deshalb, der Putsch sei von Erdogan inszeniert worden. Das halte ich aber für unwahrscheinlich. Es ist durchaus möglich, dass eine Gruppe von Menschen völlig dilettantisch vorgeht, das allein ist kein Grund um es für eine Aktion „unter falscher Flagge“ zu halten. Und die Cui bono-Frage reicht auch nicht aus. Nur weil jemand von einem Ereignis profitiert, muss er es nicht selbst herbeigeführt haben.

Wäre der Putsch gelungen, wäre es sicher, wie nach Militärputschen üblich, zu einer Säuberungswelle gekommen, die Tausende getroffen hätte, darunter auch viele Unschuldige, die lediglich die neuen Herrscher kritisiert hätten. Das wäre vielleicht schlimmer geworden als das, was Erdogan bis jetzt gemacht hat. Dennoch sollte man nicht glauben, das Scheitern des Putsches sei etwas Gutes, denn wenn es um die langfristige Entwicklung geht, wäre ein gelungener Putsch das kleinere Übel gewesen. Erdogan hat vor, die Türkei endgültig in eine Ein-Mann-Diktatur zu verwandeln, in der niemand außer er politisch etwas zu sagen hat und die Meinungsfreiheit abgeschafft ist. Das Militär hätte nach den Säuberungen irgendwann wieder die Macht abgegeben.

Es war ein kleines Dilemma: Vor dem Putsch wäre ein Putsch schlimmer gewesen als Erdogan, aber nach Beginn des Putsches war ein Gelingen das kleinere Übel. Es gab nur die Frage: Wer wird anschließend mit seinen Säuberungen beginnen? Jetzt, da Erdogan den totalen Sieg davongetragen hat, wird er seine eigene Säuberungswelle starten. Es gibt keinen Grund, von ihm Mäßigung zu erwarten, gerade jetzt nicht. Er wird gegen alle möglichen Gegner vorgehen, egal ob Militärs, Linke, Kurden oder Gülen-Anhänger (die übrigens alles andere als „moderat“ sind). Höchstwahrscheinlich wird am Ende der Führerstaat stehen. Leider wird das wohl sogar von der Mehrheit der Türken begrüßt werden. (more…)

Der kranke Mann am Bosporus

Dezember 31, 2014
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Vom Premierminister zum Präsidenten: Recep Tayyip Erdogan

Niemand kann ernsthaft leugnen, dass Erdogan verrückt ist. In den letzten Jahren fiel er immer wieder durch eigenwillige Zitate auf (s. hier) und gab damit der historischen Bezeichnung „kranker Mann am Bosporus“ eine ganz neue Bedeutung. Aber dieses Jahr scheint er eine neue Stufe erreicht zu haben. Möglicherweise liegt es daran, dass er nun ein neues Amt bekleidet. Auf jeden Fall hat die Dichte an Erdoganismen in letzter Zeit deutlich zugenommen. Hier ein kleines Ranking der besten Erdogan-Zitate von 2014.

10. „Wir überlassen dieses Land nicht der Gnade von Youtube und Facebook“.

Am 7. März, als Erklärung warum er die sozialen Medien (in denen viele kritische Berichte erschienen waren) verbieten will.

9. „Ein Land im Süden zettelt Verschwörungen in der Türkei an“.

Am Dezember, über die zionistische Weltverschwörung, die angeblich mit dem Prediger Fetullah Gülen verbündet sei.

8. „Jene, die von außen in die islamische Welt kommen, mögen Öl, Gold und Diamanten, sie mögen billige Arbeitskräfte, und sie mögen Zwist und Streit. Sie wollen nicht, dass wir Dinge hinterfragen. Glaubt mir, sie mögen uns nicht. Sie sehen wie Freunde aus, aber sie wollen uns tot sehen, sie mögen es, unsere Kinder sterben zu sehen“.

Über den Westen, bei einem Treffen der COMCEC am 27. November. (more…)

Der verbotene Völkermord

April 18, 2014
Armenier werden von osmanischen Soldaten deportiert, 1915

Armenier werden von osmanischen Soldaten deportiert, 1915

Im Theater der Stadt Konstanz wird seit dem 21. März der Roman „Das Märchen vom letzten Gedanken“ aufgeführt. In dem Stück geht es um den Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916, also vor fast genau 100 Jahren. Die türkische Regierung weigert sich bis heute, anzuerkennen, dass es einen Völkermord gab, und führt deshalb immer ihr eigenes Theater auf, wenn das Wort „Völkermord“ im Zusammenhang mit den Ereignissen aus dieser Zeit fällt. So auch dieses Mal.

Im Vorfeld wurde u.a. mit einem Plakat geworben, indem die Füße eines toten Mannes zu sehen sind, über dem ein weißes Tuch ausgebreitet ist, darüber weht die türkische Flagge und der türkische Ministerpräsident Erdogan wird mit dem Satz zitiert: „In unserer Geschichte wurde kein Völkermord begangen“. Das war natürlich genug Zündstoff für eine Kontroverse. Über 100 Türken demonstrierten in Konstanz gegen die Aufführung des Theaterstücks, weil ihre Gefühle dadurch verletzt würden, auch per E-Mail forderten empörte Türken die Absetzung des Stücks.

Es gab auch diplomatischen Protest: Das türkische Generalkonsulat in Karlsruhe forderte, dass die Theaterbesucher vorab in einem Brief darüber informiert werden, dass es rechtliche und akademische Diskussionen gibt, ob man die Ereignisse von 1915 als Völkermord bezeichnen kann. Dieser Eingriff in die künstlerische Freiheit wurde von den deutschen Politikern zum Glück auch als solcher bezeichnet und kritisiert. Trotzdem wurde der Brief in der Homepage des Theaters veröffentlicht, das Stück musste unter Polizeischutz aufgeführt werden. (more…)

Erdogan, Assad und die Kurdenfrage

Oktober 4, 2012
Die Flagge der Autonomen Region Kurdistan im Irak

Die Flagge der Autonomen Region Kurdistan im Irak

Gestern kam es nach dem Beschuss eines türkischen Dorfes erstmals zu Kämpfen zwischen der türkischen und der syrischen Armee. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien waren bekanntlich schon lange angespannt. Der Angriff wurde von der Türkei nach eigenen Angaben „sofort erwidert“. Bei den türkischen Angriffen auf Ziele in Syrien, die am Morgen fortgesetzt wurden, wurde eine unbekannte Zahl von syrischen Soldaten getötet. Die syrische Regierung gab an, dass sie überprüfen will, wer für den Angriff auf das Dorf Akçakale verantwortlich ist und dass sie die Grenzen beider Länder achten würde. Die NATO kam zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, ohne jedoch den Bündnisfall zu besprechen.

Das türkische Parlament billigte heute ein einjähriges Mandat für Militäroperationen in Syrien. Gleichzeitig gaben die Türken jedoch an, dass die Syrer sich für den Angriff entschuldigt und versprochen hätten, dass sich so ein Angriff nicht mehr wiederholt. Die Russen sagten, dass ihre syrischen Kollegen den Vorfall als einen tragischen Unfall ansehen. Damit dürfte sich die Lage vorerst wieder entspannt haben. Weder die NATO, noch Erdogan oder Assad sind wohl an einem Krieg interessiert. Außerdem ist die türkische Opposition und die Bevölkerung eindeutig gegen eine Intervention, heute demonstrierten Zehntausende gegen einen möglichen Krieg.

Die Kurdenfrage

Was die Situation heikel macht, ist die „Kurdenfrage“. Erdogan versuchte während seiner Amtszeit lange Zeit, die Kurden mit Zugeständnissen, die vor langer Zeit noch undenkbar gewesen wären, zu neutralisieren. Diese Politik endete jedoch vor einem Jahr, als die Kämpfe mit der PKK wieder aufflammten. Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit ist es der PKK vor einigen Monaten zum ersten Mal überhaupt gelungen, einige Gebiete in der Türkei unter ihrer Kontrolle zu bringen, darunter wohl die Stadt Şemdinli. Die Medienzensur in der Türkei macht es unmöglich, Näheres zu erfahren. Die PKK gibt an, Hunderte türkische Soldaten getötet zu haben, die türkische Armee spricht dagegen von einigen wenigen Opfern und bestreitet jegliche Gebietsverluste. (more…)

Erdogans Türkei: Vom Nationalismus zum Islamismus

Mai 26, 2012

Der türkische Staatsgründer Kemal „Atatürk“

Kaum ein Land im Nahen Osten hat sich in den letzten 10 Jahren so stark verändert wie die Türkei. Seit Erdogan an der Macht ist, befindet sich die türkische Wirtschaft im Aufschwung, die Demokratie und der Säkularismus dagegen im Abschwung. Erdogan hat aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich und genießt wohl auch mit seinem islamisch-konservativen Kurs einen großen Rückhalt im Land. Vor zwei Tagen wurde bekannt, dass staatliche Jugendcamps in Zukunft nach Geschlechtern getrennt werden. Erdogan gab bereits bekannt, dass er eine „religiöse Generation“ heranziehen möchte und hat es nun mit einer Bildungsreform ermöglicht, dass saudische Imame Kinder schon ab dem dritten Lebensjahr unterrichten dürfen. Es ist jedoch falsch zu glauben, dass die Türkei vor Erdogan ein demokratischer und laizistischer Staat war.

Die von Atatürk geprägte Türkei war eine nationalistische, autoritäre und instabile Republik. Es gab allein zwischen 1961 und 1980 drei Militärputsche, denen massive Menschenrechtsverletzungen vorangingen und auch folgten. Hunderttausende Menschen wurden verhaftet, Todesurteile verhängt und Freiheiten eingeschränkt. Die Meinungsfreiheit blieb immer eingeschränkt, so war es verboten, Atatürk zu beleidigen oder den Völkermord an den Armeniern zu leugnen. Auch die Massenverbrechen, die unter Atatürks Herrschaft an den Kurden und den Aleviten verübt wurden, um ihre Forderung nach mehr Selbstbestimmung niederzuschlagen, waren in der Öffentlichkeit ein Tabuthema. Die ethnischen und religiösen Minderheiten wurden wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Besonders hart traf es die Kurden: Kurdische Kleidung, der Gebrauch der Sprache in der Öffentlichkeit,  kurdische Musik, kurdische Literatur und Zeitungen waren jahrzehntelang verboten.

Noch heute ist es so, dass jemand, der die türkische Staatsbürgerschaft annehmen will, einen türkischen Namen annehmen muss, und in den Schulen müssen selbst in Städten, in denen drei Viertel der Bevölkerung nicht türkisch sind, die Schüler nationalistische Lieder über die Türkei singen. Die Türkei war ein autoritärer Apartheidstaat, gleiche Rechte hatten nur Angehörige der türkisch-muslimischen Herrenrasse. Die aktuelle Entwicklung ist lediglich ein Wechsel der Ideologie, in dessen Namen die Herrscher regieren. Bei den historischen Umwälzungen in der arabischen Welt wird vieles davon abhängen, wohin sich die Türkei entwickelt. Momentan sieht es so aus, als ob Atatürks autoritärer Nationalismus von Erdogans islamisch-konservativer Autokratie ersetzt wird und die arabischen Länder diesem Beispiel folgen werden. (more…)

Top 10 Erdogan-Zitate

März 15, 2012
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan soll den Steiger-Award für Toleranz und Offenheit bekommen. Falls es tatsächlich dazu kommt, könnte er ja wieder eine tolle Rede halten. Hier sind die Klassiker der Erdoganismen:

10. „Ein Muslim kann keinen Völkermord begehen. Gaza und Darfur soll man nicht vermischen.“

Am 9. November 2009 im Staatsfernsehen TRT, über den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir.

9. „Assimilation ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit. Ich verstehe sehr gut, dass ihr gegen die Assimilierung seid. Man kann von euch nicht erwarten, euch zu assimilieren… Die türkische Gemeinschaft und der türkische Mensch, wohin sie auch immer gehen mögen, bringen nur Liebe, Freundschaft, Ruhe und Geborgenheit mit sich. Hass und Feindschaft können niemals unsere Sache sein. Wir haben mit Streit und Auseinandersetzung nichts zu schaffen.“

Am 10. Februar 2008 in der Köln-Arena vor 20.000 Türkischstämmigen.

8. „Gegenwärtig leben 170.000 Armenier in unserem Land. Nur 70.000 sind türkische Staatsbürger, aber wir tolerieren die übrigen 100.000. Wenn nötig, kann es passieren, dass ich diesen 100.000 sagen muss, dass sie in ihr Land zurückgehen sollen, weil sie nicht meine Staatsbürger sind. Ich muss sie nicht in meinem Land behalten.“

Am 16. März 2010 in einem Interview mit der BBC.

7. „Man kann solche moralischen Fragen nicht ,privat‘ und eine ,Einmischung ins Privatleben‘ nennen in einer Gesellschaft, in der 99 Prozent Muslime sind.“

Während des Wahlkampfs 2011 im regierungsnahen Fernsehsenders Kanal 7, als Antwort auf die Behauptung, dass die Sex-Skandale von Oppositionellen Privatangelegenheiten sein, die nichts mit der Politik zu tun haben sollten.

6. „Kilicdaroglu hat die religiösen Überzeugungen unseres Volkes beleidigt. Dies ist eine Respektlosigkeit gegenüber dem transzendenten Erschaffer des Universums.“

Zuvor hatte Kilicdaroglu Erdogan sprichwörtlich als den „Allah des Status quo“ bezeichnet.

5. „Glauben sie mir, Sarajevo gewann heute genauso wie Istanbul, Beirut gewann genauso wie Izmir, Damaskus gewann genauso wie Ankara, Ramallah, Nablus, Gaza, die Westbank und Jerusalem gewannen genauso wie Diyarbakir.“

Nach seinem Wahlsieg 2011. Er zählte alle muslimischen Hauptstädte und Regionen des früheren osmanischen Reiches auf. (more…)

Volk ohne Staat- Das Kurdenproblem im Nahen Osten

November 2, 2011

Kurdisches Siedlungsgebiet nach der CIA, 1992

Völkermorde, Landraub, Deportationen, erzwungene Assimilation und Unterdrückung der Kultur– das gibt einen kleinen Überblick von dem, was das kurdische Volk in den letzten 80 Jahren erleiden musste.

Im Jahre 2011 leben 25 Millionen Kurden in vier Staaten geteilt: Syrien, Iran und den beiden größten Siedlungsgebieten, dem Irak und der Türkei. Weitere Hunderttausende leben in der Diaspora. Der Traum von Selbstbestimmung und einem eigenen, kurdischen Staat ist mehr als 100 Jahre alt. Im Irak hat sich dieser Traum im Jahre 2005 mit der Errichtung der Autonomen Region Kurdistan praktisch erfüllt, theoretisch gehört diese Region jedoch noch immer zum Irak. In unseren revolutionären Zeiten kämpfen nun auch die Kurden in der Türkei für mehr Autonomie. In Syrien haben Aktivisten eine „kurdische Intifada“ ausgerufen, während im Iran die kurdischen Nationalisten den bewaffneten Kampf gegen den Staat verloren haben. Zeit, um einen genauen Blick in das „Kurdenproblem“ des Nahen Ostens zu werfen.

Die Vorgeschichte

Die Entstehung des kurdischen Volkes und der kurdischen Sprache sind historisch nicht eindeutig geklärt. Die Vorfahren der Kurden lebten wohl schon vor 4000 Jahren in Mesopotamien. Eine sumerische Steinschwelle aus diesem Zeitraum erwähnt die Region „Kardaka“. Während der islamischen Expansion wurden die kurdischen Siedlungsgebiete von muslimischen Truppen erobert, in den nachfolgenden Jahrhunderten gab es mehrere kurdische Herrschaftsdynastien und kurdische Fürstentümer, aber nie einen kurdischen Nationalstaat. Es gab bei den muslimischen Völkern kein ausgeprägtes Nationalbewusstsein, vor 1918 gab es auch keinen „türkischen“ oder „arabischen“ Staat, da waren die Kurden keine Ausnahme. Während der Jahrhunderte wurden sie in verschiedene Regionen angesiedelt, so das sich das Gebiet, das man später „Kurdistan“ nennen sollte, vergrößerte.

Im 19.Jahrhundert entstand schließlich ein kurdisches Nationalbewusstsein, der zu mehreren blutigen Aufständen führte. Im Jahre 1897 wurde das „Erste Kurdische Nationalkomitee“ und die Zeitung Kurdistan gegründet. Während der Revolution der Jungtürken entstanden weitere Kurdenkomitees und Zeitungen, die den kurdischen Nationalismus propagierten. Die Jungtürken verfolgten eine armenier- und kurdenfeindliche Politik, sie wollten einen reinen Türkenstaat errichten. Im Ersten Weltkrieg trat das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands in den Krieg ein. Die türkischen Nationalisten nutzten den Krieg als Vorwand, um in einem der schlimmsten Völkermorde der Geschichte etwa 1,5 Millionen Armenier zu töten und weitere Hunderttausende zu vertreiben, so dass die über 1000 Jahre währende armenische Präsenz im Nordosten der Türkei schlagartig beendet wurde. Hier liegt jedoch ein weniger ruhmreicher Teil der kurdischen Geschichte: Viele kurdische Stämme beteiligten sich an den Massakern. Und das, obwohl auch sie zu Tausenden vertrieben wurden. (more…)

Erdogan für vier weitere Jahre

Juni 13, 2011
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan

Erdogan und seine Partei, die AKP, haben erwartungsgemäß die Wahlen in der Türkei gewonnen.  Auch wenn er die Zweidrittelmehrheit verpasste, die er für eine schnelle Verfassungsreform gebraucht hätte, ist es kein guter Tag für die Demokratie in der Türkei. In seinen bisherigen acht Jahren Regierung hat Erdogan zwar das Militär entmachtet (Hunderte Militärs müssen sich wegen politischer Einmischung vor Gericht verantworten, das Offizierskorps ist politisch kraft- und hoffnungslos) und das Land auf einen erfolgreichen wirtschaftlichen Kurs gebracht (Verdreifachung des Pro-Kop-Einkommens, Abbau der Schulden und Wachstum des BIP’s von 8,9% im letzten Jahr). Aber gleichzeitig führt er einen autoritären Kurs, der die Demokratie gefährdet.

Im Index der Pressefreiheit auf Platz 138

Regierungskritische Journalisten werden zunehmend verhaftet und eingeschüchtert. Die WELT berichtet: „Wer an der Vorgehensweise oder Regierungsarbeit von Tayyip Erdogan Kritik ausübt, ein Buch oder einen Aufsatz schreibt, wird sofort zum Putschisten erklärt. Kritik und Opposition werden nicht geduldet. Demonstrierende Studenten und Intellektuelle landen reihenweise im Gefängnis. Journalisten werden verhaftet, weil sie kritische Bücher und Aufsätze schreiben. Die Türkei wird unter der Führung von Tayyip Erdogan von Tag zu Tag autoritärer und wandelt sich zum Polizeistaat.“

Auch das Internet fällt der Zensur zum Opfer: Internetcafes müssen einen Filter einbauen, die eine Million Webseiten blockieren. Dazu zählen: Google, Facebook, BBC, Amazon, die Seite des türkischen Menschenrechtsvereins, Seiten für Schwule und Lesben sowie Teile der englischsprachigen Wikipedia (das Stichwort „Kurdish People“ ist dort nicht mehr abrufbar). Ab dem 22.August werden alle türkischen Internetnutzer gezwungen sein, einen von vier ausgewählten Filtern zu benutzen. Im Index der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ rangiert die Türkei auf Platz 138, nach Ländern wie dem Irak. In der Türkei sitzen mehr Reporter hinter Gittern als in China (57 gegenüber 34). (more…)