Die „libertäre“ Bewegung

Die Freiheitsstatue wird von Libertären gerne als Symbol benutzt

Um herauszufinden, welche politische Einstellung man hat, gibt es u.a. den sogenannten „Political Compass“, den „World’s Smallest Political Quiz“, das nur 10 Fragen beinhaltet, und für den US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 gibt es den „I side with“-Test. Der letzte Test ergab bei mir eine 91%-Übereinstimmung mit Gary Johnson, dem Kandidaten der libertären Partei, und 85% mit Ron Paul. Im Political Compass wurde mir bescheinigt, ein „libertärer Linker“ zu sein, und auch im World’s Smallest Political Quiz bekam ich aufgrund meines konsequenten Eintretens für Freiheit das Attribut „libertär“ verpasst. Trotzdem sehe ich mich nicht als Libertären.

Warum? Weil der Begriff „Libertarismus“ meiner Meinung nach ein ziemlich unscharfer Begriff ist. Es gibt sicher viele Libertäre, mit denen ich in den wichtigsten politischen Fragen übereinstimme. Was den Libertären besonders wichtig ist, ist die Freiheit. Aber dafür gibt es schon eine andere politische Ausrichtung: den klassischen Liberalismus. Wozu braucht man dann noch das Wort „Libertarismus“? Wo liegt der Unterschied zwischen den beiden Einstellungen? Ein Grund, den ich zu hören bekam, war, dass Libertäre konsequenter für Freiheit eintreten als Liberale, und dass der Begriff „Liberalismus“ zunehmend verwässert worden ist.

Das ist aber für mich keine hinreichende Erklärung. Der Begriff „Libertarismus“ stand auch nicht immer für dasselbe (früher haben sich z.B. auch einige sozialistische Gruppierungen so bezeichnet), und auch aktuell steht der Begriff „Libertarismus“ nicht für eine einzige politische Ausrichtung. Es gibt unter libertären Denkern solche, die sich dem klassisch liberalen Spektrum zuordnen, und es gibt eine anarchokapitalistische Fraktion. Beide haben Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede. Die meisten liberalen Denker wie z.B. Ludwig von Mises oder Friedrich August von Hayek sich klar gegen den Anarchismus ausgesprochen haben.

Die „Governophobie“ unter den Libertären ist auch in der nicht-anarchistischen Fraktion weitverbreitet. Am 4.Oktober veröffentlichte Kelly Barber in Students for Liberty den Artikel „Unterdrückung und der Mangel an libertären Frauen„, der sich mit der Frage beschäftigte, warum so wenige Frauen und ethnische Minderheiten unter den Libertären zu finden sind. Ihre Schlussfolgerung lautete:

Ich denke, dass es Libertären teilweise schwer fällt, Unterdrückung zu erkennen, wenn sie nicht vom Staat ausgeführt wird. Klassisch Liberale haben unterdrückte Gruppen und die Anerkennung ihrer Rechte historisch betrachtet unterstützt, wie z.B. bei den Afroamerikanern in den 1960er Jahren. Allerdings nehmen sie diese Gruppen traditionell vor dem Staat in Schutz, nicht vor der Gesellschaft als Ganzes. Die meisten Libertären erkennen zwar theoretisch an, dass Unterdrückung von der Gesellschaft kommen kann, im wirklichen Leben sprechen Libertäre jedoch selten über soziale Unterdrückung. Vielleicht ist das so, weil Libertäre politische Unterdrückung als ein wichtigeres Anliegen ansehen.

Viele Libertäre lehnen den Staat so vehement ab, dass sie keinen Unterschied zwischen demokratischen und diktatorischen Staaten sehen. Murray N.Rothbard sah als Hauptproblem für den Nahostkonflikt Israels Aggression gegen die arabischen Länder und die Weigerung, das Rückkehrrecht der Palästinenser anzuerkennen. Ron Paul glaubt, dass die USA durch ihre Außenpolitik selbst schuld an 9/11 hätten, da sie 1991 den Irak angegriffen haben und die Israelis unterstützen. Dabei gab es keinen einzigen Iraker oder Palästinenser unter den al-Qaida-Piloten. Einige Libertäre wollen nicht anerkennen, dass es Menschen gibt, die andere Menschen völlig grundlos hassen und töten wollen- oder besser gesagt: Sie erkennen es zwar an, aber nur, wenn es um die USA oder Israel geht.

Ayn Rand, die von vielen Libertären verehrt wird, hatte eine regelrechte Verachtung für den Libertarismus übrig und sagte, dass Sie lieber den Fernsehstar Bob Hope wählen würde als John Hospers, den Präsidentschaftskandidaten der Libertären Partei in den USA. Es trifft zwar zu, dass ich viele- um nicht zu sagen, die meisten- Ansichten der Libertären teile. Doch ich halte den Begriff „Libertarismus“ dennoch für überflüssig. Wenn Libertäre dem klassisch liberalen Spektrum gehören, sollten sie sich als solche bezeichnen. Wenn sie Anarchisten sind, sollten sie sich eben als Anarchisten bezeichnen. Warum beides mit dem Label „libertär“ vermischen?

4 Antworten to “Die „libertäre“ Bewegung”

  1. Mason Says:

    Der Begriff „Libertarismus“ ist einfach eine Rückübersetzung des amerikanischen „libertarianism“. In den USA war es tatsächlich notwendig, einen neuen Begriff zu prägen, da „liberalism“ dort nicht bloß verwässert worden ist (wie man es ja durchaus auch für Europa behaupten könnte), sondern vollständig in sein Gegenteil umgekehrt worden ist. „Liberals“ ist eben die gängige Bezeichnung in den USA, das ist derart fest etabliert, dass es sich daran leider nichts mehr ändern lässt. Jemand, der sich in den USA als libertarian bezeichnet, ist oft einfach ein klassisch Liberaler. Tyler Cowen beispielsweise hat in diesem Artikel argumentiert, dass sich libertarians (zu denen er sich selbst zählt), mit „bigger government“ abfinden müssten und das nichts notwendigerweise Schlechtes sei: http://www.cato-unbound.org/2007/03/11/tyler-cowen/the-paradox-of-libertarianism/

    Die Leute, die sich in Deutschland Libertäre nennen, sind in der Tat meist Anarchokapitalisten. In Deutschland ergibt es meines Erachtens überhaupt keinen Sinn, wenn man sich als klassisch Liberaler Libertärer nennt und sich in Verwechslungsgefahr mit Anarchokapitalisten (mit denen, wie im Artikel richtig beschrieben wird, Leute wie Mises und Hayek nichts zu tun hatten) begibt. Ich würde mich in diesem Sinne in Europa als Liberaler und den USA durchaus als liberatarian bezeichnen.

    • Mason Says:

      KORREKTUR: Der dritte Satz sollte folgendermaßen beginnen: „‚Liberals‘ ist in den USA eben die gängige Bezeichnung für Linke“

      • arprin Says:

        “‘Liberals’ ist in den USA eben die gängige Bezeichnung für Linke” … Ich würde mich in diesem Sinne in Europa als Liberaler und den USA durchaus als liberatarian bezeichnen.

        So kann man das auch handhaben. Außer wenn es um Außenpolitik geht, da finde ich die Ansichten der Libertarian Party erschreckend.

      • Mason Says:

        Ja, das ist auch meine Ansicht. Man kann dann allerdings noch auf den Unterschied zwischen libertarians und Libertarians (die mit dem großen „L“ sind jene, die mit der Partei assoziert sind, die mit kleinem „l“ müssen das nicht sein) hinweisen.

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