Der totalitäre Pazifismus

Der personifizierte Pazifismus

Es gibt kaum eine andere Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts, die mehr bewundert wird als Mohandas Karachmand Gandhi, genannt „Mahatma“. In einer Umfrage des Magazins „Time“ landete Gandhi nach Einstein und Roosevelt auf Platz 3 der bedeutendsten Personen des 20. Jahrhunderts, und der Dalai Lama, Lech Walesa, Martin Luther King, Cesar Chavez, Aung San Suu Kyi, Benigno Aquino Jr., Desmond Tutu und Nelson Mandela wurden als die „Kinder Gandhis“ bezeichnet. Ein Oscar-gekrönter Hollywood-Film mit Ben Kingsley in der Hauptrolle setzte ihm ein weiteres Denkmal.

Allerdings ist Gandhi wohl die auch am meisten missverstandene Persönlichkeit des vergangenen Jahrhunderts. Kaum einer weiß wirklich was über Gandhis Philosophie, nicht mal die Inder, obwohl kaum ein Monat vergeht, indem dort eine Gandhi-Statue eingeweiht wird oder ein Politiker ihn in seinen Reden erwähnt. Viele Zitate, die angeblich von Gandhi stammen, sind nicht belegt, so auch das bekannteste und unablässig wiederholte „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“

Die Menschheit kann froh sein, dass Gandhi nie der Herrscher eines freien Landes war, das von einer faschistischen Diktatur angegriffen wurde. Seine pazifistische Einstellung war totalitär, er forderte bedingungslose Opferbereitschaft und lehnte jede Form von Gewalt, auch die zur Selbstverteidigung, ab. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass die westliche Zivilisation zerstört worden und der Faschismus gesiegt hätte, wenn Gandhi an der Stelle von Churchill oder Roosevelt gestanden hätte.

Gandhis Philosophie

Die Philosophie von Gandhi hatte zwei Grundpfeiler: Wahrheit (Satyagraha) und Gewaltlosigkeit (Ahimsa). Gewaltlosigkeit unterbreche die Gewaltspirale und ist in der Lage, „den Gegner auf die eigene Seite zu ziehen“, da „der Appell an Herz und Gewissen des Gegners effektiver ist als ein Appell, der sich auf Drohungen oder Gewalt stützt“ und sei „keine Waffe der Schwachen, sondern eine Waffe der geistig Stärksten.“ Gewalt führe immer zu Gegengewalt und sei deshalb keine Lösung. Gandhi sah seine Lehren jedoch nicht als eine eigenständige Philosophie an. Gewaltlosigkeit und Wahrheit seien nicht von ihm als Erstes gepredigt worden, betonte er.

Hätten Gandhis Methoden in jeder Diktatur funktionieren können? Der Untergang des Kommunismus in Osteuropa, das Ende der Apartheid in Südafrika, die Farbenrevolutionen des 21. Jahrhunderts oder auch die Unabhängigkeit Indiens scheinen Gandhi Recht zu geben. Aber hätte es wirklich bei jedem Regime funktionieren können, so z.B. auch bei den Nazis? Dazu muss man wissen, dass Hitler sich selbst über Gandhis Methoden geäußert hat. Er riet den Briten in einem Treffen mit Lord Halifax im Jahr 1937:

Erschießt Gandhi- und wenn das nicht ausreicht um sie zur Unterwerfung zu zwingen, erschießt ein Dutzend führende Mitglieder des Kongress; und wenn das nicht ausreicht, erschießt 200 und so weiter bis die Ordnung wiederhergestellt ist. Ihr werdet sehen wie schnell sie aufgeben werden, wenn ihr klarmacht, dass ihr es ernst meint.

(Quelle)

Klare Worte. Trotzdem gibt es einige Personen, die glauben, dass der Zweite Weltkrieg und der Holocaust hätten verhindert werden können, wenn die Deutschen sich Gandhis Methoden angeeignet hätten. Johan Galtung will sogar ein Beispiel im Dritten Reich gefunden haben, in dem passiver Widerstand gegen die Machthaber erfolgreich war. Der Politologe Ekkehart Krippendorff nahm einen Aufsatz über Mahatma Gandhi und Martin Buber zum Anlass, um seine These darzulegen, dass das Dritte Reich zerbrochen wäre, wenn die Juden passiven Widerstand gegen die Nazis geleistet hätten:

Man stelle sich dieses Szenario vor: Kein deutscher Jude folgt den diskriminierenden Anordnungen der deutschen Behörden (Judenstern, getrennte Parkbänke, beschränkte Einkaufszeiten usw.) – wären sie gegenüber Hunderttausenden durchsetzbar gewesen? Man stelle sich vor, kein deutscher Jude wäre Befehlen gefolgt, sich zu Sammelplätzen einzufinden – einige Dutzend, einige hundert, vielleicht auch einige zehntausend hätte die deutsche Polizei einzeln (passiver Widerstand!) aus ihren Wohnungen gezerrt und auf Lastwagen verladen; aber Hunderttausende? …

Oder man stelle sich vor, die Kolonnen der Hunderte und Tausende auf dem Weg zu den Güterbahnhöfen hätten sich schlicht hingesetzt, ,Sitzstreik“ nennen wir das heute – hätten Polizei, SA, Wehrmacht und SS es gewagt, im Angesicht aller deutschen Zuschauer diese Menschen jeden Alters und Geschlechts zusammenzuschlagen und sie Körper für Körper, widerstandslos und doch mächtig, auf Lastwagen zu verfrachten? … Die Spekulation ist zumindest legitim, sich zu fragen, ob das Regime nicht an einem solchen massiven passiven Widerstand selbst zerbrochen wäre.

(Quelle)

Es kann sein, dass ziviler Ungehorsam einem diktatorischen Regime Schaden zufügen kann. Aber völlige Gewaltlosigkeit ist nicht in der Lage, ein Regime zu stürzen, dass mit Gewalt gegen seine Gegner vorgeht. Nehmen wir an, Soldaten beginnen, sich dem zivilen Ungehorsam anzuschließen und desertieren. Dies geht immer so weiter, bis eines Tages die Hälfte der Armee oder sogar mehr dem Regime nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Soldaten würden jedoch ihrerseits nicht Gewalt anwenden, sondern ebenfalls mit friedlichen Mitteln gegen das Regime kämpfen.

Das bedeutet, dass solange das Regime auch nur einen Soldaten übrig hat, dieser auf jeden Demonstranten schießen könnte, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Irgendwann hätten die Menschen verständlicherweise so viel Angst um ihr Leben und dass ihrer Familie, dass sie mit dem Demonstrieren aufhören würden. Es wäre verantwortungslos zu fordern, dass sie sich weiter erschießen lassen sollten, ohne Gegenwehr zu leisten (das ist aber genau das, was Gandhi fordert). Wenn eine Seite nicht bereit ist, Gewalt anzuwenden, bedeutet dass, das die Seite, die Gewalt anwendet, immer die Oberhand behalten wird.

George Orwell sagte 1949 in seinem Essay „Reflections on Gandhi“:

… es gibt Grund anzunehmen dass Gandhi … das Wesen des Totalitarismus nicht verstanden hat und alles in Bezug auf seinen eigenen Kampf gegen die britische Regierung sah. … Er glaubte daran, „die Welt aufrütteln“ zu können, was nur möglich ist, wenn die Welt die Möglichkeit bekommt zu erfahren was du tust. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass Gandhis Methoden in einem Land angewandt werden könnten, in dem Regierungskritiker mitten in der Nacht verschwinden und von denen nie wieder was gehört wird.

Ohne eine freie Presse und dem Recht auf Versammlungsfreiheit ist es unmöglich, einen Aufruf an die Öffentlichkeit zu starten, eine Massenbewegung voranzubringen oder deinem Gegner dein Vorhaben wissen zu lassen. Gibt es zurzeit einen Gandhi in Russland?

(Quelle)

Orwell hatte für Pazifisten nur Verachtung übrig. So sagte er bereits 1941: „Da Pazifisten mehr Handlungsfreiheit in Ländern haben, in denen Ansätze der Demokratie bestehen, können Pazifisten effektiver gegen die Demokratie wirken als für sie. Objektiv betrachtet ist der Pazifist pro-nazistisch.“ Der Untergang des Kommunismus in Osteuropa oder das Ende der Apartheid in Südafrika waren nur möglich, weil die Herrscher nicht entschlossen genug waren, die Volksbewegungen mit allen möglichen Mitteln niederzuschlagen. Wären statt Gorbatschow und de Klerk echte Hardliner an der Macht gewesen, hätten friedliche Mittel nichts genützt.

Gandhi und der Zweite Weltkrieg

Gandhis Ansichten zum Zweiten Weltkrieg sind kaum bekannt. Wahrscheinlich würden sie seinen guten Ruf beschädigen, da er aufgrund seiner pazifistischen Ansichten teilweise völlig verrückte Pläne vorschlug, die, wenn man sie angewandt hätte, zu einem Sieg des Faschismus und einen noch umfassenderen Völkermord in Europa geführt hätten. Dabei erkannte Gandhi Hitlers Totalitarismus an. Er war jedoch trotzdem der Ansicht, dass ein Krieg gegen ihn keine Lösung wäre, so schrieb er 1938:

… die Verfolgung der Juden in Deutschland scheint in der Geschichte beispiellos zu sein. Die alten Tyrannen sind nie so wahnsinnig geworden wie es bei Hitler der Fall zu sein scheint. Und er tut es mit religiösem Eifer. … Wenn es jemals einen gerechten Krieg im Namen und für die Menschlichkeit geben könnte, wäre es ein Krieg gegen Deutschland, um die willkürliche Verfolgung einer ganzen Rasse zu verhindern. Aber ich glaube an keinen Krieg. Eine Diskussion über das Pro und Contra eines solchen Krieges liegt daher außerhalb meines Horizonts oder meines Tätigkeitsgebiets.

(Quelle)

Er änderte auch seine Meinung nicht, nachdem der Krieg ausgebrochen war. Bevor Hitler die Sowjetunion überfiel, hatte er sogar die Ansicht, dass Hitler doch gar nicht so schlecht sei, da er seine Kriege immerhin „schnell“ gewinnen würde, und schrieb im Jahr 1940 sogar persönlich einen Brief an Hitler. Da die Briten nicht vorhatten, mit passivem Widerstand gegen Hitler zu kämpfen, zogen sie den Zorn Gandhis auf sich. Deshalb schrieb Gandhi einen weiteren Brief, der diesmal an die „gesamte britische Nation“ gerichtet war, indem er die Briten im aggressiven Ton aufforderte, kollektiven Selbstmord zu begehen:

Ich möchte nicht, dass Britannien besiegt wird, noch will ich, dass sie in diesem rohen Kräftemessen … siegreich sind.  … Ich will dass ihr den Nazismus ohne Waffen, oder, um die militärische Terminologie beizubehalten, mit nicht-gewalttätigen Waffen bekämpft. Ich würde mir wünschen, dass ihr die Waffen, die ihr habt, niederlegt, da sie nutzlos sind, um euch oder die Menschheit zu retten. Ihr werdet Herrn Hitler und Signor Mussolini einladen, damit sie in den Ländern, die ihr eure Besitzungen nennt, bekommen was sie wollen.

Lasst sie in Besitz eurer schönen Insel kommen, mit euren vielen schönen Gebäuden. Ihr werdet all dies aufgeben, nur eure Seelen und eure Gedanken nicht. Wenn diese Herren sich entscheiden, eure Häuser zu besetzen, werdet ihr diese verlassen. Wenn sie euch keine freie Durchfahrt geben, werdet ihr euch selbst, Mann, Frau und Kind, erlauben, abgeschlachtet zu werden, aber ihr werdet euch weigern, ihnen Gefolgschaft zu leisten.

(Quelle)

Nachdem der Krieg vorbei war und er vom Holocaust erfuhr, sagte er folgendes über die Juden:

Hitler tötete fünf Millionen Juden. Es ist das größte Verbrechen unserer Zeit. Aber die Juden hätten sich selbst dem Messer des Schlächters ausliefern sollen. Sie hätten sich selbst von den Klippen ins Meer werfen sollen. So wie die Lage ist, sind sie sowieso zu Millionen unterlegen.

(Quelle)

Gandhis Ansichten kann man nicht anders bezeichnen als masochistischen, totalitären Pazifismus. Eine ähnliche Einstellung hatten die frühchristlichen Märtyrer, die es regelrecht genossen, auf schlimmste Weise gefoltert zu werden. Der totalitäre Pazifismus erklärt jegliche Gewalt für moralisch falsch und fordert völlige Opferbereitschaft. Die Menschen sollen sich alle erschießen lassen, bis die Mörder irgendwann Mitgefühl bekommen, keine Munition mehr haben oder keine Menschen mehr da sind, die man erschießen kann. Die andere Möglichkeit- bewaffneter Widerstand- wird grundsätzlich abgelehnt. Lieber soll man sein Leben opfern als sich mit Gewalt zu verteidigen.

Gandhi und die indische Unabhängigkeit

In der Geschichtsschreibung gilt Gandhi als der „Befreier Indiens“. Er hatte gewiss einen großen Anteil daran, die britischen Kolonialherren zu schwächen und war gemeinsam mit Jawaharlal Nehru und dem Nazi-Kollaborateur Subhash Chandra Bose einer der führenden Personen der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Allerdings hatten die Briten während der Zwischenkriegszeit die Erfahrung gemacht, dass Kolonien mehr kosten als sie einbringen, und in den britischen Kolonien wurde die Verwaltung immer weiter an Einheimische abgegeben und einige „Dominions“ bekamen de facto die Unabhängigkeit geschenkt.

Die Briten waren also gar nicht wirklich daran interessiert, Indien länger als Kolonie zu behalten. Wäre es anders gewesen, wäre Gandhi wohl deutlich früher gestorben. Matthias Eberling urteilte über Gandhis Rolle für die Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien:

Eine totalitäre Diktatur hätte eine zarte Figur im Lendenschurz wie ihn einfach zerbrochen und ausgelöscht. Aber in einer Demokratie mit einer kritischen Presse- und wenn sie auch eine rassistische, imperialistische Klassengesellschaft wie das Britische Empire war- konnte dieser stete Tropfen des gewaltfreien Widerstands jedoch letztlich das Joch der englischen Kolonialherrschaft brüchig werden lassen.

(Quelle)

Die Hindu- und Muslimverbände beschlossen kurz vor dem Ende der britischen Herrschaft, dass Indien in einen hinduistischen und einen muslimischen Teil geteilt werden sollte. Gandhi protestierte gegen diese Entscheidung. „Teilen sie mich entzwei, aber teilen sie Indien nicht entzwei“, sagte er zu den politischen Verantwortlichen. Doch sein Appell konnte den Gang der Geschichte nicht aufhalten. Nach der Teilung Indiens begannen Muslime und Hindus, sich gegenseitig zu vertreiben und abzuschlachten. Bei diesem Blutbad starben eine halbe Million Menschen, Millionen wurden vertrieben.

Es ist bezeichnend, dass Gandhis Methoden zwar erfolgreich im Kampf gegen die Kolonialverwaltung eines demokratischen Landes wie Großbritannien waren, aber die Massaker von religiösen Fanatikern im eigenen Land nicht verhindern konnten. Gandhi tat wenig bis gar nichts Nützliches, um dem Morden Einhalt zu gebieten. In den Tagen nach der Unabhängigkeit Indiens „floss mehr Blut als Regen“, wie ein britischer Kommentator anmerkte (in dem Hollywood-Film über Gandhi spielen diese Massaker übrigens keine Rolle). Nicht nur, dass er nichts gegen die Massaker unternahm- Gandhi äußerte sich sogar verächtlich über die Flüchtlinge, die ihrem tödlichen Schicksal entgehen wollten:

Ich bin betrübt zu erfahren, dass Menschen aus dem Westen Punjabs fliehen und mir wird gesagt, dass Lahore von Nicht-Muslimen evakuiert wird. Ich muss sagen, dass dies nicht so ist, wie es sein sollte. Wenn ihr glaubt, dass Lahore tot oder am Sterben ist, rennt nicht davon, sondern stirbt mit dem, was ihr für das sterbende Lahore haltet. …

Ich würde den Hindus sagen, dass sie dem Tod fröhlich entgegensehen sollen, wenn die Muslime darauf aus sind, sie zu töten. Ich wäre ein wahrer Sünder, wenn ich mir, sollte man mich erstechen, in meinem letzten Augenblick wünschen würde, dass mein Sohn Rache nimmt. Ich muss ohne Hass sterben. … Ihr mögt euch umdrehen und fragen, ob alle Hindus und Sikhs sterben sollten. Ja, würde ich sagen. So ein Martyrium wird nicht vergebens sein.

(Quelle)

Gandhis Antimodernismus

Wenn Gandhi heute leben würde, wäre er wahrscheinlich nicht sehr stolz auf Indien (obwohl die Inder ihn abgöttisch verehren). Denn obwohl große Teile Indiens noch immer bettelarm sind, haben die Inder dennoch die moderne Technik begrüßt, was Gandhi, der das einfache, bäuerliche Leben idealisierte, ablehnte. Er war ein Kulturpessimist und klagte die sieben Todsünden unserer Zeit an, die nach Gandhi „Reichtum ohne Arbeit, Genuss ohne Gewissen, Wissen ohne Charakter, Geschäft ohne Moral, Wissenschaft ohne Menschlichkeit, Religion ohne Opferbereitschaft und Politik ohne Prinzipien“ seien.

Gandhi äußerte sogar, dass es ihn nicht stören würde, wenn die Briten in Indien bleiben und es beherrschen würden, wenn sie nur ihre Fabriken, Eisenbahnen, Telegraphen und Radios wegschaffen würden. Indiens Rettung könne nur dann gelingen, so Gandhi, wenn die Inder „alles verlernen: Eisenbahnen, Telegraphen, Krankenhäuser, Advokaten, Doktoren, all dies muss verschwinden; und die so genannten besseren Kreise müssen bewusst, gläubig und gezielt das einfache Bauernleben lernen, im Wissen, dass dieses Leben das wahre Glück bringt.“ Auch wollte er das hinduistische Kastensystem nicht abschaffen, sondern lediglich reformieren.

Noch zu Lebzeiten erkannte Gandhi, dass die Inder seinen Lehren nicht gefolgt sind. Er räumte ein: „Ich weiß, Indien ist nicht mehr auf meiner Seite. Ich habe nicht genug Inder von der Wahrheit der Gewaltlosigkeit überzeugt.“ Über die vermeintliche Gewaltlosigkeit der Inder merkte er treffenderweise an: „Wir haben die Gewaltlosigkeit nicht aus Überzeugung eingesetzt, sondern aus Hilflosigkeit. Hätten wir die Atombombe gehabt, hätten wir sie gegen die Briten eingesetzt.“ Heute ist Gandhi nur noch eine weltweite Marke, die von jedem gebraucht werden kann, der in einer Stammtischrunde ein schönes Zitat loslassen will.

24 Antworten to “Der totalitäre Pazifismus”

  1. Thomas Holm Says:

    Die Teilung Indiens gehört zu den schwärzesten Kapiteln der Dritten Welt, allerdings noch übertroffen von den Massakern in Bangladesch; Faktor vier, Anfang der Siebziger Jahre.

    Lahore war eine Sikh-Metropole, die sich die Muslime gekrallt hatten, weil die Minderheit der Sikhs nicht so fähig zur Reziprozität war, wie die Hindus. Die Sikhs haben örtlich bis zum letzten Mann gekämpft, der dann …

    How Sikhs saved their women from Muslim Mobs during Partition of 1947

    http://www.youtube.com/watch?v=2WQtUYv1_-s ab min 2.00

    … selber hören !

    • arprin Says:

      Danke für das Video!

    • Olaf Says:

      Die Hindus fanden die Sikhs aber auch nicht so toll, immerhin hat ein Sikh Indira Gandhi gekillt.

      • Marek Says:

        Ja es war ihr Leibwächter und Indira hatte darauf bestanden das sie ihre SIkh Leibwächter behält(Es gab gerade Krawalle)um zu zeigen das sie keine Vorurteile hat.

        Erinnert mich an die heutige Politk in Europa.In England sind Muslimische Polizisten 10 mal korrupter als weisse Engländer wie eine Untersuchung ergab,in Deutschland sind MUslime in der BUndeswehr 31 mal öfter Extremisten wie Nichtmuslime aber was machen die Politiker?Meeeeeeeehr Moslems in POlizei,Bundeswehr,Politik(SPD verhängte gerade einen Aufnahmestopp da mal wieder Türken massenweise eintreten um ihren Mann an die Spitze zu bringen)…aber das darf man heute nicht sagen weil es ja alles Vorurteile sind…und am Ende werden wir Enden wie Indira-hauptsache wir bleibene Politsch Korrekt!

  2. Martin Says:

    Ich hege eh den starken Verdacht,das gewaltloser Widerstand nur funktioniert,wenn auch eine gewalttätige Alternative existiert.Wie z.B. in Indien,wo der Widerstand keineswegs nur aus gewaltfreien Aktionen und Gruppen bestand und die Briten -durch etliche Aufstände vorher- gewahr waren,das, wird dem gewaltfreien Widerstand nicht nachgegeben,Gewalt angewendet wird.
    Die gewaltfreie Bewegung bot dann nur die Möglichkeit,sich ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen,“edel“ auf Gewalt gegen die Gewaltfreien zu verzichten,statt früher oder später blutig und schmachvoll zu unterliegen.

  3. Paul Says:

    Lieber arprin,
    habe Deinen Artikel mit großem Interesse gelesen und andere Einsichten gewonnen.

    Das Thema Ghandi ist für mich das Thema: „Wenn alle Menschen der Welt…“
    Da die Menschen zu diesem Gleichklang nicht fähig sind, ist Ghandis Lehre eine Utopie. Es ehrt ihn und nötigt mir eine gewisse Hochachtung ab, das er dieses Prinzip für sich persönlich durchgehalten hat.
    Natürlich konnte er nicht alle Menschen Indiens von seiner Idee überzeugen.
    Das Paradoxon liegt für mich darin, dass er Gewaltlosigkeit nicht gewaltsam durchsetzen kann.

    Beim Lesen Deines Artikels ist mir die Geschichte in Faulkners Roman, „Eine Legende“ in den Sinn gekommen.
    Beide im Krieg gegeneinander befindlichen Armeen schossen nur noch mit „Blindgängern“. Was machte die Generäle stutzig? In den Tagesmeldungen gab es keine Toten mehr. Was taten die Generäle. Sie vergaßen ihre Feindschaft und berieten gemeinsam, wie sie diesen Zustand verändern können, damit der Krieg weitergeführt werden kann.
    Eine sehr schöne Geschichte. Auch so kann Pazifismus entstehen?

    Fällt mir gerade noch ein. Wurde das Ende der DDR wirklich gewaltlos im Sinne von Ghandi herbeigeführt? Sind nicht Massendemonstrationen und aufrührerische Reden auch schon eine Form der niederschwelligen Gewalt? Hätten wir nach der Idee von Ghandi nicht in unseren Wonungen bleiben müssen, um,auf der Matte sitzend, den Umsturz herbei zu meditieren?

    • arprin Says:

      Dieses “Wenn alle Menschen der Welt…” finde ich passend. Wenn alle Menschen so wären wie Gandhi es sich vorstellt, hätte Pazifismus eine Chance. Aber da es nicht so ist, bedeutet Pazifismus in den meisten Fällen kollektiven Selbstmord.

      Ein Beispiel dafür, wie Gewalt gerechtfertigt sein kann, zeigt der Fall eines nordkoreanischen Grenzsoldaten, der aus seiner Heimat fliehen wollte:

      Das Recht zu töten

      „Am Wochenende floh ein nordkoreanischer Grenzsoldat nach Südkorea und erschoß auf seiner geglückten Flucht zwei Vorgesetzte. Dieser Vorfall sorgte auch im Internet, u.a. auf Facebook, für einigen Wirbel. Sogleich wurde die ethische Frage aufgeworfen, ob der Flüchtling die beiden Grenzsoldaten hätte toten dürfen. Meine Antwort war ein klares Ja!“

      Und aus einer Facebook-Debatte:

      Some of the naive fools in this thread would surely even debate if it would have been morally tolerable for a jew to kill a german soldier to flee a concentration camp. Sincerely, the existence of such debates is already a sign how irrational the freedom-pampered people in Europe have become. What our freedom stands on? On a lot of dead soldiers! We are free thanks to the allied forces who have killed a lot of german soldiers. Become finally adults! Sorry, but I cannot stand this childish european attitude anymore!

      Eine pazifistische Herangehensweise zeigte der aus Nordkorea stammende, us-amerikanische Liebesprediger Robert Park: Er überquerte Weihnachten 2009 den gefrorenen Fluss Tumen und gelang so nach Nordkorea. Dabei hatte er einen Brief mit sich, der Kim Jong-Il aufforderte, politische Gefangene freizulassen, die Menschenrechte zu achten und doch bitte zurückzutreten. Er wurde sofort festgenommen, das Ergebnis: Sechs Wochen Gefängnis, Folter, sexueller Missbrauch und ein erzwungenes “Geständnis”, wonach er überzeugt sei, ein Fehler gemacht zu haben und der westlichen Propaganda nicht mehr glauben zu wollen. Gandhi hätte dies sicher besser gefallen als das obere Beispiel.

    • American Viewer Says:

      @Paul

      Wenn alle Menschen der Welt…

      Der Grundgedanke erscheint mir schon totalitär gefasst. Natürlich, Gandhis System funktioniert, wenn alle Menschen gleich denken. Wer kann das wollen? Totalitarismus hatte DL schon im 3. Reich und in der DDR. Ein Volk, ein Gedanke, ein Reich, ein Führer.

      Du kennst doch noch die DDR? Oder nicht?

      • Paul Says:

        Natürlich kenne ich die DDR lieber Viewer, habe ich doch 40 Jahre lang die Genossen genossen.

        Natürlich ist dieser Grundgedanke totalitär gefasst, weil es eben eine Utopie wäre, zu erwarten, dass „alle Menschen der Welt“ gut werden würden und nur noch Gutes tun würden.
        Das wäre das Paradies auf Erden.
        Deshalb ist Ghandi für mich ein Utopist und alle die seinen Ideen nachhängen sind ebensolche Utopisten.

        Übrigens, auch die Katholische Kirche, der ich angehöre, träumt von dieser Utopie: Dem Gottesreich auf Erden. Das ist m.E. nichts anderes.
        Dazu sage ich: Träumen wird man doch schon mal dürfen. Meine Hochachtung gilt den Menschen, die versuchen dieses Ideal in ihrem persönlichen Leben zu verwirklichen. Sie sind für mich Vorbilder. Es ist aber eine Illusion anzunehmen, dass alle Menschen dies verwirklichen können.
        Aber man kann sie wenigstens als Vorbilder haben.
        Wie heißt es so schön im Faust?
        „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“

      • American Viewer Says:

        @Paul
        Antwort siehe unten.

  4. besucher Says:

    Apropos totalitär:

    Die EU bekommt doch tatsächlich den Friedensnobelpreis.
    Aber wenn man bedenkt wie viele Antidemokraten und Islamisten den schon bekommen haben kommt es darauf jetzt auch nicht mehr an.
    Diese Auszeichnung betrachtet Brüssel als Blankoscheck um mal wieder aufs Tempo zu drücken. Mal sehen was als nächstes wieder verboten wird.

    • American Viewer Says:

      Der Vorsitzende der Jury ist bekanntlich Sozialist und bekennender EU-Fan. Der Nobelpreis wird immer politischer. Dadurch schadet er sich nur selbst. Irgendwann wird man den Preis gar nicht mehr ernst nehmen. In den Bereichen Literatur, Frieden und Ökonomie kann man ihn jetzt schon nicht mehr ernst nehmen.

  5. Silem Says:

    Aber eigentlich will das doch keiner hören. Das der absolute Frieden so lange nicht funktioniert bis die letzte Waffe in die Luft gesprengt wurde. Und selbst danach werden wir Waffen brauchen weil wir weiterhin Waffen produzieren können. Das ist wie mit den Atomwaffen. Klar können wir die alle abrüsten und verschrotten. Wenn aber fast alle Industrieländer innerhalb von 1 Jahr ein komplettes Arsenal herstellen könnten dann ist das doch absolut sinnlos. Pazifismus ist wie Kommunismus und Liberalismus. Gute Idee, miese Umsetzung, ein paar Störer und das Experiment ist kaputt.

    Übrigens. Wird arprin von Broder als Ideenmaschine missbraucht? 😀
    http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article109796691/Ein-bisschen-Frieden-aber-erst-nach-dem-Blutbad.html

    • Martin Says:

      @Silem: „Pazifismus ist wie Kommunismus und Liberalismus. Gute Idee, miese Umsetzung, ein paar Störer und das Experiment ist kaputt. “

      Sehe ich nicht so. ich halte es nicht mal für gute Ideen. Ideen, die komplett negieren, das sie nicht realisierbar sind, sind eben keine guten Ideen.Mal davon abgesehen, das Kommunismus und Pazifismus auch aus rein moralischer Sicht schlicht Dreck sind 😉

    • arprin Says:

      Übrigens. Wird arprin von Broder als Ideenmaschine missbraucht? 😀

      Es wäre eine Ehre für mich, wenn Broder meine Artikel als Inspiration nehmen würde. Aber ich denke, es war in diesem Fall nur Zufall.

  6. Fred Says:

    Gewaltloser Widerstand kann in einem Land funktionieren was sich der demokratischen Tradition zu mindestens teilweise verpflichtet fühlt, auch wenn die Rechte teilweise nur auf dem Papier stehen. Der Widerstand von Ghandi und auch von Martin Luther King war nur möglich weil die demokratischen Regierungen Gott sei Dank nicht in der Lage waren zum äußersten zu gehen.

  7. Martin Says:

    @Fred: „Gewaltloser Widerstand kann in einem Land funktionieren was sich der demokratischen Tradition zu mindestens teilweise verpflichtet fühlt, auch wenn die Rechte teilweise nur auf dem Papier stehen. Der Widerstand von Ghandi und auch von Martin Luther King war nur möglich weil die demokratischen Regierungen Gott sei Dank nicht in der Lage waren zum äußersten zu gehen.“

    Das ist nicht ganz richtig. Es spielt m.E. vor allem auch eine Rolle, das es eine andere, gewaltbereite Richtung gibt. Die Engländer wären 1949 weder wirtschaftlich, noch militärisch in der Lage gewesen, einen „Kolonialkrieg“ in Indien zu führen.
    Gibt es als Alternative zu den Militanten aber eine friedensbetonte Bewegung, beißt man eben in den sauren Apfel, in den man eh beißen muß, und sorgt dafür, das die, die später am ehesten Kooperationsbereit und weniger Progromfreudig sein werden, die sind, die offiziell für die Machtübernahme zuständig sind.

  8. Thomas Holm Says:

    Die Engländer mussten mit ihren Kolonialkriegskapazitäten streng haushalten und haben sich auf Malaysia und Jemen z.B. konzentriert. Es war klar, dass Indien nicht zu halten sein würde.

    Für Indien drängte die Muslim League auf eine Belohnung für die pro-Britische Haltung die sie bei den südasiastischen Muslimen durchgesetzt hatte (anders als in Nahost) in Gestalt von einem Pakistan; Gandhis Pazifismusansatz könnte man zugute halten, dass er das kommende Schlachten vielleicht etwas hinausgezögert hat.

    Pakistan wurde West-Partner im Kalten Krieg und Indien lange Zeit eine schwankende Gestalt, wo man zum Abschied wohl auch nicht noch ein gigantisches Blutbad veranstalten wollte,

    Durch die Teilung Indiens wurde die Chance vertan, Tibet in einen neuen südasiatischen Staat mit einzubeziehen und den Chinesischen Kommunisten eine für die Sache der Freiheit bessere Grenze zu setzen. Der Separatismus der Muslim League war eine relativ elitär- Punjabische Veranstaltung, bei der die Interessen anderer muslimischer Völker, die eher keinen Bock hatten, unter einer „postkolonialen“ Punjabischen Elite von „Britischen Gentlemen“ weiterregiert zu werden, über den Löffel balbiert wurden. Damals auf seine Art auch pazifistisch war der politische Führer der Paschtunen, die gegen den Separatismus waren. Im kommenden Nachspiel zwischen Pakistan und Afghanistan wird auch das Gedenken an diesen Mann eine Rolle spielen.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Khan_Abdul_Ghaffar_Khan

    “ Im Jahr 1987 erhielt er als erster Nicht-Inder die Auszeichnung Bharat Ratna. Er starb im Folgejahr unter Hausarrest in Pakistan.“

  9. American Viewer Says:

    @Paul

    Dazu sage ich: Träumen wird man doch schon mal dürfen. Meine Hochachtung gilt den Menschen, die versuchen dieses Ideal in ihrem persönlichen Leben zu verwirklichen. Sie sind für mich Vorbilder. Es ist aber eine Illusion anzunehmen, dass alle Menschen dies verwirklichen können.

    Natürlich darfst du träumen. Meine Frage geht in die Richtung, ob das ein Traum ist oder eher ein Alptraum. Das ist natürlich Ansichtssache. Für mich ist diese totalitäre Utopie eher ein Alptraum.

  10. aron2201sperber Says:

    wie immer sehr interessant

  11. Zitat des Tages | Lumières dans la nuit Says:

    […] arprin: Der totalitäre Pazifismus […]

  12. spiruminator Says:

    Hat dies auf Spiruminator's Blog rebloggt.

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